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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Was tun mit Grabsteinen mit Nazi-Symbolen?

Meine These: Wer sie heute einfach wegmeißeln will, der macht es sich gefährlich leicht!
Warum?

Neben den großen, zusammenfassenden Grabanlagen von Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft und speziell denen für Menschen des Widerstandes zeigen die Grabsteine vor allem der Zeit von 1934 bis 1939 überall auf dem Friedhof, dass dies eine neue Zeit war mit neuen Symbolen, durch die sich die Menschen gekennzeichnet sahen: Technische Geräte, berufsständische Zeichen, Waffen und Eichenlaub, für Frauen öfter Blumen – und eben Zeichen von Nazi-Organisationen. Die Zahl der christlichen Symbole scheint mir in diesen Jahren deutlich geringer.

Beunruhigend sollte für uns sein, dass die Menschen in der zweiten Hälfte der 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts vermutlich ebenso intelligent oder dumm oder stark oder schwach wie die heutigen Hamburger waren.

Deshalb hat das Tilgen von Nazi-Symbolen durch Menschen unserer Zeit, die nie dem Druck und den Versuchungen und der hämmernden Propaganda dieser Diktatur ausgesetzt waren – Gott sei Dank! – auch etwas Selbstgerechtes. Sind wir heute sicher, dass wir als jüngere oder ältere Menschen die Einsicht und die Kraft zum Widerstand gehabt hätten? Sind diese Nazi-Symbole als persönliche Bekenntnisse auf Grabsteinen nicht ein Stachel in unserem Fleisch, da sie die auch bei vielen von uns lauernde Schwäche aufzeigen? Wäre dann das Wegmeißeln ein Akt der Entlastung für uns Heutige?

Gerade jüngeren Menschen müssen wir klar machen, dass sich in der genannten Zeit die NS-Herrschaft wohl auf eine Mehrheit stützen konnte, alles andere wäre eine Verharmlosung der damaligen Diktatur und der menschlichen Natur. Der Widerstand war heroisch – aber eine Minderheit. Sehr viele, gerade auch junge Menschen erlebten die Zeit als eine des Aufbruchs, schneller, aufregender technischer Entwicklungen, als eine Zeit, in der junge Leute an die Macht kamen (Karl Kaufmann, der Hamburger NS-Gauleiter, war bei der Machtübernahme 1933 erst 32 Jahre alt!).

Deswegen müssen wir möglichst viele der für diese dunkle Zeit typischen Steine erhalten, nach meiner Vorstellung an einem Ort zusammentragen, sehr gründlich mit Tafeln erklären und anregen, dass Gruppen, vor allem Schulklassen, den Ohlsdorfer Friedhof als Quelle der Zeitgeschichte besuchen. Hierfür sind Unterrichtsmaterialien für Erkundungen herzustellen. Ich bin sicher, dass mit heutigen Verfügungsberechtigten auch über eine Freigabe von Steinen gesprochen werden kann. Thematisch wären neben direkten NS-Symbolen auch Steine mit der Idealisierung von Waffen, Kriegstechnik und Kampf einzubeziehen. Natürlich wäre vor dem Hintergrund der Gefahr von Vandalismus oder auch aktueller Verherrlichung eine solche Sammlung politisch heikel, und ein beschränkter Zugang wäre sinnvoll – aber die aktuelle Diskussion zeigt, dass das Problem mit über den Friedhof verstreuten Steinen auch heute besteht.

Meine Hoffnung als Pädagoge: Wer die Grabanlagen für den Widerstand, die der KZ-Opfer und der Kriegsgefangenen, der Bombenopfer und der englischen Soldaten und eben die Gräber mit Nazi-Symbolen gesehen hat, versteht – hoffentlich – die damalige Zeit und sich selbst heute und die Gefahren seiner Gegenwart besser. Und nebenher hat er Ohlsdorf als Ort der Friedhofskultur und als wunderbaren Park kennen gelernt.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Steine des Anstoßes (November 2006).
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