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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Über den Friedhof der Zukunft

Vorbemerkung: Der folgende Text ist die überarbeitete Fassung eines Beitrages, der zuerst in der Zeitschrift "Landschaftsarchitekten", Jahrgang 2011, Heft 4 (Themenheft "Friedhofsplanung"), erschien.

Als wichtigste Tendenz der Friedhofskultur im frühen 21. Jahrhundert ist einerseits die anonyme Aschenbeisetzung zu sehen, andererseits die Entfaltung neuartiger, meist naturnah modellierter Gedächtnislandschaften. Beide Entwicklungen künden vom allmählichen Ende der traditionellen Familien- oder Einzelgrabstätte auf den Friedhöfen. Stattdessen entwickelt sich der Friedhof zu einem gesellschaftlich-kulturell vielfach diversifizierten Raum.

Die fast überall in Deutschland mehr oder weniger stark steigenden Zahlen der Feuerbestattungen haben seit einigen Jahrzehnten das Phänomen der anonymen Rasenbeisetzungen hervorgebracht. Es äußert sich gestalterisch in einer meist als grüne Rasenfläche gestalteten Aschengemeinschaftsanlage, bisweilen mit einem Gemeinschaftsdenkmal versehen. Damit verringern sich Raumbedarf und Raumstruktur auf den Friedhöfen entscheidend, u. a. kommt es zu einem Flächenüberhang. Die anonyme Rasenbestattung repräsentiert eine mobile Gesellschaft, in der die aus dem bürgerlichen Zeitalter bekannte Bindung an die fest verortetete (Familien-) Grabstätte ihre Bedeutung verloren hat. Sie dokumentiert darüber hinaus die Auflösung der ortsgebundenen Beziehungen zwischen den Generationen.

Eine gänzlich andere, ja entgegengesetzte Entwicklung zeigt sich in den derzeit immer häufiger praktizierten Formen der Naturbestattung, die ebenfalls auf der Einäscherung basieren. Zu den bekanntesten Varianten zählt die Baumbestattung. Im Jahr 2006 wurde auf dem Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof der so genannte "Ruhewald" angelegt – ein rund zwei Hektar großer, weitgehend sich selbst überlassener und verwildert wirkender Raum. Zum jeweiligen Beisetzungsbaum gehört eine in der Nähe aufgestellte pultartige Tafel, auf der die Art des Baumes und die Namen der Beigesetzten verzeichnet werden können. Auf anderen Friedhöfen sind es bisweilen einzelne Bäume, um die herum Grabstätten gestaltet werden.

Ein repräsentatives Beispiel für neue Anlagen der Naturbestattungen bildet der so genannte Berg-Naturfriedhof "Ruheberg" in Oberried (Schwarzwald), der von der örtlichen Kommune verwaltet wird. Hier finden die Beisetzungen in einem Mischwaldbestand statt. Dabei können einzelne Urnengrabhaine oder so genannte Friedhaine erworben werden. Bei letzteren handelt es sich um Gruppen von 12 Urnengräbern um einen Baum, die beliebige soziale Gruppierungen abbilden können und spezielle Namen erhalten: zum Beispiel Familien, Freundeskreise oder ähnliches. Ein vergleichbares Beispiel stammt aus Ahrensburg in Schleswig-Holstein. Auf dem dortigen kirchlichen Friedhof wurde Mitte 2010 eine ökologisch ausgerichtete, zwei Hektar große "Wildblumenwiese" eingeweiht, die in ihren Randbereichen als Aschenbeisetzungsanlage dient.

So steht die Friedhofskultur an einem Scheideweg. Auf der einen Seite hat die anonyme Rasenbestattung das klassische Grabmal zurückgedrängt und droht es stellenweise verschwinden zu lassen. Andererseits entfaltet sich ein breites Spektrum an neuartig, meist naturnah inszenierten Gedächtnislandschaften auf den Friedhöfen, aber auch abseits von ihnen. Insgesamt wird der Friedhofsraum neu diversifiziert. Aschenbeisetzungsflächen werden wie naturnahe Landschaften kunstvoll modelliert – bekannt ist der "Friedpark" des Hauptfriedhofes Karlsruhe. Strukturell vergleichbar sind die vom deutschen Friedhofsgärtner-Verband getragenen so genannten "Memoriam-Gärten" (u.a. Berlin, Bonn, Duisburg). Auch sie werden als variantenreiche Sonderanlagen innerhalb der klassischen Friedhöfe gestaltet.

Die neuartige Diversifizierung des Friedhofes gilt auch unter gesellschaftlichen Aspekten: Statt der familienbezogenen Grabstätte gibt es immer mehr Grabanlagen spezieller sozialer Gruppen, die eine eigene gesellschaftliche Identität ausbilden. Ein bekanntes Beispiel ist der so genannte "Garten der Frauen" auf dem Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof. Darüber hinaus haben sich weitere Formen der Gemeinschaftsgrabstätten entwickelt, etwa für AIDS-Tote. Teilweise werden dabei historische Grabanlagen unter Beibehaltung des Grabmals umgestaltet. Ein anderes Beispiel sind Gemeinschaftsgrabstätten für Fußball-Fans, wie sie bereits seit längerem aus Großbritannien und den Niederlanden bekannt sind. In Deutschland hat der Hauptfriedhof Hamburg-Altona eine Bestattungsfläche für Anhänger des Hamburger SV eingerichtet.

Last not least spielt der Friedhof eine wichtige Rolle als kulturpädagogischer Raum – hier gibt es zugleich erhebliches Entwicklungspotenzial. Dies gilt zum einen für museale Aufstellungen kulturhistorisch bedeutsamer Grabsteine. Aktuell wird beispielsweise ein neues Konzept für eine öffentlichkeitswirksame Präsentation der berühmten Seefahrer-Grabsteine auf dem Kirchhof Nebel auf der Insel Amrum erarbeitet. An vielen Orten engagieren sich Vereinigungen für den Erhalt alter Friedhöfe und Grabdenkmäler – die Friedhofs- und Grabmalkultur wird musealisiert. So gibt es mittlerweile auf fast allen größeren Friedhöfen Museal-Bereiche als Sonderflächen, in denen historische Grabdenkmäler neu aufgestellt und dokumentiert werden.

Welche Ergebnisse eine planvoll betriebene Diversifikation des Friedhofsraumes zeitigen kann, läßt sich beispielhaft am Assistens-Friedhof in Kopenhagen zeigen. Er stammt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert, als er als kirchlicher Zentralfriedhof für die dänische Hauptstadt eingerichtet wurde. Das Kopenhagener Konzept sieht die Aufgliederung des rund 20 Hektar großen Friedhofs in vier unterschiedliche Bereiche vor: 1. Museumsbereich: eine große Fläche mit historischen Grabstätten aus dem ältesten Teil des Friedhofs, der als Ensemble erhalten bleibt, 2. "Erinnerungspark", der ebenfalls kulturhistorisch bedeutende Grabstätten beherbergt, aber auch der Erholung dient, 3. Stadtteil-Friedhof als nutzbare Belegungsfläche für Bestattungen und 4. ein Park, der ausschließlich der Erholung und Freizeit dient.

Kontakt zum Autor per E-Mail: [email protected]

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Neues Leben auf dem Friedhof (Februar 2012).
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