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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Bestatten, Bewahren, Besuchen – Beispiele zum sachgerechten Umgang mit Gruftinventaren

Viele Denkmalämter und Kirchengemeinden stehen meist vor einem unerwarteten Problem, wenn eine Gruftanlage, oft aufgrund baukonservatorischer Gründe, geöffnet wird. Durch schlechte klimatische Bedingungen, aber häufiger noch durch anthropogene Eingriffe wie Vermauern von Belüftungsöffnungen, Plünderungen und Vandalismus, ist nicht nur die Bausubstanz in einem schlechten Zustand. Häufig wurden die historischen Särge aufgebrochen, die Sarginhalte durchwühlt und die Überreste der Leichname dabei herausgerissen. Das Ergebnis ist ein katastrophaler Zustand: in der Gruft verstreut liegen Sargtrümmer oder Bruchstücke der Särge, Kleidungsfragmente, Teile der Sargausstattung und menschliche Überreste.

Eine Diskussion unter allen Beteiligten setzt dann ein, bei der oft nur in einem Punkt Einigkeit herrscht: der Zustand ist unwürdig und einer Begräbnisstätte nicht angemessen. Doch was kann getan werden? Abhängig von den finanziellen Mitteln und dem Erhaltungszustand des Gruftinventars bieten sich nun verschiedene Möglichkeiten an:

1. Die Gruft wird geräumt und die Bestattungsreste in ein Erdgrab auf dem Friedhof umgebettet. Die Zeugnisse einer längst vergangenen Bestattungstradition sind damit für immer verloren.

2. Die Särge werden nach Möglichkeit mit einfachen konservatorischen Mitteln wieder instandgesetzt, die Verstorbenen rückgebettet und die Gruft wieder verschlossen. Für eine eventuelle spätere Maßnahme wären damit noch alle Optionen offen.

3. Die Särge werden umfassend restauriert, die Verstorbenen rückgebettet und der fertiggestellte Gruftraum wird unter besonderen Schutzmaßnahmen für Besucher zugänglich gemacht.

In allen Fällen sollte unbedingt eine wissenschaftliche Dokumentation der Särge, Sargausstattung und der Bestatteten erfolgen. Im Folgenden sollen nun drei norddeutsche Beispiele erläutert werden, bei denen die Autoren in Zusammenarbeit mit Landesämtern, Kirchengemeinden, Restauratoren und engagierten Bürgern historische Gruftanlagen dokumentieren und einen würdigen Zustand der Begräbnisstätten wiederherstellen konnten.

Ein Exempel für die erste Möglichkeit ist die Gruft derer von Saldern an der Klosterkirche in Bordesholm bei Schleswig. Caspar von Saldern (1711 – 1786), Politiker in herzoglich-holsteinischen, dänischen und russischen Diensten, erwarb 1768 den letzten noch stehenden Teil des ehemaligen Kreuzgangs an der Klosterkirche. Durch das Einziehen von Außenmauern und das Aufstellen eines Eisengestells im Raum entstand dort eine zweietagige Grabkapelle für die Familie. Im unteren, ebenerdigen Bereich stehen die Sandsteinsarkophage von Caspar von Saldern, seiner Mutter, seiner Frau und seiner Tochter.

In der oberen Etage, auf dem Eisengestell, befanden sich weitere sechs Särge mit den Leichnamen aus den nachfolgenden zwei Generationen der Familie. Diese sechs Bestattungen, vier Erwachsene und zwei Kinder, lagen in Holzsärgen, jeweils mit Innensarg.

Holzsärge
Stark beschädigte Holzsärge in Bordesholm. Foto: Ströbl

Ursprünglich wurde der Raum durch eine Tür verschlossen, das kleine Fenster an der Ostseite der Gruft war offen und vermutlich lediglich mit einem geschmiedeten Gitter verziert. Im Jahr 1860 ist der Zugang zum Raum vermauert worden, schließlich wurde vor wenigen Jahren auch das Fenster verglast und die Fugen verspachtelt. Die bis dahin funktionierende Belüftung der Anlage wurde dadurch unterbunden. In der Folge sammelte sich Feuchtigkeit, die nicht nur das Mauerwerk und den Putz beschädigte, sondern auch an den Holzsärgen große Schäden verursachte. In den vergangenen Jahren wurde das Holz durch Pilz- und Schwammbefall stark geschwächt, so dass die Särge teilweise auseinanderbrachen. Diverse Sargteile und Reste des Inhalts waren bereits auf den darunter stehenden Sarkophag von Caspar von Saldern und den Gruftboden gefallen. An der Wand zur Klosterkirche hatte sich ein großes Mycel des Braunen Kellerschwamms gebildet. Nach Absprache mit der Familie beschloss die Kirchengemeinde, die Gruft zu sanieren, die durch die Fäulnis stark degradierten und nicht mehr zu restaurierenden Holzsärge zu entsorgen. Die Bestattungen sollten nach wissenschaftlicher Dokumentation in neue Särge, in diesem Falle einfache Holzkisten, umgebettet und schließlich einer Erdbestattung auf dem Friedhof an der Klosterkirche zugeführt werden. Die Erhaltung des Gruftinventars wäre jedoch ohne Weiteres möglich gewesen, wenn die unsachgemäße Verschließung des Fensters vermieden worden wäre. Zumindest gewährleistete eine Dokumentation nach archäologischen, kunsthistorischen, textil- und volkskundlichen Maßgaben, dass möglichst viele Informationen über die Bestattungen gewonnen werden konnten. Dies lässt sich mit einer archäologischen Ausgrabung vergleichen, bei der desgleichen die Befunde nach der Maßnahme nur noch auf dem Papier bzw. digitalen Datenträgern vorhanden sind.

Umbettung
Umbettung einer Bordesholmer Bestattung. Foto: Ströbl

Nach der zweiten Methode wurde ein Familienbegräbnis in Mecklenburg-Vorpommern bewahrt. In der St. Trinitatiskirche in Warlitz im Landkreis Ludwigslust-Parchim befindet sich unter dem Altar die Gruft der Familie von Schütz. Bauherr der von 1767 bis 1770 erbauten Kirche, war der Hof- und Kanzleirat Maximilian von Schütz (1692 – 1773), der ebenfalls Besitzer des Gutes Warlitz war. In der Familiengruft wurden seine Schwester und er beigesetzt. Dorthin überführt wurden offenbar auch die Särge der Ehefrau und zweier frühverstorbener Söhne.

Zerstörte Särge
Völlig zerstörte Särge in Warlitz. Foto: Ströbl

Mit der Gründung des Fördervereins der Barockkirche St. Trinitatis zu Warlitz 1999 konnten umfangreiche Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten an der inzwischen stark baufällig gewordenen Kirche durchgeführt werden.1 Als letzte Maßnahme galt es, das ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogene Gruftgewölbe wissenschaftlich zu dokumentieren und instand zu setzen.

Restaurierte Särge
Restaurierte Warlitzer Särge. Foto: Ströbl

Der Zugang zur Gruft liegt im Kircheninnenraum unmittelbar vor dem Altar. Über eine Steintreppe gelangt man in den unterirdisch gelegenen Raum. Der bis vor kurzem schlechte bauliche Zustand der Kirche und die Ansammlung von Unrat auf dem Gruftboden führten zur Erhöhung der Feuchtigkeit im Gruftraum. Infolgedessen kam es zu Schäden an den Holzsärgen in Form von Fäulnis. Vor allem aber sind anthropogene Einflüsse wie Vandalismus und Grabräuberei für das Schadensbild verantwortlich. Die Särge wurden geöffnet und dabei zerstört, die Leichname sind samt ihrer Ausstattung entnommen und an anderer Stelle im Gruftraum abgelegt worden. Während vorangegangener Aufräumarbeiten wurden vereinzelt herumliegende Gebeine eingesammelt und in dem einzigen halbwegs intakten Sarg und auf einzelnen Sargbrettern abgelegt. Der Fußboden wurde zwischenzeitlich gereinigt.

Insgesamt befanden sich in der Gruft die unvollständigen Überreste von fünf Holzsärgen; von denen drei Objekte wieder so hergestellt wurden, dass eine Rückbestattung der menschlichen Überreste und der Funde in den Originalsärgen möglich war.2 Nach Abschluss aller Arbeiten erfolgte die Aufstellung der drei Särge nebeneinander nach christlicher Tradition in West-Ost-Ausrichtung. Die übrigen Sargeinzelteile wurden in der Südwestecke der Gruft erhöht aufgestapelt. Nicht nur die Wiederherstellung der Würde, sondern auch die der Totenruhe war Ziel des Projekts. Die Gruft wurde im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes im Mai 2013 wieder verschlossen und wird nicht begehbar für Besucher sein.

Ein Beispiel für die Präsentation einer Gruft in ihrem ursprünglichen sakralen Kontext nach intensiver interdisziplinärer Dokumentation und Restaurierung sowohl des Gruftraumes als auch der Särge befindet sich im Herzen Ostfrieslands. Die St. Bartholomäuskirche im nördlich von Aurich gelegenen Dornum war seit dem Mittelalter die Begräbnisstätte der Dornumer Häuptlinge. Sie wurde in den Jahren 1270/90 auf einer Warft gebaut und ist ein bedeutendes Baudenkmal der Region.

Dornumer Gruft
Die restaurierte Dornumer Gruft. Foto: Ströbl

Unter dem Chor befindet sich die noch heute sogenannte "Häuptlingsgruft", die Grabstätte der Familie von Closter.3 Die Familie von Closter erschien in Dornum erst im 16. Jahrhundert, übernahm allerdings wahrscheinlich eine bereits existierende Familiengruft. Haro Joachim von Closter (gest. 1728) war der letzte Vertreter seiner Sippe und der letzte dort Beigesetzte.

Während des 2. Weltkrieges wurden die Särge in die Norderburg verbracht, um die Gruft als Luftschutzbunker zu nutzen. Nach dem Kriege wurden die Särge wieder zurücktransportiert. Zumindest während eines dieser Transporte sind einige Särge stark beschädigt worden und Inhalte fielen heraus. Ende der 1960er Jahre wurden ein Dutzend Särge in der Gruft gezählt, die offenbar für jedermann zugänglich war. Einige waren notdürftig repariert worden, aber als Ende der 1990er Jahre die Fenster mit Weichfaserplatten verschlossen wurden, war die Belüftung des Gewölbes nicht mehr möglich und infolge dessen wurden Raum und Inventar durch Schimmel und Fäulnis stark beschädigt. 2010 entschied die Kirchengemeinde Dornum mit Unterstützung der Ostfriesischen Landschaft Aurich, das Gruftgewölbe sanieren, das Inventar wissenschaftlich untersuchen und die Särge, soweit möglich, restaurieren zu lassen.4 In der Gruft befanden sich ungeordnete und offene bzw. notdürftig abgedeckte Särge sowie gestapelte Bretter verschiedener Särge. Aus einigen originalen Brettern waren mit Draht zusammengebundene Behältnisse gebaut worden.

Überraschend war schon nach einer ersten groben Bestandsaufnahme des Inventars die Erkenntnis, dass die Gruft die Überreste von weit mehr Individuen als Särge enthält. Da in der Gruft nur die Überreste von maximal 12 Särgen festgestellt wurden, stammen die Gebeine wohl zum großen Teil aus Grabgewölben aus dem Kirchenschiff. Diese Gewölbe wurden während Heizungseinbauten geöffnet und die Bestattungen entnommen. Personelle Zuordnungen waren bis auf ein 1666 datierendes Beispiel aufgrund des desolaten Zustandes von Särgen und menschlichen Überresten nicht möglich.

Bei den Särgen fielen einige Besonderheiten auf wie beispielsweise die flächendeckende Beschriftung und Verzierung des oben genannten Sarges von 1666. Die Inschriften der anderen Särge mit Namen, biographischen Daten und Bibelsprüchen waren teils mehrfarbig aufgemalt. In acht restaurierten Särgen wurden die menschlichen Überreste würdig rückbestattet und die sanierte Gruftkammer im Februar 2012 feierlich eingeweiht. Die Kammer selbst ist nicht begehbar, aber die Särge sind durch eine Glastür zu besichtigen, was von zahlreichen Besuchern wahrgenommen wird.

So unterschiedlich die Vorgehensweisen bzw. Zielsetzungen bei den beschriebenen Beispielen auch sind – bei allen drei Grüften wurde von Anfang an ein Konzept zur umfassenden wissenschaftlichen Dokumentation erstellt, das schließlich in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten auch durchgeführt werden konnte. Auch bei der notwendig gewordenen Entsorgung von Särgen oder Teilen davon ist immer noch eine zeichnerische oder digitale Rekonstruktion des Inventars möglich. Die Kenntnisse über Traditionen, Totenkleidung, Beigabenpraxis, den Bau und die Verzierung von Särgen sowie Zeugnisse persönlicher Frömmigkeit und Trauer bleiben bewahrt.

1 Insbesondere ist das große Engagement der Familie von Busch aus Stade zu würdigen, die seit mehreren Jahren mit bedeutendem persönlichem Einsatz die Arbeiten initiiert und unterstützt hat.
2 Die Restaurierung übernahm Dirk Zacharias aus Dresden.
3 Offiziell endete die ostfriesische Häuptlingsherrschaft allerdings mit dem Aufstieg der Familie Cirksena, als Ulrich Cirksena 1464 durch Kaiser Friedrich III. in den Stand eines Reichsgrafen erhoben wurde und Ostfriesland als Reichsgrafschaft zum Lehen erhielt.
4 Mit Unterstützung vor allem von Volker Karkutsch aus dem Kirchenvorstand, Sonja König von der Ostfriesischen Landschaft und Claudia Brüggemann vom Landeskirchlichen Amt für Bau- und Kunstpflege konnte das Projekt im Sommer 2011 begonnen werden. Im Rahmen des Projektes "2013 - Land der Entdeckungen" in der Ems-Dollart-Region war das Projekt "Tod und Herrlichkeit" unter anderem durch den "Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung der Europäischen Union" und die Sparkassenstiftung Aurich-Norden finanziert worden. Die Restaurierung der Särge übernahm die Restaurierungsfirma Blohm & Tillwick aus Lüneburg.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Gruftbestattungen (August 2013).
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