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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Ein Besuch auf dem Friedhof von Saint-Paul-de-Vence

Westlich von Nizza in der Provence in den Bergen liegt auf einem Nord-Süd ausgerichteten Felsrücken die kleine Stadt Saint-Paul-de-Vence, eingefasst von einer starken Mauer, die der französische König Francois I ab 1543 hat bauen lassen, um die Grenze seines Reiches gegen die Habsburger in Italien zu sichern (Abb. 1).
Heute ist die Stadt hochtouristisch. Wenn man die Stadt durch das Nordtor betritt und sie nach Süden auf der knapp 400 m langen „Rue Grande“ durchschreitet, kommt man an - gefühlt - 100 Kunstgalerien und Touristenshops vorbei. Doch dann, an der Südspitze, entdeckt man von der Stadtmauer aus auf der Felsspitze den alten Friedhof der Stadt (Abb. 2). Und der ist eher ruhig und leer…



Blick auf die Stadt Saint-Paul-de-Vence und Blick von oben auf den von einer Mauer einfassten Friedhof von Saint-Paul-de-Vence (alle Fotos in diesem Beitrag: Reinhard Behrens) (1 und 2)

Von drei Entdeckungen, die ich dort im Mai 2023 machen konnte, möchte ich berichten: Die erste steht in allen Reiseführern. Gleich rechts hinter dem Eingang liegt das Grab von Marc Chagall, der 1887 in Witebsk (heute in Weißrussland) geboren wurde und die letzten 19 Jahre seines Lebens bis zu seinem Tod 1985 in St. Paul gelebt hat. Er hat zum Ruf der Stadt als Künstlerkolonie sehr beigetragen. Rührend auf dem Grab sind die Gaben von Besuchern, meist kleine Steine in jüdischer Tradition; sogar ein bemalter Stein von einer nach ihm benannten Schule in Italien war zu sehen.


Grabtumba des Malers Marc Chagall (3)

Steine der Grabbesucher auf der Grabplatte von Marc Chagall (4)

Giulia Andreani, Tsvi-Tsvi (Wandteppich), 2023, ausgestellt im Rahmen der 3. Internationalen Biennale der Stadt (5)

Gruft der Familien Escalier-Gastaud mit Gedenktafeln (6)

In der verschlossenen kleinen Friedhofskapelle St. Michel entdeckte ich überrascht durch das sehr massive Gitter und nicht weiter erklärt einen von Giulia Andreani, einer italienischen Künstlerin, schwarz-weiß gewirkten Wandeppich. Dieser stellt Rosa Luxemburg in ihrer Berliner Gefängniszelle dar, wo sie, wie sie selbst berichtet, von kleinen Vögeln getröstet wird, die sie besuchten.
Und zuletzt, sehr häufig auf französischen Friedhöfen, eine vielfach belegte große Familiengruft mit den üblichen hitzebeständigen Porzellanblumen und (auch ein Memento für deutsche Besucher) links eine Gedenktafel mit den Orden, die der Vater im Ersten Weltkrieg erhalten hat – und in der Mitte die für einen Sohn, der im Zweiten Weltkrieg sein Leben in der Résistance gegen die deutschen Besatzer
verloren hat.
Eben ein Friedhof in Europa ...

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft 140 Jahre jüdischer Friedhof Ilandkoppel (Dezember 2023).
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