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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Bloß Ärger

Autor/in: Wolfgang Sieg
Ausgabe Nr. 128, I, 2015 - Februar 2015

Redaktioneller Hinweis: Wolfgang Sieg ist mit Putzi, dem liebenswert-leidgeprüften Laubharker auf dem Ohlsdorfer Großfriedhof, zu seinem ureigensten Fach zurückgekehrt: zum Missingsch. Das ist die brackige Mischung aus salzigem Platt und Hochdeutsch-Süßwasser, aber doch wieder etwas ganz eigenes, die phonetische Quadratur des Kreises, eine vollendete Verbindung von breit und spitz. Wir drucken hier – mit freundlicher Genehmigung des Verfassers – eine seiner zahlreichen Geschichten aus dem Buch "Ohlsdorf lebt" nach.

Schlimm sind ja de frischen Grabhügel! Die machen nämlich an meisten Arbeit. Stell dir vor: 50 Kränze auf 4 qm gestapelt! Und laß da bloß mal ne kleine Brise wehn, schon fliegen an‘ zweiten Tag überall de welken Blätter rum! Ich hab die vonne Verwaltung ja vorgeschlagen, ob man nicht so‘n feines Netz über de Kränze tun könnte, damit der Laubflug verhindert wird, und sonne Netze gibt das ja für Erdbeerkulturen, daß da keine Vögel rankönn‘. Aber die Verwaltungsärsche haben natürlich de morschen Birnen geschüttelt, daß diese Maßnahme "aus ästhetischen Gründen" nicht durchführbar ist.

Überhaupt das Kranzabräum‘. Sowas von beschissenen Job kann sich der Laie gar nicht vorstelln! Was die Gärtner da nämlich reindrehn inne Kränze an Stechpalm‘ und Zierdisteln und Nadelhölzer, da ist das Ende von weg! Und wenn du ohne Schutzhandschuhe arbeitest, sieht deine Flosse aus wie zweimal durchen Steaker gezogen.

Wie gesagt, geh ich an ein‘ vonne frische Gräber vorbei, da hör ich mitmal, also, ich denk noch, vielleicht ist das ne Maus oder ‘n Vogel oder ‘n Igel… Jedenfalls, das kann doch nicht wahr sein! Ach so, da muß ich dir natürlich erstmal erklärn, daß der technische Fortschritt auch bei de Beerdigungsindustrie seine Spurn… Angefang‘ hat das ja mit diese Fotoserie in‘ STERN, wo se offene Gräber gezeigt habn, und in diese Gräber habn de Skelette alle in verschiedene Körperhaltungen gelegen. De meisten ja mit unter de Kinne gezogene Knie, also, diese Embryon‘-Stellung. Und nicht ein einziges Skelett war so, wie das da reingepackt worden ist, also: auffen Rücken, und de Beine in 'Stillgestann' -Haltung nebenander, und de Hände übern Bauch gefaltet! Und damit war ja klar: die sind alle inne Gräber nochmal zu sich gekomm‘ und habn aus diesen Grund ihre Haltung verändert und vielleicht noch geschrien und gegen den Sargdeckel gekloppt oder da an gekratzt. Mußt dir mal plastisch vorstelln, was das für ein‘ Schock für den Toten: in diese Umgebung wieder aufzuwachen! Und daß das in Prinzip kein‘ Zweck hat, wenn er sich ein‘ abspaddelt, weil ja doch keiner Notiz von nimmt, und de Atemluft reicht auch bloß für ne Stunde. Naja, denn gab das auch schon bald diese Service-Angebote vonne Industrie, und war de einfachste Ausführung, daß, wenn ein Toten in sein‘ Sarg wieder zu sich kommt, daß er denn an sonne Schnur ziehn kann, und auffen Grab läutet ne Glocke. Klar, mit diesen mechanischen Primitiv-Modell hat das wahnsinnigen Ärger gegeben, weil: alle Augenblick hat das wo geläutet. Und denn war das doch bloß ‘n Vogel, der sich auffe Glocke gesetzt hat, aber die Ausbuddel-Gang ist nach jeden Läuten wie besengt nach den Grab hin, und habn se da wie de Verrückten gebuddelt, aber wenn der Sargdeckel hoch, war doch bloß 'April, April', und der Tote hat ganz ruhig dagelegen in seine 'Stillgestann'-Stellung.

Logisch, daß danach denn die akkumäßig betriebene zweite Generation von Alarminstrumente gekomm‘ ist. Und die war schon voll elektronisch, wo se den Toten sonne Art Mikro um‘ Kopp geschnallt habn, und wenn er zu sich gekomm‘ ist, hat er sich bloß melden müssen, und an sein‘ Grabstein war denn sonne Art Lautsprecher… mit ein Wahnsinns-Verstärker. Also, daß er bestimmt nicht überhört werden kann. Klar, daß das auch ausgenutzt worden ist. Zun Beispiel von diese Grufti-Rockband LETZTE ÖLUNG, wo das ganz groß in alle Zeitung‘ war, wie diese Typen hier mit ihre Verstärker in eine Nacht die Stimm‘ von über 50 Tote getürkt habn, und so laut, daß inne nächste Wohnblocks de Fensterscheiben ausse Rahm‘ gesprung‘ sind. Die neuesten Geräte sind wieder ziemlich unauffällig. Und wenn der Tote da unten bloß ganz bischen seine Körperhaltung verändert, denn werden so diskrete Pfeiftöne ausgelöst, inne Art wie das Besetzt-Signal in‘ Telefon, und komm‘ von so‘n klein‘ Tonträger, der auffe Rückseite von‘ Grabstein angebracht ist, und ist nicht größer als ne Streichholzschachtel. Und wenn noch kein Stein da ist, kannst das Gerät auch so auffe Erde legen, weil: ist absolut wasser- und temperaturgeschützt.

Wie gesagt, ich geh da an den frischen Grab längs und – du ahnst das schon – hör ich mitmal diesen Pfeifton! Also, zuerst ist das ja ein Gefühl, als wenn du auffen defekten Kabel von so‘n elektrischen Rasenmäher getreten bist. Das ist mein‘ klein‘ Neffen Uwe mal passiert, als er noch keine drei Jahre alt war. Seitdem hat er diesen Sprachfehler, wo er nu schon acht Jahre mit in Behandlung ist und über zehn Ärzte verschlissen hat. Also, ich war total in Panik! Denn eigentlich darf ich ja gar nicht bei sowas reagiern als von‘ Arbeitsamt eingesetzte Hilfskraft, die für ne Mark de Stunde das Laub zusamm‘harkt! Hab ich mich denn auch zuerst umgeguckt, ob einer vonne Friedhofsgärtner inne Nähe ist… War natürlich keiner, weil: die hocken nämlich den ganzen Tag mitte Röstgruppe in‘ Krema zusamm‘ – wenn nicht grade Betrieb ist, ist das da ziemlich gemütlich – und kloppen Skat… Vonne Sargträger-Gruppen: auch nix zu sehn… Ich mein, das sind ja Snobs: außer ihrn Sargtragen tun sie kein‘ Handschlag. Und ist angeblich ne Weisung von ihre ÖTV-Sektion aus.

Pastor: auch nicht! Und vonne Buddel-Gang: erst recht keiner! Wie ich noch so dasteh und flieg an alle Gliedmaßen, da geht mir das schon durchen Kopp: hier bist du ganz alleine auf dich gestellt mit deine Verantwortung! Und, zack, bin ich auch schon bei de Kränze! Acht nicht da auf, ob mir de Stechpalmen de Haut vonne Finger fetzen und sich de Zierdisteln in das rohe Fleisch bohrn – in sonne Momente denkst du gar nicht an diese Kleinigkeiten – schon warn de Kränze anne Seite geschmissen, auffen Weg rauf und auffe Nachbargräber – das war mir in den Augenblick auch scheißegal! Ja, und denn – Spaten oder Schaufel war natürlich auch nicht da – ich mitte zerfetzte Hände de Erde anne Seite gescharrt! Denn bin ich an‘ Sarg… leg den Deckel frei – er war ja gottseidank nicht angenagelt – brech mir bein Sargdeckel noch de letzten Fingernägel ab… krieg das massive Ding aber tatsächlich runter, und liegt da so‘n Opa und grient:

"Guten Abend!"

'Mann', denk ich noch, 'der hat recht, ist ja längst Feierabend! Und de Tore werden nache Arbeitszeit automatisch geschlossen. Und wenn du Pech hast und verpaßt den Termin, denn kommst du bis zun nächsten Morgen nicht raus!'

"Eigentlich bin ich ja gar nicht zuständig für Sie!", sag ich noch, weil: sein Grinsen hat mich tatsächlich bischen geärgert, "und wenn wir übern Torschluß rüber sind, ist sowieso die Kacke an‘ Dampfen."

"Trotzdem: vielen Dank für Ihre Mühe", sagt der Opa und guckt auf meine Hände.

"Naja", sag ich, "wenn ich mir was weghol… so Wundstarrkrampf oder was in diese Art… weil: eigentlich müßt ich ja sofort ‘n Tettanus… denn ist das Ihre Schuld! Und mach ich Sie glatt für haftbar, daß Sie das mal gleich wissen! Und Ihre auffe Nachbargräber geschmissene Kränze machen auch Unkosten. Was mein‘ Sie, wieviel Pflanzen dadurch abgeknickt worden sind!"

Der Alte grinst noch immer:

"Wird schon alles in Ordnung kommen, und vielleicht sind Sie erstmal so freundlich und helfen mir raus?"

Klar, daß ich das gemacht hab. Und da stand er nu mit seine stöckerige weiße Beine und mit bloß so‘ n dünnes Hemd an und fängt auch noch an zu kröcheln.

"Abends wird es doch ganz schön frisch", sagt er.

"Wieso sind Sie denn auch so leicht bekleidet?" frag ich. Und er: naja, in‘ Sarg reingelegt habn se ihn in sein‘ besten Anzug, aber nach de Besichtigung habn die Halunken von‘ Beerdigungsinstitut ihn blitzschnell ausgepellt und ihn dies Hemd verpaßt, was auch noch aus Papier ist. Und sah man tatsächlich, weil: an eine Stelle war das so‘n bischen durchgeweicht, denn in so‘n Sarg gibt das ja keine Möglichkeit für diese … wollnmasagen … hygienische Sachen.

Wie gesagt, nicht, daß mir das direkt peinlich war, aber mit ein‘ Opa an‘ Arm in diesen Hemd … und wenn man die bewußte Stelle einfach abgerissen hätte, wär das ja wirklich ein öffentliches Ärgernis gewesen… Und unterhaken mußt ich ihn schon, denn er war ziemlich torkelig auffe Beine. Zieh ich ihn also dahin, wo de beiden Telefonzelln sind.

'Hoffentlich sind die Dinger nicht wieder defekt', denk ich noch, und die ganze Zeit jammert und kröchelt der alte Herr an mein‘ Arm, und er immer:

"Sehn Sie bloß zu, daß ich bald in ein Krankenhaus komme, denn mit meiner Lunge ist das tatsächlich ... "

Und wieder ‘n minutenlanger Hustenanfall.

"Ja, ja", sag ich, "denn müssen Sie aber auch de Beine ‘n bischen anheben!"

Was ja auch nicht so einfach ist, wenn man barfuß über de Wege mit den scharfen Kies. Naja, warn wir denn endlich bei de Zelln. Die eine war tatsächlich hinüber, aber die andere ging... Wär gegangen, wenn ich zwei Groschen gehabt hätte! "Heute geht tatsächlich alles schief!" sag ich noch zu den alten Herr, "und wenn man erstmal an sonne Pechsträhne backt, kommt man da nicht so leicht wieder runter."

Und er hustet bloß, aber schüttelt den Kopf dabei, weil das für ihn wohl ein Glückstag ist. Naja, ruf ich denn de 110 an, weil das nix kostet. Und die Beamten auch:

"Ja, hier Wache sounso", und was los ist. Und ich:

"Hier Friedhof Ohlsdorf, und wollt ich melden, daß ich hier ein‘ scheintoten älteren Herrn bei mir hab." Und sie möchten da mal umgehend für sorgen, daß er behandelt wird, denn wenn sie nicht bald aufkreuzen, wird das mit seine Husterei noch schlimmer und hört sich jetzt schon ziemlich verdächtig an… Mann, da wurden die aber wild! Ich soll mal sofort mein‘ Namen sagen, und von wo ich wirklich anruf, und sonne blöden Scherze sind strafbar, weil das Irreführung der Behörden ist, und sie habn wichtigere Sachen zu tun als sich mit psüchopathische Beknackte einzulassen… und aufgehängt.

Der alte Herr hatte inne Zwischenzeit auffe Bank Platz genomm‘ und ein‘ Hustenanfall nachn annern!

Ich natürlich mit Flatterfinger den Notarzt gewählt, was ja auch für naß ist. An‘ andern Ende denn:

"Ja, hier Notarzt." Und ich:

"Komm‘ Sie ganz schnell her … aber vorher müssen Sie nache Verwaltung, daß die den Schließmechanismus von unse Tore da … ‚damit Sie reinkönn‘, und auffe Bank hab ich hier ein Scheintoten in ein Papierhemd, der bis eben wie verrückt gehustet hat, aber jetzt ist er ruhig."

"Schön", sagt der Notarzt, "wenn Sie uns jetzt bloß noch den Namen von dem Herrn durchgeben und in welcher Krankenkasse er ist."

"Wahrscheinlich in gar keine", sag ich, "wenn man nämlich stirbt, ist man automatisch kein Mitglied mehr."

"Richtig", sagt der Notarzt, "dann fragen Sie ihn, wo er Mitglied war, bevor er..."

"Augenblick mal", sag ich, "ich erkundige mich." Raus und: "In welche Kasse warn Sie...?" Weiter bin ich gar nicht gekomm‘, weil: das konnte man sehn, nu war er tatsächlich… mit seine gelbe Haut, und de blaue Flecke, und de Augen wie Glaskugeln, mit offenen Mund.

Die Prothese habn sich de Beerdigungsfritzen also auch untern Nagel gerissen, denk ich noch, aber denn fällt mir ein, daß da ja ganz schöne Schwierigkeiten auf mich zukomm‘ werden in Gesellschaft vonne Leiche, die von mir aussen Grab geholt worden ist… und nu natürlich nicht bezeugen kann, daß ich se da in lebendigen Zustand rausgebuddelt hab. Da werden se mich zumindest wegen… wie heißt das noch … ja, wegen Grabschändung rankriegen. Und vielleicht krieg ich noch zusätzlich ne Anzeige an‘ Hals, daß ich mir seine Klamotten an Land gezogen hab! Das beweis man erstmal, daß du da nix mit zu tun hast, wenn der einzige Zeuge nix mehr sagen kann!

Also, wenn mir sowas nochmal passiert, da laß ich den Scheintoten selbst anrufen… denn bin ich nämlich aussen Schneider!

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Das Lachen und der Tod (Februar 2015).
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