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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Das Lapidarium auf dem Bergstedter Kirchhof

Auf dem Gelände um die Kirche Bergstedt herum standen, gruppiert und teilweise einzeln, Grabsteine, die der Kenntnis nach nicht mehr auf den ehemaligen Gräbern standen.

Sie sind zum großen Teil aus Sandstein, die Inschriftentafeln oft aus Carrara-Marmor. Ein Kreuz ist ebenfalls aus Carrara-Marmor, andere Teile sind aus Hartgestein, schwarz-schwedischer Granit. Diese Grabsteine stellen einen bedeutenden kulturellen Wert der Grabeskultur des 19. Jahrhunderts dar. Die datierten Steine sind von 1846 – 1875 gesichert, andere nur allgemein dem 19. Jahrhundert zuzuweisen. Zunehmend und in immer schnelleren Zeitabständen schritt die Verwitterung dieser Steine fort. Teilweise sind die Schriften, die vor vier bis fünf Jahren noch lesbar waren, es heute nicht mehr. Es musste zur Sicherung der Grabsteine etwas geschehen. Darüber machten sich zunächst die für den kulturellen Bereich Zuständigen in der Kirchengemeinde sowie der Kirchenvorstand Gedanken.

Im September 2003 wurde eine Voruntersuchung von der Restauratorin Frau Schwarzburg durchgeführt und daraufhin im Dezember ein Gutachten erstellt. Das Ergebnis ergab, dass für eine Reihe von Steinen eine Überdachung erforderlich war. Damit standen Überlegungen zur Gestaltung von Verdachung im Raum. Parallel dazu beantragte die Gemeinde einen Zuschuss beim Denkmalschutzamt, der im Juni 2004 positiv beschieden wurde. Gleichzeitig wurden schon ab Februar 2004 mit der Denkmalpflege Standortfragen überlegt.

Wichtig bei diesem Prozess war die Formfindung der Überdachung. Hier sind mehrere Entwürfe und Grundgedanken aufgestellt und durchkonstruiert worden. Sehr erfolgreich war dabei die Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutzamt, Herrn Moreno, dort fiel dann auch die eindeutige Entscheidung zu Gunsten einer modernen und eindeutigen Lösung, die als Lapidarium angemessen erschien. Bei diesem Planungsvorgang wurden zunächst viele unterschiedliche Ideen skizziert und eine Reihe von Lösungsmöglichkeiten genauer ausgearbeitet. Eine erste Skizze war noch eine reine Freihandzeichnung, mit der man aussagen wollte: an dieser Stelle, so bei der Kirche, soll etwas geschehen. Die Varianten bezogen sich im Wesentlichen auf eine Vitrinenlösung, so dass die Steine in situ stehen bleiben konnten. Es sind dann mit dem Standort begründet unterschiedliche Gebäudeformen entwickelt worden, so in U-Form, als besonderes Gebäude, und auch als Winkelform an anderer Stelle, immer in Bezug auf die Kirche. Die letztlich gewählte Lösung – eine sehr archaisch einfache Form – setzte sich dann gegenüber diesen Varianten deutlich ab.

Entwurf des Lapidariums
Der zur Ausführung freigegebene Entwurf des Architekturbüros Prell und Partner, Hamburg, für das Lapidarium Bergstedt. Grafik: Prell und Partner

Bei allen Überlegungen spielten die Größenordnungen der dreizehn unterzustellenden Grabsteine eine bedeutende Rolle, schließlich waren sie bis zu 3,00 m hoch oder nur von kleinem Format, so dass die gesamte Anordnung ein wichtiges Planungskriterium darstellte. Bei der gewählten Form handelt es sich um ein Gebäude von 8,00 m Länge, 3,60 m Höhe und einer 1,60 m auskragenden Deckenplatte. Das Bauwerk ist in Stahlbeton errichtet.

Die denkmalrechtliche Genehmigung wurde im August 2005 erteilt. So konnte der Bauantrag im September 2005 eingereicht und im Oktober 2005 genehmigt werden. Die Kirchenvorstandsbeschlüsse fielen in die gleiche Zeit. Die Fertigstellung des Rohbaus war im Januar 2006 erreicht, die elektrische Installation folgte im März 2006. Die Farbgebung wurde mit dem Denkmalschutzamt sehr sorgfältig überlegt und alsbald entschieden, so dass die Bauausführungen im April/Mai 2006 abgeschlossen waren. Die Farbgebung des Lapidariums ist von besonderer Bedeutung, denn es steht konfrontiert mit der Kirche und muss diesem Kirchenbau weitgehend entsprechen, auch wenn es sich hierbei um einen Betonbaukörper handelt. Es wurde ein lasierender, aus drei Schichten bestehender Anstrich gewählt – lasierend heißt, dass die Farbtöne untereinander durchscheinen. Dadurch ist ein Rot-Ton entwickelt worden, der sich der Kirche sehr deutlich und klar anpasst und die geänderte konstruktive Struktur nicht verdeckt. Mit diesem Anstrich ist auch die entscheidende Anbindung an die historische Kirche gefunden worden.

Das Hinzufügen einer Beleuchtungsanlage soll nicht nur der Darstellung der Grabsteine dienen, sondern auch als ein Lichtschwerpunkt auf dem Weg zwischen Gemeindehaus und Kirche darstellen. Diese Beleuchtung am vielbegangenen Weg und die damit sichtbar gewordenen Steine in der dunklen Tageszeit, wird von den Passanten als angenehm empfunden.

Die Kosten wurden zunächst mit 37.000 Euro eingeschätzt und später korrigiert auf 32.000. Die Abrechnung schloss dann mit 31.635,00 Euro ab. Sie konnten somit eingehalten werden. Daraufhin wurde auch der Zuschuss des Denkmalschutzamtes an die Kirchengemeinde ausgezahlt. Besonders zu erörtern war die Standortfrage des Lapidariums. Hier sind viele Untersuchungen parallel zur Formfindung durchgeführt worden. Eine Aufstellung nördlich der Kirche war schlecht möglich, weil der Wetterschutz nach Südwesten erforderlich ist und damit zu der Kirche die Rückseite des Lapidariums gestellt worden wäre. Auch wären die Steine von der Kirche aus nicht sichtbar gewesen. Das hätte zu einer abweisenden und ausschließenden Gestaltung geführt. Es musste also südlich der Kirche positioniert werden, so dass sowohl der Wetterschutz gegen Südwesten (Hauptwind- und Regenrichtung) als auch die Sichtbarmachung der Grabsteine gewährleistet ist.

Zunächst wurde darüber diskutiert, dieses Lapidarium in der Nähe und in Verbindung mit dem Kirchturm aufzustellen oder auch gegenüber dem Kirchenschiff anzuordnen. Von der Denkmalpflege, wurde der Standort im Bereich der Sakristei und im Anschluss an die Gedenkstätte für die KZ-Opfer bevorzugt. Dieser Standort wurde dann zwingend auch von der Denkmalpflege vorgeschrieben. Hiermit sollte erreicht werden, dass mit der Kirche, der Sakristei, der Gedenkstätte für die KZ-Opfer und dem Lapidarium eine Zone der Ruhe, der Betrachtung und des Nachdenkens geschaffen wird. Mit dieser Entscheidung wurde dann auch die Baugenehmigung erteilt und das Lapidarium geschaffen.

Nach der Durchführung der Baumaßnahme und Aufstellen der Steine, ist eine nächste Aufgabe noch nicht weiter bearbeitet worden, nämlich die Entzifferung und Lesbarmachung der Inschriften. Noch gibt es Personen, die die Inschriften kennen. Im Streiflicht sind fast alle Inschriften noch entzifferbar. Die noch nicht erfüllte Aufgabe ist, die Texte zu dokumentieren und in ihrer alten Form auf Informationsblättern darzustellen. Es ist sicherlich nicht erforderlich und wünschenswert, die Inschriften auf den Grabsteinen farblich wieder herauszuheben, wohl aber sind die Informationen für die einzelnen Grabsteine für den Betrachter von großer Bedeutung.

Die Lösung des Lapidariums hier an der Bergstedter Kirche wird sehr intensiv von den Menschen wahrgenommen. Es gibt eine geringe Anzahl von kritischen Äußerungen und eine hohe Zahl von großer Zustimmung, besonders auch aus Fachkreisen. Es ist offensichtlich gelungen, die gestalterische Tradition im Bereich der Bergstedter Kirche fortzuführen, so dass jeweils die Zeit einer baulichen Entwicklung sich mit ihrer eigenen Formensprache dokumentiert hat. So ist die Ausmalung und innere Gestaltung der Kirche – sie ist im Kern ein Feldsteinbau aus der Zeit um 1200 – in der ausklingenden Renaissance und im Barock bestimmt worden. Der Barock bestimmt auch die Verlängerung der Kirche mit ihrem Turm und auch das Dach wurde entsprechend umgebaut. Und so ist auch jetzt die Dokumentation unserer Zeit mit dem Lapidarium additiv.

Die architektonische Gestaltung und Einfügung ist von dem Bergstedter Architekturbüro Prell und Partner bestimmt worden. Sie dokumentiert auf besondere Weise die zeitgenössische Architektur der Gegenwart.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Musealisierung der Friedhöfe (Februar 2009).
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