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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Liebet euch Lebende, denn die Zeit verrinnt so schnell! - Gedanken zum Ewigkeitssonntag

Auf unseren Friedhöfen gedenken wir der Verstorbenen, setzen Grabsteine oder legen Steintafeln auf die Erde mit den Namen derer, die wir vermissen und in unserem Andenken bewahren wollen. Auf einem Friedhof in Husum sah ich einen besonderen Gedenkstein (Abb. 1).


Individuelles Grabmal gestaltet von dem Steinmetz und Steinbildhauer Wilfried Christiansen in Husum, Husum Ostfriedhof (1)

Zunächst erkannte ich nur eine Schrift, die ich nicht lesenkonnte. Vollkommen unverständlich und fremd erschien sie mir - was steht da bloß, fragte ich mich? Ich trat zurück und entdeckte einen Spiegel, der auf dem Boden in einer Platte eingelegt war. (Abb. 2)


Schrift im Spiegel am Boden vor dem Grabmal (2)

Zunächst sah ich in diesem Spiegel nur den Himmel, merkte aber, dass ich je nach Standpunkt im Spiegelbild auch die Umgebung erkennen konnte und nach weiteren suchenden Bewegungen auch den Stein mit der Schrift. Diese war nun im Spiegelbild betrachtet für mich lesbar. Der unlesbare Schriftzug auf dem Stein selbst war in Spiegelschrift gehalten: "Liebet euch Lebende, denn die Zeit verrinnt so schnell." Ein klarer Appell an mich als Betrachter, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Ich war überrascht. Der Gedenkstein machte mich nachdenklich. "Auf den Kopf gestellt" hat Wilfried Christiansen sein Werk genannt, weil die spiegelverkehrte Schrift über Kopf für den Betrachter nur im Spiegel lesbar ist. Abschied und Trauer stellen unser Leben auf den Kopf. Wir verstehen nicht, wie es weiter gehen soll, wenn der Verlust uns trifft. Für mich ist mein evangelischer Glaube dann wie ein Spiegel, in dem ich erkenne, was tröstlich ist, dass Gott die Menschen, die wir vermissen, in seinen Händen geborgen hält. Seine Liebe bleibt, wenngleich unsere Zeit verrinnt. Am Ewigkeitssonntag, dem 20. November, lädt die evangelische Kirche zum Gedenken an alle Verstorbenen ein. Im Gottesdienst werden dann die Namen derer, die im ausgehenden Kirchjahr Abschied verstorben sind. Es werden Lichter angezündet und auf ein großes Kreuz im Altarraum gestellt. Auch nach dem Gottesdienst sind Zugehörige eingeladen, in die Kirche zu kommen und im Gedenken an einen Verstorbenen ein Licht anzuzünden.

Anm. der Redaktion: Wir danken Pastor Schoeneberg für die Bilder und die Erlaubnis seine Gedanken aus dem "Saseler Kirchenboten" (Sept.-Nov. 2022) etwas abgeändert nachzudrucken.

Fotos: Frank-Ulrich Schoeneberg

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Der Alte Friedhof in Niendorf (Januar 2023).
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