Direkt zum Inhalt

OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Thema: Bestattung - alles öko? "Reerdigung" - eine neue Bestattungsart?

Bestattungskultur bezieht sich auf die verschiedenen Bräuche, Traditionen und Rituale, die im Zusammenhang mit der Bestattung eines Verstorbenen praktiziert werden. Sie umfasst verschiedene Aspekte, wie die Vorbereitung des Körpers des Verstorbenen für die Beisetzung, die Art und Weise der Bestattung, die Trauerfeierlichkeiten und -rituale sowie die Art und Weise, wie die Hinterbliebenen mit dem Verlust umgehen. Sie ist in verschiedenen Kulturen und Religionen unterschiedlich. Die Bestattungskultur in Deutschland variiert je nach Region und religiöser Zugehörigkeit. Es gibt sowohl traditionelle Bestattungsrituale, die bestimmten religiösen oder kulturellen Praktiken folgen, als auch moderne Bestattungsformen, die zunehmend an Beliebtheit gewinnen.

Grundsätzlich gibt es zwei Bestattungsarten - die Erdbestattung und die Feuerbestattung. Bei der Feuerbestattung ergeben sich dann vielfältige Bestattungsformen, wie zum Beispiel oberirdische Beisetzungen in Kolumbarien, Baum- oder Seebestattungen.
Andere Bestattungsformen gab es bisher nicht, auch wenn mit der "Promession" vor einigen Jahren eine neue Methode versucht wurde. Die Promession imitiert die Verwesung, also die Umwandlung von organischen zu anorganischen Substanzen, durch vorheriges kryotechnisches Granulieren und Trocknen der Leiche. Die Leiche wird dabei auf −18 °C vorgekühlt, in eine Promator genannte Vorrichtung gegeben und dort mit flüssigem Stickstoffbad auf −196 °C gebracht. Dadurch wird der Körper so spröde, dass Gewebe und Knochen durch Vibrationen zu einem feinen, geruchlosen Granulat zerkleinert werden können. Die Promession ist in Deutschland allerdings weiterhin unzulässig und wird voraussichtlich auch nicht eingeführt (u. a. ist der hohe Energieaufwand nachteilig).
Mit der "Reerdigung" gibt es nun wieder einen weiteren Versuch, eine neue Bestattungsform einzuführen. Die Frage, ob es sich nicht dabei um eine Untervariante der Erdbestattung handelt, wird aktuell noch diskutiert.

Zwischen Erd- und Feuerbestattung

Ursprünglich wurde die Reerdigung von der US-Amerikanerin Katrina Spade entwickelt, die 2014 die gemeinnützige Organisation "Urban Death Project" und 2017 darauf aufbauend die gemeinnützige Gesellschaft Recompose gründete (siehe dazu auch den Beitrag von Barbara Leisner). Washington wurde 2020 der erste Bundesstaat der USA, der das Prinzip der Reerdigung legalisierte, und mehrere Staaten sind seitdem gefolgt.

Es bleibt abzuwarten, ob diese neue Bestattungsmethode in Deutschland angenommen wird. Viele Friedhofsverwalter (vertreten durch den Verband der Friedhofsverwalter Deutschlands e. V.) und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) stehen dem Konzept weitgehend positiv gegenüber. Und das nicht ohne Grund: Immer mehr Menschen interessieren sich für Bestattungsmöglichkeiten außerhalb herkömmlicher Friedhöfe (z.B. Friedwald© und Ruheforst©). Aufgrund des bestehenden Friedhofszwangs in Deutschland muss auch die kompostierte Erde auf einem Friedhof beigesetzt werden. Anders ist es in den USA: Hier gelten für den Kompost die gleichen Regeln wie für die Asche der Verstorbenen: Es gibt keinen Friedhofszwang. Die Angehörigen können mit dem Kompost der Reerdigung machen, was sie möchten (bzw. was die oder der Verstorbene gewünscht hat). In der Praxis behalten die meisten Angehörigen einen kleineren Teil der der Erde (u.a. für den eigenen Garten). Der größere Rest wird dann z.B. dem Moulton Falls Regional Park bei Washington gespendet.

Die Frage ist, wie sich perspektivisch die deutsche Bestattungskultur mit dazugehöriger Rechtsprechung entwickelt und der Friedhofszwang Bestand haben wird. Denn sollte der Beisetzungszwang für Asche aufgehoben werden, wäre langfristig auch die Beisetzung des Kompostes einer Reerdigung außerhalb eines (herkömmlichen) Friedhofs möglich.
Auch das Marketing und die Lobbyarbeit spielen bei einem Start Up-Unternehmen - die Reerdigung wird von der Firma "Meine Erde" vermarktet - mit dem "Produkt" einer möglichen neuen Bestattungsform eine zentrale Rolle. Zu diesem Zweck wurde auch 2023 die Stiftung Reerdigung gegründet. Diese "engagiert sich für eine Solidargemeinschaft, die allen Menschen eine ökologisch nachhaltige und würdevolle Bestattung anbietet." (https://www.stiftung-reerdigung.de; Zugriff: 30.12.2023).

Der Prozess

Die erste Reerdigung in Deutschland wurde im Rahmen einer genehmigten Pilotphase im Februar 2022 in Mölln (Kreis Herzogtum Lauenburg, Schleswig-Holstein) vorgenommen. Eine weitere Reerdigung erfolgte, ebenfalls in Schleswig-Holstein, im November 2022 in Stockelsdorf bei Lübeck (Kreis Ostholstein). 2023 wurde eine Anlage in Kiel eröffnet.
"Recomposting", auch bekannt als menschliche Kompostierung oder natürliche Bestattung, ist nach Angaben der Anbieter ein nachhaltiger Ansatz zur Bestattung von Verstorbenen. Bei dieser Methode wird der Körper des Verstorbenen in einen speziellen Kompostierungsprozess überführt, bei dem er sich biologisch abbaut und zu nährstoffreichem Boden umgewandelt wird.
Im westeuropäischen Kulturkreis existieren traditionell bis dato keine weiteren Bestattungsformen als die Erd- und die Feuerbestattung. Länderspezifische Variationsmöglichkeiten bestehen lediglich in der Form der Beisetzung des Leichnams oder der Asche.

Der entkleidete Körper wird auf Stroh und Grünschnitt in einen luftdichten Edelstahlbehälter, den der Anbieter "Kokon" nennt, gebettet und durch Mikroorganismen zersetzt. In einer speziellen Halterung wird der Kokon für die Dauer von 40 Tagen hin und her gewogen, um eine gleichmäßige Verteilung zu gewährleisten. Über Sensoren werden die Vorgänge im Inneren des Behälters gemessen und können dann über die Zufuhr von Luft und Wasser gesteuert werden. Dieser Vorgang der Transformation bei der Reerdigung ist jedoch nicht überall umsetzbar, sondern an einen bestimmten Ort gebunden: den Friedhof. Dies ist auch ein Kompromiss zwecks Akzeptanz und Genehmigung dieser Bestattungsform in Deutschland, da hier - wie bereits erörtert - der Friedhofszwang gilt.

Die gesamte Konstruktion, der Raum, in dem sich der Kokon befindet, wird "Alvarium" genannt, was aus dem Lateinischen kommt und "Bienenstock" bedeutet. Der Begriff lehnt sich damit bewusst an das bereits bekannte "Kolumbarium" (Taubenschlag) an. Mit dem Bienenstock wird auf die Form der Halterungen der Kokons angespielt, die bei mehreren Behältern in Wabenform angeordnet sind. Das gesamte Alvarium muss auf einem hoheitlichen Friedhof stehen und unterteilt sich dabei in unterschiedliche Bereiche, wie einem Abschiedsraum, den Funktionsräumen sowie dem eigentlichen Ort für die Kokons.
Nach den 40 Tagen im Alvarium, bei der im Inneren des Kokons eine Temperatur von ca. 70 Grad Celsius erreicht wird, soll der gesamte Zersetzungsprozess abgelaufen und nur noch Humus und Knochenfragmente übrig sein. Letztere werden für die weitere Handhabung und den Transport in einer Knochenmühle zerkleinert (entsprechend der Zerkleinerung der sterblichen Überreste nach der Kremierung). Je nach Gewicht des Verstorbenen bemisst sich die Menge der Erde, die am Ende übrig ist, um den Faktor 1,5, da zusätzliches Material in Form von Stroh und Grünschnitt beigegeben wurde. Eine Person, die 80 kg wog hinterlässt folglich ca. 120 kg Erde, die dann, in einem Leinentuch verpackt, mit einem Sarg transportiert werden soll.


Kokon auf der Bestattermesse BEFA (Foto: S. Hadraschek) (1)

Kokon für eine Reerdigung (Foto: S. Hadraschek) (2)

Die dem Kokon entnommene Erde gilt rechtlich als menschlicher Überrest, unterliegt nach wie vor dem Bestattungs- bzw. Friedhofszwang und muss daher, nach dem jeweils gültigen Landesbestattungsgesetzen, auf einem Friedhof beigesetzt werden. Allerdings kann die Erde direkt bzw. nur in geringer Tiefe auf ein Grab gegeben werden. Der Kompost muss nicht in der üblichen Tiefe einer Erdbestattung beigesetzt werden und dient direkt als Nährboden für die Pflanzen. Ob sich dadurch die Ruhefrist verkürzt, müsste dann jeder Friedhofsträger selbst in seiner Satzung festlegen. Daher fallen grundsätzlich auch Grabkosten an, sowie alle weiteren Aufwendungen für den Bestatter, die Trauerfeier und alle nötigen Formalitäten. Über die Kosten gibt es aktuell keine Auskunft der Anbieter. Eine früher genannter Betrag von 2.100 Euro wäre etwa fünf Mal so viel wie eine durchschnittliche Einäscherungsgebühr eines Krematoriums. Damit wäre die Reerdigung keine günstige Bestattungsform. Aber sie ist nach Aussagen der Anbieter ökologischer als herkömmliche Bestattungsarten, denn es soll kein Kohlendioxid freigesetzt werden, wie es bei der Kremation der Fall ist. Außerdem soll es keine Verunreinigung des Grundwassers durch Lacke, Kleidung und Sargbeigaben wie bei der Erdbestattung geben. Da die Reerdigung ein noch junges Verfahren ist, wurde u.a. ein Fachinstitut damit beauftragt, in Rücksprache mit den Betroffenen, den Angehörigen und dem örtlichen Gesundheitsamt weitere Untersuchungen durchzuführen. Das Gutachten vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig liegt seit Anfang 2024 vor, demnach stellt die Reerdigung eine neue, eigenständige Bestattungsform dar. Für die Energiebilanz muss letztlich aber auch berücksichtigt werden, dass für bisherige Bestattungsformen alle Voraussetzungen bereits vorhanden sind und nicht erst noch produziert werden müssen. Die Herstellung vieler Kokons aus Edelstahl (oder nach neuesten Entwicklungen aus leichteren Materialien) und die Errichtung Hunderte von Alvarien sowie deren dauerhafter Betrieb durchgehend über jeweils 40 Tage darf bei einer Energiebilanz nicht fehlen. Bislang fehlen Nachweise, wie ökologisch diese Bestattungsform im Praxisbetrieb wirklich ist.

Kritik

Die Kritik am Verfahren der Reerdigung (bisher fehlende wissenschaftliche Auswertung) wurde auch in einem kriminologisch-rechtsmedizinischen Beitrag von Prof. Dr. med. Benjamin Ondruschka, Prof. Dr. med. Marcel A. Verhoff und Prof. Dr. med. Klaus Püschel formuliert (Archiv für Kriminologie 250, 2022, S. 67-74). Nach ihren Ausführungen gibt es ein berechtigtes Interesse an umfassenden Informationen für mehrere Berufszweige und Personenkreise:
- im Gesundheitsamt, Ämter für öffentliches Gesundheitswesen,
- auf Ebene der zuständigen Aufsichtsbehörde,
- aus ethischer Sicht im Rahmen der Bestattungskultur, betreffend auch religiöse Aspekte,
- gegenüber den Angehörigen (Totensorgepflichtigen), betreffend deren "Aufklärung",
- im Hinblick auf wissenschaftliche Fragen,
- bei möglichen Nachfragen durch die Ermittlungsorgane (wenn diese nach der Zweiten Leichenschau noch auftauchen) sowie
- in der öffentlichen Diskussion über diese neue Bestattungsform.

Schleswig- Holstein hat die Reerdigung für die Pilotphase im Jahr 2022 zugelassen, für Friedhöfe in Hamburg läuft das Genehmigungsverfahren noch. Ob und wann weitere Länder folgen und wie sich die Idee der Reerdigung verbreiten und entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Noch fehlen Nachweise zur Energiebilanz und noch viele Erfahrungen. Auch die Anpassung der Gesetze, Satzungen und sogar der Trauerrituale wird einige Jahre dauern, bevor letztendlich die Menschen darüber entscheiden werden und akzeptieren, wie es mit der Reerdigung weitergehen wird.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Bestattung - alles öko? (März 2024).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2024).