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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Linne – ein Reformer?

Autor/in: Eva Henze
Ausgabe Nr. 97, II, 2007 - Mai 2007

Ende des 19. Jahrhunderts, als Linne in der Ausbildung war, trug die Industrialisierung zu einer explosionsartigen Zunahme der Stadtbevölkerung und damit zu Veränderungen in der Stadtstruktur bei.

In den dicht besiedelten Innenstädten waren oft nur Wallanlagen in der Lage, als nahe gelegene Grünanlagen genutzt zu werden. Später kam der Gedanke der Volksparks vor den Toren der dicht besiedelten Innenstadtflächen auf, wo eine größere Nutzungsvielfalt durch ausreichende Größe der Gesamtanlage gewährleistet werden konnte. Die parallel stattfindende Gartenkunstdiskussion hielt bis weit über die Jahrhundertwende an und spiegelt auch die gesellschaftliche Umbruchsituation wider: Die wilhelminische Führungsschicht hielt an repräsentativen Anlagen fest, die wachsende Arbeiterklasse brauchte jedoch funktionale Grünflächen und das Bürgertum prägte die künstlerische Diskussion. So stritten Maler, Architekten und Gartenkünstler nicht nur um Inhalte, sondern auch um die Zuständigkeit für den Bereich Gartenkunst. Aber auch innerhalb der Profession gab es erbitterte Debatten, welche Stilrichtung – landschaftlich oder funktional-architektonisch – die richtige sei. Linne empfand die Kritik fachfremder Künstler an der Gartenkunst als befruchtend und hielt sie als Zeichen von eigenständiger Kunstauffassung auch in den eigenen Reihen für wichtig. Ein Ergebnis dieser Diskussionen war die so genannte Reformgartenkunst, die funktional-architektonische Anlagen hervorbrachte.

Otto Linne, Hamburgs erster Gartendirektor, gehört zu den schaffenskräftigsten Reformgartenkünstlern und dies nicht nur wegen seiner Arbeit in der Hansestadt. Aber ist der Titel Reformer korrekt?

Linnes Werke – ausgewählte Anlagen

Bei seinen ersten Anstellungen in Magdeburg und Erfurt hielt Linne sich in Orten mit einer eher guten Grünflächenversorgung auf: Magdeburg galt als Vorreiter bei der Schaffung des öffentlichen Grüns, und Erfurt war bereits gut durchgrünt. Dies macht sich auch in Linnes Arbeiten bemerkbar: Planerisch ist sein Wirken in Erfurt noch von sehr unterschiedlichen stilistischen Mitteln gekennzeichnet. Während Denkmalstandorte durch Teppichbeete repräsentativ gestaltet wurden, war die Fläche der Gartenbauausstellung in Erfurt im gemischten Stil angelegt: kleine Anlagen waren entweder landschaftlich oder streng funktional gestaltet. Am städtischen Krankenhaus und Frauenbad plante Linne 1903 seinen ersten Spielplatz. Auch innerstädtische Grünzüge treten in Erfurt mit der Uferstraße und dem Karthäuser Ring erstmals auf. Der Nordpark in Erfurt war ein Volkspark, den Linne im Rahmen der Stadterweiterung erstmals funktional plante, wobei er aber Wert auf den Erhalt des genius loci legte.

1908 wurde Linne Gartendirektor in Essen, einer Stadt, die im Gegensatz zu Erfurt erhebliche städtebauliche Probleme zu lösen hatte. Auch hier setzte Linne die Neuorganisation der Gartenverwaltung durch. Zu Linnes ersten Planungen in Essen gehörte die Umgestaltung des Stadtwaldes in eine öffentliche Erholungsanlage. An diesem Entwurf ist die Entwicklung Linnes gut zu erkennen. Der Zeit- und Finanzdruck in Essen führte zu einer stark vereinfachten, funktional-schematischen Darstellung, die Lage in der Bevölkerung zu einer Planung, die zunehmend die Benutzbarkeit und nicht mehr die reine Ästhetik im Blick hatte. Weitere Planungen Linnes in Essen waren Arbeiten im Villenviertel Haumannshof (mit seinem ersten Planschbecken) und Innenparkanlagen im Wohnungsbau. Zudem plante Linne Anlagen in Kruppschen Arbeitersiedlungen.

1914 kam Otto Linne nach Hamburg als erster Gartendirektor dieser Stadt. Bis dahin hatte die Baudeputation die Zuständigkeit für das öffentliche Grün wahrgenommen. Parallel dazu gab es eine eigene Friedhofsdeputation. Zu diesem Zeitpunkt verfügte Hamburg über 46 Spiel-, Sport- und Turnplätze mit einer Gesamtgröße von 8,72 ha (Zum Vergleich: Köln 51,9 ha, Leipzig 56 ha, Hannover 70,44 ha). An öffentlichen Anlagen waren in Hamburg 1,6 qm pro Kopf vorhanden. Das Nutzungsangebot war ebenfalls gering. Die meisten Anlagen kamen nur den nächsten Anwohnern und nicht der weiteren Bevölkerung, am allerwenigsten aber der Jugend zugute, der jedes Betreten der Rasenflächen streng untersagt war. Linne begann zunächst mit dem Aufbau einer Gartenverwaltung, der jedoch erst 1929 abgeschlossen war. Selbst nach Dienstantritt musste er sich seinen Zuständigkeitsbereich erkämpfen. Erst im Mai 1914 gelang es Linne beispielsweise die gärtnerischen Ausführungsarbeiten des Stadtparks unter seine Leitung zu bekommen. Hier war er für die Ausgestaltung und Umsetzung eines Großteils der Grün- und Freiflächen zuständig. Dennoch soll auf den Hamburger Stadtpark an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterbrach zunächst den weiteren Aufbau des Gartenwesens. Schwerpunkte der Arbeit des Gartenwesens waren die dicht bebauten Stadtteile Rothenburgsort/Hammerbrook, Eimsbüttel, Eppendorf und Barmbek, wo Linnes Wirken zum Teil bis heute erkennbar ist.

Plan Hammer Park
Plan für den Hammer Park an der Sievekingsallee, unten rechts gezeichnet: Linne 1924 (Foto: Archiv BSU)

Die erste Volksparkanlage, die Linne völlig eigenständig gestaltete, war der Hammer Park. Die typische Handschrift Linnes ist im Heckengarten und an der Vielseitigkeit der Gesamtanlage zu erkennen: Sportflächen, eine Spielwiese, ein Planschstrand, repräsentativ gestaltete Bereiche, aber auch waldartiger Gehölzbestand wurden unter Berücksichtigung des vorhandenen Bestandes und des Volksparkgedankens zu einer sehr gut nutzbaren Parkanlage zusammengefügt. Es entstanden der erste Alte-Leute-Garten, Pinkelwinkel, aber auch Gebäude mit Toiletten und einer öffentlichen Stillstube, allesamt für Linne typisch und zum Teil von ihm erfunden. Die Lage des Parks inmitten von dichten Wohngebieten sorgte für eine große Beliebtheit und zahlreiche Besucher. Wie in fast allen anderen Anlagen legte Linne Wert auf die Ausstattung des Parks mit Werken der bildenden Kunst. Die Grundidee und die Hauptstrukturen der Linneschen Gestaltung sind immer noch erkennbar.

Im Bereich der Dulsberg-Siedlung schuf Linne öffentliche Grün- und Freiflächen, während Schumacher für das städtebauliche Konzept zuständig war. Die zentrale Fläche wurde als Grünzug mit einer Abfolge verschiedener Funktionsbereiche gestaltet: Es gab eine Festwiese, einen Sandspielplatz, drei Alte-Leute-Gärten, zwei Liegerasen, ein Planschbecken, Rosengärten, Ruhegärten, Sportplätze seitlich des Grünzugs, Stauden- und Sommerblumengärten sowie einen Kleinkinderplatz. Allein der Sandspielplatz hatte eine Größe von 8.500 qm. Während sonst die Alte-Leute-Gärten eher an ruhigen Stellen anzutreffen waren, hatte Linne sie am Dulsberg im Brennpunkt des Geschehens angeordnet. Der Grünzug war somit die Kommunikationsachse der Siedlung. Kriegsbedingt wurde vieles zerstört und die Grünfläche nur in vereinfachter Form neu aufgebaut.

Heckenbögen Bebelallee
Heckenbögen charakterisieren den von Otto Linne geplanten Grünzug an der Bebelallee in Hamburg-Winterhude (Foto: Archiv BSU)

Linne entwarf in Hamburg zudem mehrere übergeordnete Grünzüge, einer davon war der Lohmühlenpark, 1925 vor dem Krankenhaus St. Georg angelegt. Ein zweiter übergeordneter Grünzug von großer Bedeutung entstand im Zuge der Alsterkanalisierung in Zusammenarbeit mit Fritz Schumacher. Parallel dazu schuf Linne den Grünzug an der Bebelallee mit Heckengärten und Heckenbögen. Etwas weiter alsteraufwärts befindet sich das Ohlsdorfer Schwimmbad und die Fuhlsbüttler Schleuse, an denen Linne ebenfalls mitwirkte.

Linne – ein Reformer?

Von 1914 bis 1929 wurden in Hamburg sechs neue Parkanlagen mit insgesamt 186 ha, drei neue Grünzüge mit 12 ha, 13 Spiel- und Lagerwiesen mit 34 ha, 78 Kinderspielplätze mit 14 ha, 38 Sportplätze mit 60 ha und 91 Dauerpachtgärten geschaffen. Die Zahlen sind umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass Hamburg zu diesem Zeitpunkt noch nicht die heutigen Bezirke Altona, Harburg und Wandsbek umfasste, und dass darin vier Kriegsjahre, die Inflationszeit und der parallele Aufbau der gesamten Verwaltungsstruktur enthalten sind. Heute bilden die (immer noch modernen und nutzbaren) Anlagen Linnes den Schwerpunkt des öffentlichen Grüns im zentralen Hamburg und zweifellos ist die funktional-architektonische Formensprache, die Linne seit seiner Essener Zeit verwendete, der Reformgartenkunst zuzurechnen. Die Anforderungen an neuartige Grünflächen, z.B. in Siedlungen, die Alte-Leute-Gärten, Planschbecken, Pinkelwinkel und ähnliches sowie nicht zuletzt der Aufbau einer völlig neuen Verwaltung geht jedoch weit über eine Reform hinaus, Linne war also Reformer und Schöpfer zugleich.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Otto Linne der Reformer (Mai 2007).
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