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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Das ewige Leben: Religiöse Symbolik auf dem Grabstein eines Aufklärers

Am 5. Oktober 1804 starb in Lübeck der Schulrektor und bedeutende Aufklärer Friedrich Daniel Behn. Er fand seine letzte Ruhestätte auf dem St.-Lorenz-Friedhof.

Friedrich Daniel Behns Grabstätte wird durch einen abgestuften Obelisk aus Sandstein geschmückt.1 Das in harmonischen klassizistischen Formen gestaltete Grabmal trägt eine Inschrift und zahlreichen symbolischen Schmuck, der über die religiös-philosophische Gedankenwelt von Friedrich Daniel Behn Auskunft gibt.

Der St.-Lorenz-Friedhof war ein außerstädtischer Friedhof und ursprünglich 1597 – im Kontext einer Pestseuche – als Begräbnisplatz zusammen mit einem Pestspital angelegt worden. Am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jh. ließen sich auf diesem vor dem Holstentor gelegenen Friedhof entweder Menschen, die vor dem Holstentor außerhalb der Stadt lebten, oder Arme, die sich ein innerstädtisches Begräbnis nicht leisten konnten, bestatten. 1798 verfasste Brandes in Lübeck eine Schrift, mit der er für ländliche Gottesacker warb und aus hygienischen Gründen eine Verlegung der Friedhöfe vor die Stadt anregte und sich wünschte, dass "gerade wohlhabende, einsichtige und aufgeklärte Männer hier ein Beispiel geben" und sich außerhalb der Stadt beerdigen lassen sollten.2 Der erste Lübecker Bürger, der einen Familienangehörigen auf dem St.-Lorenz-Friedhof bestattete, war Friedrich Bernhard von Wickede, dessen 1786 gestorbene Frau Anna hier ruht. Ihm folgten u.a. Kaufleute und Ärzte (Walbaum), doch blieb die Bestattung vor den Toren bis 1832 eine Ausnahme.

Die Inschrift, die Friedrich Daniel Behn gewidmet ist, beschreibt ihn sowohl in seinem öffentlichen wie in seinem privaten Wirken als einen aufgeklärten Bürger. Auf der Vorderseite finden sich neben seinem Namen und seiner Berufsangabe "des Lübeckischen Gymnasiums Rector" seine und seiner Frau Lebensdaten. Friedrich Daniel Behn war nach seinem Studium in Jena 1763 Subrector und 1799 Rector des Katharineums in Lübeck geworden. Die rückseitige Inschrift würdigt ihn: "Bewährt durch reinen frommen Sinn, helle Einsicht, gründliches Wissen, seltene Berufstreue, hochherziger Bürger, eifriger Lehrer, zärtlicher Gatte, fühlender Vater. Geachtet, geliebt, verehrt, den Seinen, ach, unvergeszlich." Friedrich Daniel Behn wird geschildert als ein Mann von Gefühl, der – fromm, klug und tätig – sich als Bürger versteht. Er erscheint damit als ein Mann der Aufklärung, die in Lübeck seit 1770/80 Fuß zu fassen begann.

Sein Wirken als Aufklärer vollzog sich – auch darüber gibt das Grabmal Auskunft – im Rahmen zweier bedeutender Vereinigungen Lübecks: der 1793 aus der 1789 gegründeten Literarischen Gesellschaft hervorgegangenen Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit und einer der freimaurerischen Logen, die in Lübeck bestanden. Jeweils am Fuß des Obelisken, oberhalb des Sockels, deutet auf der Vorderseite ein Bienenkorb auf die Gemeinnützige und auf der Rückseite weisen Zirkel, Dreieck und Winkelmaß auf das Freimaurertum hin.3

Friedrich Daniel Behn gehörte 1789 zu den Mitbegründern der Literarischen Gesellschaft, er war während seines Studiums in Jena Mitglied der 1728 gegründeten "teutschen Gesellschaft" zur Förderung der Muttersprache und der deutschen Redekunst, zu deren Mitgliedern auch Lessing und Klopstock gehörten. In Lübeck war er u.a. bekannt mit Daniel Heinrich Hasentien, der ebenfalls zu den Gründern der Gemeinnützigen zählte und seit 1789 Meister vom Stuhl der Loge zum Füllhorn und Sekretär der Weltkugel war.4 Es lässt sich vermuten, dass Behn sich mit den humanistischen und philantropischen Zielen sowohl der Logen wie der Gemeinnützigen identifizierte. Dazu gehörte neben dem wissenschaftlichen Austausch auch das gemeinnützig-tätige Wirken in die Gesellschaft hinein. Noch zu Lebzeiten Behns brachte die Gemeinnützige zahlreiche auf Verbesserung der sozialen Vor- und Fürsorge bedachte Unternehmungen auf den Weg, darunter eine Rettungsanstalt für im Wasser Verunglückte, eine der ersten deutschen Flussbadeanstalten, eine Kreditkasse für Gewerbetreibende, eine Sonntagsschule für Knaben und eine Industrieschule für Mädchen. Behn beteiligte sich durch Schriften und Vorträge an den zeitgenössischen wissenschaftlichen, pädagogischen und vor allem auch theologischen Diskussionen.5

In Lübeck setzte sich in der lutherischen Kirche nach der Spätorthodoxie seit 1779 der Rationalismus durch. Die "aufgeklärteste und erfreulichste Religion Jesu" sollte sich als eine das Gewissen schärfende Kraft, als eine den Verstand erleuchtende Lehre und als Lebenshilfe in allen alltäglichen Fragen bewähren.6 Friedrich Daniel Behn verfasste während seiner Tätigkeit als Schulrektor mindestens drei theologische Schriften: 1778 eine "Verteidigung der vornehmsten Wahrheiten der Christlichen Religion vornehmlich gegen die neuen Angriffe", 1781 folgten "Gedanken von den Geheimnissen der Dreieinigkeit" und über mehrere Jahrzehnte eine "Eine neue Theodizee." Ein Kreuz sucht man auf seinem Grabstein jedoch vergeblich. Der symbolische Schmuck besteht zunächst aus einem Ouroboros und einer geflügelten Sanduhr, die sich jeweils unterhalb der Spitze des Obelisken befinden. Der abgestufte Sockel enthält auf beiden Seiten des Grabmals eine rundbogige Nische. Auf der Vorderseite enthält sie eine Urne mit der Inschrift: "Sie ruhen nur" und auf der Rückseite eine hängende Öllampe. Neben der Urne befindet sich in den Zwickeln noch jeweils ein Tränenfläschchen.

Grabmal Behn
Behn-Grabmal auf dem Lübecker St.-Lorenz-Friedhof (Foto: S. Zander)

Das "Bild"-Programm lässt sich als ein Manifest des Vertrauens in ein ewiges und als ein Plädoyer für ein tugendhaftes Leben lesen. Die geflügelte Sanduhr auf der Vorderseite ist ein Hinweis auf die irdische Vergänglichkeit des Menschen und das unaufhaltsame Verrinnen der Zeit. Gleichzeitig gilt die Uhr durch ihre gleichmäßige Bewegung als Sinnbild für die Mäßigkeit, die als Tugend verstanden wird. Die Öllampe in der Nische der Rückseite lässt sich mit dem Gleichnis der Klugen und der Törichten Jungfrauen in Mt. 25, 1-13 verbinden. Nur wer seine Öllampe gefüllt hält und sich damit auf die Ankunft des Bräutigams (= Christus) bereit hält, wird in das ewige Leben eingehen. Die Lampe könnte im Kontext des Behn’schen Grabmals vorsichtig als Hinweis auf ein tätiges, der Gemeinschaft nützliches Leben gedeutet werden. In seinen Schriften hat er die von Gott dem Menschen eingepflanzten "gemeinnützigen Triebe" zusammen mit dem "Religionstrieb" als die eigentlichen Quellen der Tugend bezeichnet.7

Der Ouroboros auf der Vorderseite des Grabmals gleicht in seiner Form einem Kreis. Bei den Neuplatonikern galt die sich in den Schwanz beißende Schlange als Repräsentantin des Kampfes zwischen dem Guten und dem Bösen, die sich die Herrschaft über die Welt streitig machen. Durch ihr Vermögen, sich regelmäßig zu häuten, steht die Schlange für die Kraft der Erneuerung. Die zum Kreis geschlossene Schlange steht für den ewigen Kreislauf des Lebens, das Entstehen und das Vergehen zugleich. Zusammen mit den Urnen, die die sterblichen Überreste der Toten bergen, lassen sie sich als Hoffnung und bei Friedrich Daniel Behn wohl als Gewissheit lesen, dass der Tod aufgehoben ist in diesem Kreislauf des Lebens. Das "Sie ruhen nur" verbalisiert diese Gewissheit um ein Weiterleben nach dem Tod. Behn wandte sich in seiner "Vertheidigung" gegen die "Freygeister", die "grausam genug" seien, den Menschen "den Glauben, und mit diesem alle Beruhigungen in den Stunden der Widerwärtigkeiten und den Trost" rauben zu wollen, den "die Aussicht in eine freudenvolle Ewigkeit auch im Tode noch verschafft."8

Friedrich Daniel Behns Grab verbindet in seiner Symbolik den traditionellen christlichen Glauben an ein ewiges Leben mit den Insignien eines bürgerlich-humanistisch-tätigen Christentums, das typisch für die Aufklärung ist.

1 Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck, Band IV, S. 443.
2 Brandes: Der ländliche Gottesacker, Lübeck 1798, zitiert nach: Rüdiger Kurowski: Medizinische Vorträge in der Lübecker Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit 1789-1839, Lübeck 1995 (= Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck Reihe B Band 25), S. 73.
3 Zirkel und Winkelmaß finden sich z.B. auch auf dem Grabstein des Meisters vom Stuhl der jüngeren Loge in Stuttgart Friedrich v. Koelle (gest. 1848), Friedhof Hoppenlau in Stuttgart.
4 Hasentien verfasste 1766 ein Glückwunschgedicht zur Hochzeit Behns. Sein Lebenslauf in: Adolf Kemper: Geschichte der Loge zur Weltkugel in Lübeck, Lübeck 1929, S. 13.
5 1770 beschrieb er u.a. ein in Lübeck sichtbares Nordlicht (gedruckt Lübeck: Donatius), 1801 legte er Vorschläge zur Reform der Lübeckischen hohen Schule nach pädagogischen Grundsätzen (gedruckt Lübeck: Bohn) vor.
6 Wolf-Dieter Hauschild: Kirchengeschichte Lübecks. Christentum und Bürgertum in neun Jahrhunderten, Lübeck 1981, S. 360.
7 Friedrich Daniel Behn: Verteidigung, S. 84.
8 Ebd., S. 61.

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