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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Orte der Einkehr und des Gebets - Kapellen auf dem Ohlsdorfer Friedhof

Autor/in: Olaf Krämer
Ausgabe Nr. 98, III, 2007 - August 2007

Die Kapellen des Ohlsdorfer Friedhofes – entstanden über einen längeren Zeitraum mehrerer Jahrzehnte – bieten mehr als nur ein Dach über dem Kopf.

Der Kapellenraum ist nicht nur ein durch Steine und Mauern umfriedetes Gebilde. Wie jeder Raum, so sind auch die Friedhofskapellen "Machtfelder", in denen sich "Kräfte" entwickeln und Atmosphären entstehen, die Einfluss nehmen auf jene, die sich hier versammeln. Der Theologieprofessor Manfred Josuttis schreibt: "Dass Räume Machtfelder darstellen, erfährt man am ehesten dadurch, daß sie lebenssteuernde Kraft entwickeln. Gegenstände, die sich darin befinden, bestimmen mein Verhalten. Personen, die sich darin aufhalten, provozieren meine Reaktionen – ihr Anblick erfreut mich, ihre Anfragen beantworte ich. Stimmungen, die sich darin entwickelt haben, beeinflussen meine Gestimmtheit. Der Leibraum, der einen Ortsraum betritt, stößt dort auf die atmosphärische Macht eines Gefühls und kann davon im affektiven Betroffensein leiblich angerührt werden". Es ist kein Zufall, dass die Bibel oft von 'Räumen' spricht und sie zu einem Gleichnis werden, etwa in dem bekannten Psalm 'Der Herr ist mein Hirte', der endet mit den Worten "... und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar". Jesus im Johannes-Evangelium (Kapitel 11): "Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen".

Die Ohlsdorfer Friedhofskapellen, so möchte ich es deuten, bieten einen Schutzraum für Trauernde, und ich denke dabei nicht so sehr an den Schutz vor Wind und Wetter (der freilich nicht gering zu schätzen ist, denn oft schon habe ich bei Beisetzungen – wenn die Angehörigen es so wünschten – statt einer Trauerfeier in der Kapelle bei gruseligstem Wetter draußen am Grab gestanden). Es ist gut, sich in einem Raum zu versammeln, wenn es Abschied nehmen heißt, denn da verliert sich die Trauergemeinde nicht als ein kümmerliches Häufchen unter freiem Himmel, den Naturgewalten ausgesetzt und in der Weite der Schöpfung zu einem Nichts schrumpfend, sondern sie ist umfangen, geborgen von schützenden Wänden, einem bergenden Dach. Der verstorbene Mensch und die Hinterbliebenen sind dicht beieinander, umklammert, umfriedet von einer symbolträchtigen Umrahmung, die etwas Wohltuendes kommuniziert, etwa: Wir sind dicht beieinander; oder: Wir verbannen dich nicht aus unserem Lebensraum; oder: Dein Tod stürzt dich nicht in den Abgrund, ins Uferlose – du bleibst von guter Gemeinschaft umfangen usw.

Wir könnten unendlich weiterfahren und darüber nachsinnen, welche Bedeutungen damit gesetzt sind, ob wir Abschied nehmen in Kapellen/Räumen oder ob wir es nicht tun. Es dürfte klar geworden sein, dass es nicht bedeutungslos ist, ob wir in Räumen oder in welchen Räumen wir den Abschied gestalten. Es sind nun aber nicht irgendwelche Räume und Kapellen, sondern sie sind gestaltet, symbolträchtig, sollen etwas kommunizieren. Das gilt auch, wenn es den Hinterbliebenen oft gar nicht auffällt und sie den Raum nicht bewusst erleben. Im Folgenden möchte ich an einem Beispiel der Fenster zeigen, wie durch den Raum Trauernden eine Botschaft kommuniziert wird:

In den Kapellen 1 und 10, die von ihrer Größe sehr unterschiedlich sind, beide aber jüngeren Datums, ist dicht unter dem Dach ein schmaler Fensterstreifen zu sehen, der die gesamte Kapelle umsäumt. Zur rechten Uhrzeit und bei günstigem Wetter kann man es erleben, wie bei der Trauerfeier durch diesen schmalen "Himmelsstreifen" die Sonne in die Kapelle hineinleuchtet und sogar den Sarg bescheint, wie von einem Scheinwerfer. Ganz oben also, von den Trauernden mit ihren gesenkten Blicken zumeist wohl übersehen, eröffnet sich ein Blick nach draußen: ein Spalt öffnet sich, hinter dem die Wipfel der Bäume, der Lauf der Wolken, das Blau des Himmels, die güldene Sonne zu sehen ist. Kein großes Fenster, das von oben nach unten verläuft, nur ein Spalt, eine Andeutung, ein vager Horizont, der nicht allzu vollmundig das Jenseits verkündet, aber doch eine Perspektive, die vorsichtig aufgezeigt wird, eine Öffnung des Raumes nach draußen, nach oben, die den von Traurigkeit gehaltenen Blick herausführen will aus seiner Gefangenschaft. Ja, der "Himmelsspalt" im oberen Teil der Kapellenwand will vorsichtig locken, den Blick allmählich und behutsam in eine andere Richtung lenken. Und wenn die Sonne scheint, dann taucht sie den Sarg ins Licht und zieht unweigerlich die Blicke auf sich, lenkt sie empor, lässt Bäume und Himmel in den Blick kommen und erahnen: Der Verstorbene ist umfangen vom Licht; er oder sie ist nicht verschlungen von Finsternis; der, der am Anfang sprach, es werde Licht, wird siegen!

Dann gibt es auch andere Fenster, vergleichbare etwa in den Kapellen 6, 7, 9 oder 13, von je unterschiedlicher Größe aber stets so, dass die Trauergemeinde auf ein großes Fenster blickt, das vom oben nach unten verläuft. Der Sarg oder die Urne ist vor diesem Fenster aufgebahrt, so dass sich der Hintergrund aus Glas wie eine Art Transparent darstellt, der eine andere Wirklichkeit andeutet. In jedem Fall scheint es von dort hell in die Kapelle (und deshalb sollte bei Trauerfeiern in Kapelle 9 mit der Möglichkeit, die Fenster hinter einem samt-grünen Vorhang verschwinden zu lassen, auf das Zuziehen verzichtet werden, will man diese trostreiche 'Dimension' nicht verschwinden lassen). Es sind aber eben – anders als bei den Kapellen 1 und 10 – keine durchsichtigen Fenster, hinter denen etwas anderes klar und erkennbar zu sehen wäre. Es sind undurchsichtige, milchige Fenster, in Kapelle 13 in viele kleine gemusterte Einzelfenster unterteilt, die jedoch keinen Blick nach draußen erlauben. Hier kommt es aufs Licht an, und dass dieses Licht von oben nach unten läuft, als sollte hier das Himmelslicht angedeutet werden, das zu den Menschen, Toten und Lebenden kommt, um ihre Welt zu erleuchten.

Die Kapellen auf dem Ohlsdorfer Friedhof sind – obwohl dieser als überkonfessionelle Begräbnisstätte gilt – als kleine sakrale Räume gestaltet und für uns Christen Orte der Einkehr und des Gebets.

* Olaf Krämer ist Ohlsdorfer Friedhofspastor

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Kapellen in Ohlsdorf Orte des Abschieds (August 2007).
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