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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Zur Geschichte des Mausoleums

"Nur eins störte uns. Zu solcher Prachtavenue von Trauerbäumen gehört als Abschluss notwendig ein Mausoleum",

heißt es in Theodor Fontanes 1899 erschienenem Alterswerk "Stechlin".1 Mausoleen galten in der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als fast unverzichtbares Element sepulkraler Landschaften. Sie erlebten damals in den europäischen Metropolen eine bemerkenswerte Renaissance. Im Rückgriff auf aristokratische Traditionen demonstrierten die zumeist großbürgerlichen Auftraggeber ihre herausragende gesellschaftliche Position. Die monumentalen Mausoleumsbauten dienten ihnen als Ausdruck sozialer Distinktion im öffentlichen Raum der urbanen Friedhöfe.2 Damit erweist sich die Renaissance des Mausoleums in den Jahrzehnten um 1900 als aufschlussreiches Beispiel der gesellschaftlich-politischen Funktion von Erinnerungskultur.3

Wie bereits der ursprünglich namengebende Grabbau in Halikarnassos, der dem 377 bis 353 v. Chr. regierenden karischen Herrscher Mausolos zugedacht war und das Bauschema künftiger Werke zeigte,4 so lassen sich auch die im christlichen Kontext stehenden Mausoleen der europäischen Neuzeit sowohl als künstlerisches wie gesellschaftliches Programm lesen. In der Frühen Neuzeit wurden diese "Totenhäuser" inmitten der städtischen Bebauung an der Kirche bzw. auf dem Kirchhof errichtet, also den traditionellen mittelalterlichen Begräbnisplätzen. Stellvertretend sei das für Deutschland bedeutsame Beispiel des 1608 bis 1627 errichteten Mausoleums für Graf Ernst von Holstein-Schaumburg in Stadthagen genannt.5

Diese signifikante Verortung änderte sich jedoch im Verlauf des 18. Jahrhunderts, als es – ausgehend von England – zu einer regelrechten Blütezeit der Mausoleen kam. Letztere wurden nun häufig innerhalb adliger Privatparks und -anlagen errichtet und lösten sich damit vom dezidiert kirchlichen Kontext und der Bindung ans Gotteshaus.6 Ausdrücklich in der Funktion des künstlerischen Antikenzitats wurde das Mausoleum zum distinguierten Sepulkralbau der Aristokratie (der auch Eingang in bedeutende zeitgenössische Literatur wie Goethes "Wahlverwandschaften" fand).7

Mit Beginn des bürgerlichen Zeitalters schwand allerdings die gesellschaftliche Symbolkraft des Mausoleums. Schlichtere, emotionsgetöntere Grabmäler wurden nach 1800 zum Leitbild der Sepulkralkultur. Sie wurden "in Verkörperung des sanften Todes" immer häufiger geschmückt mit figürlichen und porträthaften Darstellungen, die die bürgerliche (Erfolgs-)Biografie des zumeist männlichen Verstorbenen feierten.8

Erst im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert erlebte das Mausoleum eine neuerliche Renaissance. Peter Pinnau bezeichnete diese Zeitspanne als "expansive Phase" des Mausoleumbaus, die von 1870 bis 1920 währte. Nun bedienten sich zahlreiche großbürgerliche Auftraggeber dieser "Symbole der Eitelkeit" und revitalisierten eine zuvor noch als anachronistisch betrachtete Sepulkraltradition.9 Oft kuppelgekrönt, wurde das Mausoleum zum architektonisch aufwändig gestalteten monumentalen Bestattungsbau. Bezeichnenderweise verlagerte sich der Schauplatz ein weiteres Mal – nunmehr auf die meist großzügig angelegten und öffentlich zugänglichen Friedhöfe in europäischen Metropolen, die im Zeitalter der Hochindustrialisierung rasch expandierten.10

Diese Verlagerung des Mausoleumbaus geschah nicht zufällig. Städtische Friedhöfe waren mittlerweile zum Ort der Promenade und kommunalen Renommierobjekt geworden. Die Ästhetisierung der europäischen Friedhofslandschaft hatte im späten 18. Jahrhunderts begonnen – etwa zeitgleich mit einer Welle von Friedhofsverlegungen vor die Tore der Städte – und fand im Verlauf des 19. Jahrhunderts im sog. Parkfriedhof ihren vorläufigen Höhepunkt. Dessen Naturlandschaft bildete die Kulisse für einen vor allem im späten 19. Jahrhundert immer mehr ausufernden, sich des stilistischen Arsenals des Historimus bedienenden Grabmalkultes.11 Die Mausoleen bildeten den Höhepunkt und Abschluss dieser Entwicklung. In zahlreichen europäischen Metropolen entstanden, insbesondere in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, etliche Mausoleumsbauten. Bisweilen wurden für die Mausoleen besondere Räume des Friedhofs gartenarchitektonisch gestaltet, nicht selten dienten die Totenhäuser als point de vue innerhalb der Sepulkrallandschaft.12

In den Mausoleen der Jahrhundertwende spiegelte sich der Machtanspruch städtischer Oligarchien. Im historischen Umfeld von Industrialisierung und Urbanisierung zu Reichtum, Macht und Ansehen gelangt, suchte das Großbürgertum nach besonderen Formen symbolischer Repräsentation – und fand sie in der Adelskultur des 18. Jahrhunderts. Im historistischen Zitat und der Verknüpfung unterschiedlicher Stilformen wurden die Mausoleumsbauten immer monumentaler. Sie wurden zum sepul-kralen Ausdruck der "unbegrenzten Selbstherrlichkeit seines Besitzers."13

Sozialhistorisch lässt sich diese Reaktualisierung des Mausoleums als "invented tradition"14 betrachten – als Wiederbelebung einstiger kultureller Traditionen, um gesellschaftliche Machtansprüche zu untermauern. Das Großbürgertum bediente sich einer nicht zufällig gewählten sepulkralen Formensprache, um das eigene, bisweilen erst neu gewonnene Selbstbewusstsein, die eigene politische und nicht zuletzt ökonomische Macht der Öffentlichkeit auf den Friedhöfen zu demonstrieren. Der Rückgriff auf die aristokratische Bestattungskultur des 18. Jahrhunderts – und eben dies war der im kulturellen Gedächtnis verankerte Anknüpfungspunkt – war in sich durchaus kohärent: Auf anderen Ebenen symbolischer Repräsentation eiferte das Großbürgertum ebenfalls aristokratischen Vorbildern nach, wenn es nach sozialer Nobilitierung strebte.15

Diese Funktion des Mausoleums lässt sich z.B. auch in Spanien beobachten. Wie vielerorts in Europa, war es hier während des 18. Jahrhunderts üblich gewesen, die Toten in den Kirchen selbst bzw. auf den Kirchhöfen zu bestatten, bevor – an der Wende zum 19. Jahrhundert – die ersten Friedhöfe außerhalb der Städte angelegt wurden. Das spanische Bürgertum, das sich während der Regierungszeit Isabellas II. gesellschaftlich allmählich entwickelt hatte, schuf sich in der Stabilität der Restauration ab 1874 nicht nur monumentale private und öffentliche Bauten der Selbstvergewisserung in der Hauptstadt Madrid, sondern suchte auch über den Tod hinaus seine neu gewonnene gesellschaftliche Position zu demonstrieren. Friedhöfe wie San Isi-dro, der 1811 als erster privater Friedhof von einer Bruderschaft im Südwesten von Madrid gegründet wurde, boten hierfür den geeigneten prestigeträchtigen Rahmen.

Hinweis: Der vorliegende Text bildet den ersten Teil eines bereits publizierten Vortrages. Der gesamte Beitrag ist mit folgenden bibliografischen Angaben zu finden: Ingrid Reuter/Norbert Fischer: Bürgerliche Nobilitierung durch sepulkralen Aristokratismus: Mausoleen auf dem Madrider Friedhof San Isidro; in: B. Borngässer/H. Karge/B. Klein (Hg.): Grabkunst und Sepulkralkultur in Spanien und Portugal. Frankfurt/M. und Madrid 2006, S. 497-515

Kontakt zum Autor: [email protected]

1 Fontane, Theodor: Stechlin. In: Ders.: Romane und Erzählungen in acht Bänden. Hrsg. von Peter Goldammer u. a. Band 8. Berlin, Weimar: 1973 (2. Aufl.), S. 352.
2 Heathcote, Edwin: Monument Builders. Modern Architecture and Death. Chichester: 1999, S. 31-35; siehe auch Colvin, Howard M.: Architecture and the afterlife. New Haven u. a.: 1991.
3 Liebsch, Burkhard und Jörn Rüsen (Hrsg.): Trauer und Geschichte. Köln, Weimar, Wien: 2001.
4 Jeppesen, Kristian: The Maussolleion at Halikarnassos: reports of the Danish Archaelogical Expedition to Bodrum. Vol. 4; The quadrangle: the foundations of the Maussolleion and its sepulchral compartments. Aarhus: 2000; Vol. 5: The superstructure: a comparative analysis of the architectural, sculptural and literary evidence. Aarhus: 2002; Happe, Barbara: "Mausoleum". In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Tübingen: 2002 (4., völlig neu bearb. Aufl.), Band 5, Sp. 929 f.
5 Meine-Schawe, Monika: Neue Forschungen zum Mausoleum in Stadthagen. In: "…uns und unseren Nachkommen zu Ruhm und Ehre". Kunstwerke im Weserraum und ihre Auftraggeber. Marburg: 1992, S. 69-132; Suermann, Marie-Theres: Das Mausoleum des Fürsten Ernst zu Holstein-Schaumburg in Stadthagen. Berlin: 1984.
6 Pinnau, Peter: Gruft, Mausoleum, Grabkapelle. Studien zur Sepulkralarchitektur des 19. und des 20. Jahrhunderts mit besonderer Hinsicht auf Adolf von Hildebrand. München: 1992, S. 3 (im Folg. zit. als: Pinnau).
7 Evers, Bernd: Mausoleen des 17.-19. Jahrhunderts, Diss. Tübingen: 1983, S. 183; Goethe, Johann Wolfgang von: Wahlverwandtschaften, Frankfurt/M.: 1972, S. 140 f.
8 Fischer, Norbert: Geschichte des Todes in der Neuzeit, Erfurt: 2001, Kap. II.
9 Pinnau, S. 8 (Zitat) sowie S. 35-63 (mit zahlreichen Einzelbeispielen).
10 Zimmermann, Clemens: Die Zeit der Metropolen. Urbanisierung und Großstadtentwicklung. Frankfurt/M.: 1996.
11 Fischer, Norbert: Vom Gottesacker zum Krematorium. Eine Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland seit dem späten 18. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien: 1996 (online-Version: www.sub.uni-hamburg.de/disse/37/inhalt.html), S. 60-74.
12 Kuhn, Jörg: Neubarocke Mausoleen auf Berliner Friedhöfen. Maschinenschriftl. Examensarbeit TU Berlin: 1989, S. 39.
13 Lemper, Ernst-Heinz: Historismus als Großstadtarchitektur. Die städtebauliche Legitimierung eines Zeitalters. In: Karl-Heinz Klingenburg (Hrsg.): Historismus – Aspekte zur Kunst im 19. Jahrhundert. Leipzig: 1985, S. 59.
14 Hobsbawm, Eric J.: Introduction: Inventing Traditions. In: Ders. und Terence Ranger (Hrsg.): The Invention of Tradition. Cambridge: 1992, S. 1-14.
15 Als Fallstudie siehe Elsner, Tobias von: Kaisertage: die Hamburger und das Wilhelminische Deutschland im Spiegel öffentlicher Festkultur. Frankfurt/M. u. a.: 1991.

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