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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Wo der Schornstein nicht mehr raucht

Autor/in: Rolf Kuhles
Ausgabe Nr. 83, IV, 2003 - November 2003

Auf dem grünen Friedhof Öjendorf im Osten von Hamburg liegt idyllisch von stattlichen Eichen und Buchen umgeben das Hamburger Krematorium.

Besucher, die zum ersten Mal zum Krematorium kommen, fahren schon mal vorbei, denn im Sommer kann man es in der Senke nur schwer erkennen. Die aus der Vergangenheit stammende Methode, suchst du auf dem Friedhof das Krematorium, dann vertraue deiner Nase, hilft nicht mehr. Das Hamburger Krematorium hat einen geringeren Schadstoffausstoß als ein Vierfamilienhaus. Das war aber nicht immer so.

Als in den 1990er-Jahren die 27. Bundesimmissionsschutzverordnung für Krematorien bindende Höchstwerte für den Schadstoffausstoß festlegte, hatten wir im Krematorium auf dem Öjendorfer Friedhof gute Karten. Hier gab es schon moderne Rauchgasreinigungsanlagen. Anders im Ohlsdorfer Krematorium - hier konnten die geforderten Werte, ohne umfassende Modernisierung, nicht erreicht werden. In einem denkmalgeschützten Schumacher-Bauwerk gelegen, gab es keinen aus wirtschaftlicher Sicht möglichen Weg zur Modernisierung. Nach langer, verantwortungsvoller Arbeit bei der Gegenüberstellung des "Für und Wider" fiel die Entscheidung für Öjendorf und die Erweiterung des dortigen Krematoriums.

Hamburger Krematorium
Das Hamburger Krematorium in Hamburg-Öjendorf (Foto: Schulze)

Der 1. Januar 1995 war ein wichtiger Tag in meinem Leben: Einstellung bei den Hamburger Friedhöfen und Übernahme des Krematoriums auf dem Öjendorfer Friedhof - ein neuer Lebensabschnitt begann. Als mein Vorgesetzter und später mein väterlicher Freund Uwe Prasse im Oktober 1996 in seinen wohlverdienten Ruhestand ging, übergab er mir eine gut funktionierende Abteilung mit der spannenden Aufgabenstellung:

Verlagerung aller Einäscherungen in das Krematorium Öjendorf und Stilllegung des Krematoriums Ohlsdorf,

Einführung von FRITS, ein auf dem gesamten Friedhof angewendetes Computersystem und damit Neuorganisation aller Abläufe,

Mittelfristige Planung und Umsetzung der Kapazitätserweiterung und Erneuerung der bestehenden Einäscherungsanlagen in Öjendorf.
Für genügend Arbeit war gesorgt. Verständnisvolle und hochmotivierte Mitarbeiter waren ein wesentlicher Grund dafür, dass im November 2000 alle Aufgaben erfüllt waren und trotzdem keine Einschränkungen im Einäscherungsprozess vorgenommen werden mussten. Fünf moderne neue Einäscherungsanlagen rechtfertigen nun die Bezeichnung "Hamburger Krematorium". Der Name Hamburger Krematorium steht heute für Zuverlässigkeit und Schnelligkeit. Einäscherungen werden mit höchstem Standard, schnellstmöglich und in angemessener Würde durchgeführt. Wie hoch die Standards in Fragen der Luftreinhaltung sind, sollen wenige Zahlen belegen:

1. Die zugelassene Staubmenge in einem m3 Abluft darf 10 mg nicht überschreiten. Unsere Messergebnisse liegen bei 0,5 bis 1,0 mg/m3.

2. In einem m3 Abluft darf der Gesamtanteil an organischem Kohlenstoff nicht 20 mg überschreiten. Bei uns gemessen wurden 1,5 bis 4,5 mg/m3.

3. Höchste Anforderungen werden an die Dioxin- und Furanebelastung gestellt. Hier ist ein Grenzwert von 0,1 ng/m3 angesetzt. Alle bisher bei uns gemessenen Werte lagen im Bereich von 0,002 bis 0,0023 ng/m3.

Der Tag der Freigabe zur Einäscherung ist gleich dem Einäscherungstag. Diese Aussage trifft für 80% der im Hamburger Krematorium durchgeführten Einäscherungen zu. Mit der uns zur Verfügung gestellten modernen Technik sind wir in der Lage, täglich bis zu 90 Einäscherungen durchzuführen. Man kann erkennen, dass Behauptungen von langen Wartezeiten für die Angehörigen von Verstorbenen bis zur Beisetzung der Urne doch wohl in Bereichen außerhalb des Krematoriums zu suchen sind. Selbst zu planmäßigen Ausfallzeiten durch Wartungsarbeiten und Kontrollen durch den Bezirksschornsteinfeger garantieren wir jede Einäscherung innerhalb von drei Werktagen.

Die Frühschicht hat ihre Arbeit aufgenommen, erste Gespräche sind geführt und der Pultmann hat sich mit den anliegenden Aufgaben befasst, da rollt schon das erste Auto die Einfahrt herunter. Der Arzt vom Institut für Rechtsmedizin kommt zur Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen zweiten Leichenschau wie an jedem Arbeitstag. Man begrüßt sich und manchmal wird auch gescherzt, denn man kennt sich durch zum Teil jahrelange Zusammenarbeit. Sind alle höflich und nett, gewählt in der Ausdrucksform, ist die Ursache eine der hübschen jungen Ärztinnen aus dem Team von Prof. Püschel. In so einem Fall ist es auch einfacher, sofort die beiden Kollegen zur Unterstützung zu benennen. Dann aber beginnt die verantwortungsvolle Arbeit.

Montag, pünktlich um 6.00 Uhr, werden im Krematorium die fünf Einäscherungsanlagen angestellt. Übers Wochenende sind sie etwas abgekühlt, aber die zugeschalteten Brenner erhitzen das Mauerwerk in den Brennkammern sehr schnell, und die ersten Särge können zur Kremierung eingefahren werden. Ein Vorgang, der sich jetzt bis Samstag, 1.30 Uhr, ununterbrochen wiederholt. Die Anlagenwarte sind gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter, die in der Lage sind, Fehler sofort zu erkennen und kleinere Störungen selbstständig zu beheben. Sorgfalt und volle Konzentration bei der Arbeit sind Grundvoraussetzung für die eigenen Anforderungen an die Sicherheit. In diesem sensiblen Bereich unserer Arbeit sind Fehler nur sehr schwer zu beheben - wenn überhaupt. Für mich habe ich den Anspruch erhoben, jedem Angehörigen eines von uns eingeäscherten Verstorbenen beruhigt in die Augen sehen zu können und zu sagen: In dem Aschegefäß, welches sie beisetzen, ist ausschließlich die Asche ihres Angehörigen. Der unbedingt notwendige selbst auferlegte Abstand zu dem einzelnen Verstorbenen wird immer dann stark verkürzt, wenn man in irgendeiner Form mit den Angehörigen zu tun hat. Sehr schwer für alle Mitarbeiter der Verstorbenenhalle wird es immer dann, wenn ein junger Mensch oder ein Kind verstorben ist und hier die Vorbereitungen für einen Abschied am offenen Sarg vorgenommen werden müssen.

Mitarbeiter des Krematoriums schieben Särge auf Transportwagen aus einem Kühlraum in die Einfuhrmaschinen der Kremationsanlagen. Über das Steuerpult der Anlage wird jetzt durch einen Knopfdruck der Befehl zum Abheben des Sarges gegeben. Nachdem der Transportwagen weggezogen wurde, ist der Sarg in der Einfuhrposition. Die Einäscherung wird jetzt angefordert, ein technisches Programm beginnt mit der Abarbeitung notwendiger Vorgänge. Die Saugzüge werden in der Drehzahl erhöht, der Gasrückkühler wird abgereinigt, und die Gaszufuhr wird gesperrt. Wenn man die Abreinigung des Gasrückkühlers akustisch hört, ist der Zeitpunkt des Beginns der neuen Kremation gekommen. Jetzt laufen alle Prozesse automatisch ab, und der Bediener der Anlage hat nur Überwachungsaufgaben zu erfüllen. Der Schieber, ein mit Schamottesteinen ausgemauertes stählernes Tor, öffnet sich und gibt den Blick auf die vollständig geräumte Hauptbrennkammer und rotglühendes Mauerwerk frei. Die Einfuhrmaschine setzt sich in Bewegung und fährt den Sarg langsam in die Anlage ein. Die hohe Strahlungsenergie der glühenden Steine entzündet den Sarg, noch bevor er in der Hauptbrennkammer auf dem Boden abgesetzt ist. Nachdem die Einfuhrmaschine den Sarg abgesetzt hat und die Hauptbrennkammer verlassen hat, schließt sich der Schieber.

Die Einäscherung ist beendet, das Behältnis mit den sterblichen Überresten ist der Anlage entnommen, es beginnt die Befüllung des Aschegefäßes. Dazu werden zunächst künstliche Hüftgelenke, Kniegelenke und andere Implantate entnommen. In einer Ascheaufbereitungsanlage wird dann die vollständige Trennung der sterblichen Überreste und der verbrannten Rückstände von Sarg und Sargbeigaben vorgenommen. Ist das Aschegefäß gefüllt, ein nummerierter Erkennungsstein beigefügt und mit dem Deckel verschlossen, kann beigesetzt werden.

Der Kreislauf ist geschlossen, die Kollegen aus dem Krematorium und der Verstorbenenhalle nutzen ihre kurzen Pausen zwischen Einäscherungen und Anlieferungen durch die Bestatter zur Erholung in den selbst angelegten und gut gepflegten Grünanlagen und vor ihrer Vogelvoliere. Das Rauschen des umgebenden Waldes, der Duft der selbstgezogenen Blumen und das Gezwitscher der Kanarienvögel helfen, die angeschlagene Psyche wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Aber schon wieder rollt ein Bestattungsfahrzeug auf den Hof, und die volle Aufmerksamkeit und Einsatzbereitschaft ist gefordert.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft 125 Jahre Krematorien in Deutschland (November 2003).
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