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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Tod, Bestattung und Trauer nach dem Zweiten Weltkrieg in Stormarn

Wie schon während des Zweiten Weltkriegs – etwa bei der Bombardierung der späteren Stormarner Kreisstadt Bad Oldesloe im April 1945 – so blieb auch im Alltag nach Kriegsende der Tod ein ständiger Wegbegleiter.

Die Flüchtlinge und Vertriebenen hatten ihn unterwegs erfahren: Alte und kranke Menschen starben auf den Trecks, Kleinkinder verhungerten einfach, weil es keine Milch gab. Die Menschen wenigstens versuchte man noch zu beerdigen, auch in der gefrorenen Wintererde. Die toten Tiere aber musste man am Wegesrand liegen lassen.

Aber der Tod war nicht nur für die Flüchtlinge, die aus dem Osten kamen, stets präsent. Zu viele in Stormarn hatten durch die Kriegs- und Notjahre körperlich gelitten. Krankheiten wie die Tuberkulose tauchten verstärkt wieder auf. Allein unter denjenigen, die im nordstormarnschen Reinfeld in den Jahren zwischen 1945 und 1950 starben, wurde in 42 Fällen Tuberkulose als Todesursache angegeben. Und im Jahr 1948 stand die Tuberkulose sogar an erster Stelle der Todesursachen, noch vor Herzkrankheiten und Krebs. Scharen von Kindern, vor allem aus den Städten, wurden deswegen zur prophylaktischen Erholung aufs Land und an die See geschickt.

Auch der Vater der Reinfelderin Thea Buhr starb an Tuberkulose. Er kam, bereits von der Lungenkrankheit gezeichnet, von der Handelsmarine Ende 1944 zurück nach Reinfeld. Aber die Heilstätten waren überfüllt, und so erhielt er erst ein knappes Jahr später einen Behandlungsplatz in der Lungenheilstätte Edmundstal-Siemerswalde auf dem Hohen Elbufer bei Geesthacht.

Die Besuchsfahrten zu dem vom Tod gezeichneten Vater werfen ein bezeichnendes Licht auf die Lebensumstände in der direkten Nachkriegszeit. Thea Buhr hat ihre Erinnerungen aufgezeichnet: „Anfangs fuhren wir noch in Decken gehüllt auf einem offenen Güterwagen, der zum Teil mit Briketts beladen war. Und wer nicht schnell genug auf einen Waggon geklettert war, musste zurückbleiben. Und während der Weiterfahrt standen an den Gleisen Menschen und baten uns, ihnen von den Briketts zuzuwerfen. Natürlich konnten wir die Bitten nicht erfüllen, da ja sonst unsere eigene Weiterreise gefährdet gewesen wäre.“

Noch schwieriger wurde die Lage, als dann einige Monate später, Anfang März 1946, die Nachricht vom Tod des Vaters kam: „Wir wussten, dass Tuberkulose-Kranke nach dem Tod schnellstens beerdigt wurden. Vor uns aber lag ein Wochenende, und wir wollten meinen Vater auf jeden Fall und um jeden Preis zu Hause in Reinfeld auf dem Friedhof beerdigen. Als erstes schickten wir ein Telegramm nach Geesthacht, damit sie meinen Vater dort nicht vorschnell beerdigten. Heute würde man natürlich telefonieren, aber wer hatte damals schon als Privatperson ein Telefon? Und wie sollte man jetzt nach Geesthacht kommen? Immerhin, es gab damals bereits ein Taxi-Unternehmen in Reinfeld mit einem Auto und einem Fahrer. Aber für so eine weite Tour hatte er einfach nicht genügend Benzin. Jedoch: Das hatten wir nun wieder, irgendwo gut versteckt. Man konnte eben damals alles gebrauchen zum Tausch…“ Nach zähen Bemühungen konnte man schließlich auch einen Sarg besorgen und die Überführung nach Reinfeld durchsetzen. Der Vater wurde am 6. März 1946 beigesetzt, die Trauerkleidung für die Hinterbliebenen musste zu diesem Anlass erst noch entsprechend eingefärbt werden.

Auch in der Folge sollte sich die Trauer, den äußeren Umständen entsprechend, noch so ganz anders äußern als heute, wie Thea Buhr schreibt: „So erinnere ich mich an den ersten Todestag, den 1. März 1947, als ich mit einem großen Kranz allein zu Fuß auf der Chaussee, der Bundesstraße 75, durch den tiefen Schnee stapfte, um zum Friedhof zu kommen. Die wenigen Fahrzeuge hatten kaum sichtbare Spuren hinterlassen, die das Schneetreiben gleich wieder verwehte. Und meine Mutter lag zu Hause im Bett – sie hatte sich beim Holzsammeln im Wald das Bein gebrochen...“

Es ließen sich viele andere Beispiele anführen, wie nah der Tod in der ersten Nachkriegszeit in Stormarn und anderswo war. Als besonders tragisch mag man es empfinden, dass 27 Männer aus Stormarn, die bei der Kohleförderung auf einer Zeche in Grimberg (bei Bergkamen) halfen, durch eine Schlagwetterexplosion am 20. Februar 1946 ums Leben kamen – als hätte es nicht schon genug Tote gegeben... Insgesamt starben bei dieser Bergwerkskatastrophe über 400 Menschen. Die Stormarner Toten kamen aus Pölitz, Westerau, Gut Wulmenau, Zarpen, Steinfelder Wohld, Klein Wesenberg, Mönkhagen, Willendorf, Harksheide und anderen Orten.

Geringfügig bearbeiteter Nachdruck aus: Norbert Fischer: Überleben – Leben – Erleben. Die Nachkriegszeit und fünfziger Jahre in Stormarn. Neumünster, 1996 (Wachholtz-Verlag)

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Sterben und Tod um 1945 (Mai 2005).
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