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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die Entwicklung der Verwendung von Gesteinsmaterialien für Grabmale seit 1945: Versuch einer Erklärung

Die Materialwahl für ein Grabmal ist von einer Vielzahl von Kriterien abhängig, die gemeinsam bewertet zu einem Konsens in der Auswahl führen.

So spielt der Zeitgeschmack eine ebenso große Rolle, wie die Kostenfrage, der Ort der Aufstellung und die Friedhofsvorschrift: alles ist bedeutsam für das Materialangebot, welches der Steinmetz vorhalten muß. Sogar politische Umstände sind verantwortlich, gleichwohl wenig sympathisch, für die Materialauswahl. Wenn wir an die Zeit von 1933-45 denken, so war auf vielen Friedhöfen ausschließlich Material aus deutschen Steinbrüchen vorgeschrieben, eine zumindest für das Handwerk dankbare und somit logisch nachvollziehbare Verordnung: Sollte doch so gewährleistet werden, daß "heimischer Werkstoff" von deutschen Arbeitern für deutsche Handwerker auf deutschen Friedhöfen Verwendung finden (mußten). Ein für die heutige Zeit unvorstellbares Dekret. Anzumerken ist allerdings, daß im 19. Jahrhundert fast das gleiche Material Verwendung fand, wenn auch aus völlig anderen Grund, nämlich dem des Transportes. Damals, wie auch schon im Mittelalter, wurde immer dasjenige Material verwendet, welches in möglichst unmittelbarer Nähe gebrochen werden konnte. Sieht man in und um Hamburg herum einmal von Findlingen aus Granit ab, die während der letzten Eiszeit an ihren Endmoränen erstens die Löns-Heide und zweitens die Friedhöfe verschönern helfen sollten, so gab es hier keine Natursteinvorkommen. Es konnte nur solches Material verwendet werden, welches am einfachsten, also per Schiff aus der zweitnächsten Nähe herbeizuschaffen war, so z.B. den Obernkirchener Sandstein, welcher fälschlicherweiser auch "Bremer Stein" genannt wurde, da er die Weser flußabwärts transportiert in Bremen umgeschlagen wurde. Die großen Gruftplatten in Hamburgs alten Kirchen waren nahezu ausschließlich aus diesem Sandstein und die Grabmale auf den Museumsfriehöfen in Ohlsdorf sind es mindestens zu 90 %. Natursteine kamen auch elbabwärts: der Cottaer und Postaer Sandstein aus dem Raum Pirna bei Dresden hatten einen festen Platz in der Verwendung, ebenso die Granite aus Schlesien, nicht zu vergessen die schwarzen und roten Granite, wie auch die Labradore (Larvikite) aus Norwegen, die auf dem Seeweg hierher kamen.

Die Materialwahl bzw. das Anbieten und die Entscheidung für einen bestimmten Naturstein setzt immer eine Entwicklung voraus. Nichts geschieht urplötzlich oder gar unmotiviert. So ist es auch nicht vorstellbar, daß nach 1945 schlagartig andere Materialien Verwendung fanden. Zunächst gab es keine anderen Natursteine zu kaufen. Das änderte sich erst später, als nach der Währungsreform findige Vertreter der Zunft ausländisches Material einkauften, verarbeiten ließen und stückweise zu Grabmalen verkleinert weiterverkauften. Es gab aber weiterhin im wesentlichen die Steine der "ersten Generation", als da waren:

Weichgesteine:
Elbsandstein, Fränkischer Muschelkalk, Obernkirchener Sandstein, Roter Mainsandstein, Schlesischer Marmor, Thüster Kalkstein

Hartgesteine:
Hessischer Diabas, Lausitzer Granite, Meißner (rötliche) Granite, Schlesische Granite. Aus dem Fichtelgebirge: Kösseine- und Fuchsbau-Granite, Waldstein- und Epprechtstein-Granite

Alle diese Gesteinsarten standen auch unmittelbar nach 1945 zur Verfügung. Überwiegend lagerten sie in den Ausstellungslagern der Steinmetzen, bereits recht deutsch gestaltet und profiliert. Vereinzelt standen dort auch, relativ kostbar bis unerschwinglich: rote und blaue Granite aus Schweden und Norwegen und der - besonders schwarz und trauerschwer, schrecklicherweise auch SS-Granit genannte - schwarz-schwedischer Granit. Er wird auch heute noch vom Publikum beharrlich als schwarzer Marmor verleumdet, obwohl er - nun ist das Maß irreführender Bezeichnungen aber voll - eigentlich ein Diabas ist!

Darüber hinaus gab es den sog. Blanc Clair, hauptsächlich in dünnen Plattenformaten. Von der geschätzten Kundschaft als besonders edel angesehen, war er jedoch (nur) ein ganz gewöhnlicher Bianco Carrara: Das ist der Berg in der Toscana, der nachhaltig für deutsche "Luxusbäder" - die es dann so wirklich nicht sind - unwiederbringlich zersäbelt wird. Alsbald zeigt er sich sowohl gegen die salzhaltige Luft, wie auch die schwefel- und rußhaltigen Feindespartikel nicht sonderlich resistent. Unschöne wie deutliche Verwitterungserscheinungen nagten an der Substanz, wie am Image edel aussehender Materialien. Das Zeugs zerbröselte zusehends und wo die witterungsbedingte Erosion Frieden gab, schlug die Physik erbarmungslos zu: an den Ecken befestigte Platten zeigten prächtig verformte Flächen, die auf einen uneinheitlichen Dehnungskoeffizienten deuteten. Schließlich zerbrachen die Platten und wo sie doch für die Ewigkeit gedacht waren, zumindest für die halbe.

Der Wunsch der Kunden nach einem anderen Material als dem aus der Kriegszeit wurde immer deutlicher, obwohl die genannten Materialien gut und erstaunlich haltbar waren, nur eines waren sie eben nicht: optisch - vordergründig - attraktiv. Durch erste Reisen in das nahe ferne Ausland, vornehmlich Italien, kam frohe Kunde von schönen Steinen: der schon beschriebene Marmor, der römische Travertin und leuchtend helle Granite aus Spanien.

Was nun den Marmor anbelangt, gab es eine interessante Entwicklung. Ein vergleichsweise lebthaft geadertes Material aus der Schweiz - in sich sehr fest, mittelgrob kristallin, genannt "Colombo" - eröffnete den Siegeszug des Marmors von dem unsere junge Bundesrepublik geradezu überschwemmt wurde. Die Steinbrüche in der Schweiz waren diesem Ansturm jedoch nicht gewachsen. Kurze Umwege über bulgarischen Marmor - hell, ohne Zeichnung und entsprechend langweilig - führten dann zum eigentlichen Hit der 60er Jahre: Der griechische Marmor entwickelte sich rasant zum Renner. Waggonweise wurde das Material aus dem Raum Kavala und Drama - so auch der Handelsname - herangekarrt und an die inzwischen ansehnlich verdienende Kundschaft verteilt. Der Andrang des Marmors war so dramatisch, daß es für einige Felder des Ohlsdorfer Friedhofs einen Marmorausschluß gab. Aber auch andere Materialien, wie die Granite, die sich weniger spektakulär verbreiteten, kamen gleichwohl in merkwürdig geballter Form auf. Das waren Steine aus Deutschland und weil der LKW-Verkehr wieder für zivile Einrichtungen rollte, kamen Materialien aus dem fernen Bayern der Kronreuth-Granit aus Hauzenberg, aus dem Bayrischen Wald der Fürstensteiner-Syenit und der Neißendorfer Granit sowie auch der als Rübezahl-Granit bezeichnete Stein aus der Tschechoslowakei. Natürlich war auch Schweden wieder dabei, ein intensiv roter Granit aus dem Gebiet von Tranas hatte es uns Menschen angetan. Allen voran gab es einen deutlichen Sieger unter den Hartgesteinen und der kam ausgerechnet von weit her aus Südafrika. Er ist ein einheitlich dunkelgrauer Stein, etwas monochrom, sehr gleichmäßig, feinkörnig und damit langweilig. Er heißt Impala-Granit, ist eigentlich ein Syenit, der es - wohl aufgrund seiner Beliebtheit - zeitweise auf nicht weniger als fünf unterschiedliche Handelsnamen brachte: von "Afro" bis "Bertany".

Waren die deutschen Materialien der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit solche der "ersten Generation", können wir die Marmore aus Griechenland, die Granite aus Spanien und Südafrika als "zweite Generation" bezeichnen. Doch der Mensch scheint unzufrieden und will mehr. Mit der "dritten Generation" tummelt sich nunmehr eine zusätzliche Fülle von Materialien auf dem Markt, die es selbst Fachleuten schwer macht, die Übersicht zu behalten: eine breit gefächerte, bunt gemischte Palette. Während die qualitativ und preislich interessanten Sand- und Kalksteine ein vergleichsweise bescheidenes Nischendasein aussitzen, glänzen auf dem Grabmalsektor nunmehr der Marmor aus der Türkei - wird immer noch als griechischer verkauft, hört sich wohl edler an - wie auch zahlreiche Granite aus Ländern, die noch auf dem Globus gesucht werden müssen. Die (Handels)Namen lesen sich wie die Farbskalen teuerster automobiler Karossen, da gibt es "Paradiso", "Multicolo", "Lavendel", "Blue Silk", "Kerala-Grün", um nur einig zu nennen. Es sind im wahrsten Sinne bunt gemischte Exoten, am Qualitätsstandard gemessen durchaus durable Materialien. Zum Teil aufwendig und mit einer fast künstlich anmutenden Politur gefinished erscheinen sie auch noch willkürlich und abnorm gestylt. Für sie ist allerdings keine heimische Produktion mehr erforderlich: Diese Grabmale werden in Brasilien, China und Indien gefertigt, möglicherweise in weiteren, mir so und so unbekannten Ländern. Den Steinmetzen verbleibt nur noch das Fertigen der Inschrift.

Bei aller Kritik: Da wir uns immer so gern kosmopolitisch orientiert zeigen und gesehen werden wollen, passen sie in unser Weltbild, diese bunten und polierten Steine, die sich so leicht ihrer natürlichen Umgebung auf dem Friedhof widersetzen. Wir sollten dennoch tolerant sein, wobei mir die deutsche Form genauer erscheint: Seien wir duldsam und versuchen zu genießen, die Zeit, in der wir leben und die uns diese bunte Materialienvielfalt gebracht hat.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Moderne Grabmalkultur (Mai 1999).
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