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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Neuzeitliche Grüfte: Befunde mit besonderen Herausforderungen

In den vergangenen Jahren ist die Dokumentation von Gruftbestattungen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert verstärkt in den Fokus der neuzeitlichen Sepulkralforschung gerückt.

Es ist während der Untersuchungen und vor allem der Bemühungen, Forschungen an gefährdeten Befunden überhaupt möglich zu machen, aufgefallen, wie viele Grüfte es tatsächlich noch gibt. Außer den prominenten Beispielen wie den Grüften des Hochadels in Wien oder Mecklenburg und gehobener Schichten wie der Berliner Parochialkirche und dem Hamburger Michel begegnen dem überschaubaren Kreis an Gruftforschern immer wieder kleine Familiengrüfte des Landadels an oder unter Dorfkirchen. Die Sichtung ergibt in den meisten Fällen ein durch zwei große Probleme charakterisiertes Bild: 1. Das Inventar ist durch unsachgemäßen Umgang mit dem Baukörper und den Bestattungen selbst stark gefährdet oder bereits größtenteils zerstört. 2. Es ist kein Geld für die Dokumentation und Restaurierung vorhanden. Ein weiteres Problem besteht in der fehlenden Kartierung von Gruftanlagen. Außer den prominenten Beispielen sind kleine Grüfte immer noch häufig Zufallsfunde. Im positiven Falle suchen Kirchengemeinden oder Friedhofsverwalter den Kontakt zur Denkmalbehörde oder auch dem Kasseler Museum für Sepulkralkultur als Vermittler, wenn ein Gruftraum und dessen Inventar beispielsweise im Zuge von Baumaßnahmen berührt werden. Im negativen Falle werden wertvolle Särge mitsamt den oft hervorragend erhaltenen Bestattungen schlichtweg entsorgt und einzigartige Gewölbe verfüllt, ohne dass eine angemessene Dokumentation auch nur angedacht wurde. Die Erstellung eines Verzeichnisses neuzeitlicher Grüfte auch über die bundesrepublikanischen Grenzen hinaus ist unbedingt anzustreben.

In den vergangenen Jahren hat sich eine Handvoll Wissenschaftler intensiv mit Gruftbestattungen befasst, in deren Arbeit hier Einblick gegeben werden soll. Zuerst sollte jedoch geklärt werden, was eine Gruft als solche ausmacht bzw. darauf hingewiesen werden, dass eine Definition nicht ganz einfach ist. Das "Große Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur" beschreibt eine Gruft zum einen als "eine unterirdische, gemauerte Grabanlage, meist unter einer Kirche gelegen" und zum anderen als Raum, der der Bestattung dient. Grüfte dienen nach dieser Quelle als Familien- und Adelsgrablegen, auch kollektive Gruftanlagen oder als Gemeindefriedhöfe genutzte Grüfte werden erwähnt. Da es allein im christlichen Bestattungskontext mannigfaltige Formen von Grüften gibt, wird betont, dass es hier in Abgrenzung zu einstelligen Kirchengrüften des Mittelalters um Anlagen aus der Zeit ab der Mitte des 16. Jahrhunderts gehen soll, die oft begehbar und mehrfach belegbar sind. Auch diese Befunde sind in Bauweise, Größe, dem architektonischem Zusammenhang und der sozialen Schichtung der Bestatteten heterogen. Wesentlich für alle behandelten Anlagen ist, dass diese Räume im Zusammenhang mit der Belegung nicht mit Erde verfüllt und die Leichname in Särgen beigesetzt wurden. In der vorliegenden Ausgabe werden sowohl Familiengrüfte des hohen und niederen Adels, als auch große Grüfte unter prominenten Stadtkirchen mit teils breitem sozialen Spektrum der Bestatteten vorgestellt. Eine Ausnahmeerscheinung ist mit Sicherheit die Gruft unter dem 1762 fertiggestellten Hamburger Michel, die die mittelalterliche Tradition der Bestattung unter dem Kirchenraum mit damals modernsten Hygienemaßstäben verbindet.

Jeder, der mit Grüften zu tun hat, weiß, dass es nahezu unmöglich ist, vorschnell von einem Befund auf den anderen zu schließen und jede Gruft Überraschungen birgt. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab:

Die baulichen Umstände. Es gibt ebenerdige und unterirdische Grüfte, solche mit einem oder mehreren Räumen, manche befinden sich an oder unter Gebäuden, andere wiederum auf Friedhöfen. Die einen Gruftkammern sind belüftet, die anderen nicht bzw. sind oft die Belüftungen vermauert worden. Die oft ausgeklügelten Belüftungssysteme sind für mehrfach belegte Grüfte aufgrund hygienischer Aspekte wesentlich, da hierdurch eine Austrocknung der Bestattungen gewährleistet wurde. Diese Umstände sind maßgeblich für den Erhaltungszustand des Baubefundes selbst und natürlich für das Inventar.

Die Bestattungen. Es gibt unterschiedliche Materialien, aus denen Särge gefertigt wurden, und verschiedene Bauarten bzw. Kombinationen derselben. Die repräsentativen Außensärge sind entweder aus Metall oder Holz, seltener aus Stein hergestellt. Dazu gehörige Innensärge, die zur Aufbahrung oder zum Transport dienten, können in beiden Fällen aus Holz oder Metallblech bzw. aus einer Verbindung beider Werkstoffe sein. Auch verfügen Holzsärge fast immer über metallene Beschläge. Da die meisten Grüfte über einen längeren Zeitraum genutzt wurden, entsteht oft ein Platzproblem. Zumeist stehen die Särge dicht an dicht, sehr häufig sind sie gestapelt. Durch das Eigengewicht entstehen Belastungen, die oft zu Beschädigungen führen. Dies gilt besonders dann, wenn Holzsärge durch Fäulnis geschwächt oder großteils zerstört sind. Die Sarginhalte sind in den unterschiedlichsten Erhaltungszuständen überliefert. Auch sind in Gruftbestattungen fast immer mehrere Materialarten vorzufinden, die fachgerecht dokumentiert, beprobt und gegebenenfalls restauriert werden müssen: Holz, Metall, Textilien, botanische Überreste, Papier, Insektenreste und die häufig mumifizierten Leichname selbst. Schon daher ist eine interdisziplinäre Forschung unabdingbar, abgesehen von historischen und religionswissenschaftlichen Fragestellungen. Bekanntlich sind Grüfte sehr oft mehr oder minder stark durch Schimmelpilze belastet. Die gesundheitlichen Gefährdungen werden immer noch unterschätzt und man muss nicht erst Lord Carnarvon bemühen, um daran zu erinnern, wie gefährlich manche Schimmelpilze vor allem für Risikogruppen sein können.

Der wissenschaftliche Hintergrund. Das in den Grüften bestattete Personenspektrum variiert von Befund zu Befund. Oft sind die Bestattungen namentlich zuzuordnen und die archäologische Arbeit wird durch die historische Forschung ergänzt. Ebenso einzigartig wie die verstorbenen Personen selbst erscheinen die Bestattungen. Vor der Zeit industrieller Fertigungsmethoden und großer, durch weitgehende Einheitlichkeit im Umgang mit den Toten geprägte Bestattungsinstitute sind Särge, Kleidung und Beigaben von der Renaissance bis ins frühe 20. Jahrhundert auffallend individuell gestaltet. Jede Gruft birgt unbekannte Details. Gerade deswegen ist die interdisziplinäre Untersuchung so wichtig, da die Erkenntnisse unrettbar verlorengehen, wenn Gewölbe zugeschüttet und Särge zerstört werden.

Die Problemstellung und die zuständigen Stellen. Es werden zwar immer noch Grüfte ohne jegliche wissenschaftliche Untersuchung zugeschüttet und die Inventare entsorgt, aber mittlerweile hat sich zumindest bei einigen Behörden, Ämtern, Kirchengemeinden und Privatpersonen die Erkenntnis etabliert, dass die neuzeitliche Bestattungskultur in vielen Bereichen komplett unerforscht ist und Grüfte unvergleichliche Zeugnisse des Umgangs mit dem Tode und der damit verbundenen Sachkultur darstellen. Eine Gruft kann aber schnell zu einer Belastung werden. Was möchte man mit einem gefährdeten Befund tun, was ist angemessen, welche Finanzierungsmöglichkeiten gibt es?

Allein auf der Grundlage von blankem Idealismus funktioniert Wissenschaft nicht. Die an dieser Ausgabe beteiligten Autoren haben allesamt mehrfach erkennen müssen, wie mühsam es zumeist ist, auch prominenteste Grüfte und deren Inventare zu retten, zu dokumentieren und, wenn möglich, in ethisch vertretbarem Rahmen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Toten selbst schweigen bekanntlich und es ist umso wichtiger, die betreffenden Entscheidungsträger davon zu überzeugen, dass jede Gruft einen wahren Schatz an Erkenntnissen über Kunsthandwerk, Traditionen, Rituale und die Menschen selbst in sich birgt.

Anschriften der Autoren: Andreas Ströbl M.A., Ascherberg 10, 37124 Rosdorf. Dana Vick M.A., Flotowstr. 29, 22083 Hamburg

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Neuzeitliche Gruftanlagen (November 2009).
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