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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Eine kaum glaubliche Geschichte: 1000 Kilometer - 100 Meter

Meine Geburtsstadt ist das deutsche Königsberg in Ostpreußen. Ich (der künftige Frauenarzt) wurde dort im ausschließlich mit Männern belegten Standortlazarett der Reichswehr am 4. November 1931 geboren und am 30. Dezember des gleichen Jahres in der dortigen Krönungs- und Schlosskirche getauft (Abb. 1.)


Taufschein-Hans-Jörg Mauss von 1931 (1)

Mein Patenonkel war Friedrich Baumbach, ein Kriegskamerad (1917) meines Vaters Wilhelm Mauss (1899-1954). Die beiden 18jährigen Kriegsfreiwilligen gerieten in die schweren Kämpfe an der deutschen Westfront in Frankreich. Friedrich Baumbach wurde auf vorgeschobenem Posten durch eine Granatenexplosion verwundet und verschüttet. Mein Vater, Wilhelm Mauss, rettete ihn trotz höchster Lebensgefahr aus der vordersten Front und brachte ihn in ein Lazarett. Eine lebenslange Freundschaft der beiden war die Folge! Der kunstsinnige Onkel Friedrich schenkte mir zur Taufe (1931) einen wundervollen silbernen Serviettenring, auf dem die Rettungsdaten graviert sind. Heute, nach 90 Jahren, benutze ich diesen Silberring täglich (Abb.2).


Taufgeschenk von Friedrich Baumbach (2)

Meine Familie verließ 1934 meine Geburtsstadt Königsberg, wir gingen nach Berlin und später nach Barsinghausen bei Hannover. Hamburg war damals für uns eine fremde Stadt im Norden. Aber das änderte sich Während des Zweiten Weltkrieges, mein Vater war inzwischen Neurologe und Generalarzt der Wehrmacht. Er, Dr. med. Wilhelm Mauss, wurde Divisionsarzt der traditionellen 20. motorisierten Infanteriedivision in Hamburg. Auch Onkel Friedrich hatte Königsberg längst verlassen. Er war eine Zeit lang in Dessau, Göttingen, Stettin tätig und übernahm endgültig 1940 eine Patentanwaltspraxis in Hamburg.

Inzwischen bin ich, Hans-Jörg Mauss, Abiturient in Hannover, und gehe 1952 zum Medizinstudium nach Marburg, dann 1954 nach Hamburg, wo ich als Frauenarzt und mit Frau Inge und drei Töchtern meine neue Heimat finde.

Schon von Kindheit an bin ich mit meiner Mutter auf den heimatlichen Friedhof in Barsinghausen gegangen. Später allein, wenn möglich, im In- und Ausland. War es die weihevolle Stille und Stimmung, die Erinnerung an meinen so jung verstorbenen Vater?

In Hamburg war mein Ziel bald der Ohlsdorfer Friedhof, dem ich mich bald tief verbunden fühlte. Hier fand ich Kontakt zu Gleichempfindenden und wurde 1989 Gründungsmitglied und später Vorsitzender unseres Förderkreises Ohlsdorfer Friedhof. Auch heute mit Neunzig fahre ich noch ein- bis zweimal wöchentlich auf unseren Friedhof.

Was ist nun die kaum glaubliche Geschichte?

Um den Ohlsdorfer Friedhof genauer kennen zu lernen, ging ich anfangs wochenlang die Gräberareale ab. Dabei fand ich 1991 am Rosengarten unter einem ausgebreiteten Rhododendronbusch den Steinhaufen eines Grabdenkmals. Eine umgestürzte Großbuche hatte das Ensemble zerschlagen. Es war das Familiengrab von Dr. Julius Menck (1837-1907, Chefredakteur des "Hamburger Fremdenblattes"). In mühevoller Kleinarbeit ließ ich dieses Denkmal Stück für Stück wieder errichten, mit großer bildhauerischer Hilfe von Henning Hammond-Norden. Ich entdeckte bei dieser Arbeit noch nicht das Grab meines Patenonkels Friedrich Baumbach, der 1976, während einer längeren Abwesenheit von mir in einem Entwicklungsland, verstorben war. Erst 2012 suchte und fand ich sein Grab hinter Hecken, nur 100 m von unserem neuen Familiengrab entfernt! (Abb. 3 und 4).


Grabmal von Friedrich Baumbach (3)

Patenschaftgrabmal der Familie Mauss (4)

Zum Schluß auf den Punkt gebracht: Vor 91 Jahren im deutschen Königsberg in Ostpreußen Patenonkel und Täufling vereint - weit getrennte Berufsstätten beider Familien - Existenzgründung von Patenonkel und Patensohn in Hamburg - auf der weiten Fläche des größten Parkfriedhofs der Welt eng nebeneinander liegende Gräber am Rosengarten! Wirklich: 1000 Kilometer - 100 Meter.

Fotos: Hans-Jörg Mauss

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Der Alte Friedhof in Niendorf (Januar 2023).
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