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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Naturnahe Gemeinschaftsanlagen auf Friedhöfen

Im frühen 21. Jahrhundert wandelt sich die Bestattungs- und Friedhofskultur durch den Trend zu Naturbestattungen. Neben dem Friedhof wird die freie Natur zum Schauplatz von Beisetzungen. In vielen europäischen Ländern spielen Baum-, Berg-, Flussbestattungen und ähnliches eine immer wichtigere Rolle.
Auch länger geläufige Formen der Naturbestattung, wie die Seebestattung, finden in diesem Umfeld neue Beachtung.

1. Trend zur naturlandschaftlichen Gestaltung

Im Umfeld zunehmender Popularität der Naturbestattungen verändern sich die Friedhöfe. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der verstärkte Einsatz von naturlandschaftlichen Elementen in der Gestaltung der Begräbnisplätze. Vielerorts werden die klassischen, abgegrenzten Reihen- und Familiengräber abgelöst durch naturnah gestalteten Miniaturlandschaften. Friedhofsflächen werden als Bestattungswälder gestaltet, auch Themenfelder wie "Baumgräber" oder "Apfelgarten" verweisen symbolisch auf den Trend zu naturnahen Bestattungsräumen.

Diese Entwicklungen repräsentieren für die Bestattungs- und Friedhofskultur das vielfältige Spektrum der aktuellen gesellschaftlich-kulturellen Wandlungsprozesse: Grenzen lösen sich auf, Übergänge werden fließend. Eine wichtige Rolle spielt dabei die stetig steigende Zahl von Feuerbestattungen und Aschenbeisetzungen. Entscheidend ist die - im Vergleich zur Körper- (Erd-) Bestattung - hohe Mobilität der Asche, die flexible Beisetzungsmöglichkeiten erlaubt und der Bestattungskultur neue Räume eröffnet. Auf dem Friedhof ermöglicht die platzsparende Urnenbestattung neue Gestaltungsmöglichkeiten.

2. Zur Kulturgeschichte von Tod und Natur

Der Blick in die Geschichte zeigt, dass die Verknüpfung von Tod und Natur eine lange Tradition hat. Im bürgerlichen Zeitalter des 19. Jahrhunderts wurden neue Muster der Friedhofskultur entwickelt, bei denen Natur und Landschaft ein zentrales Leitbild bildeten. Einzelne Vorbilder stammten aus dem 18. Jahrhundert. Zwar frühe Ausnahme, jedoch in der Öffentlichkeit vielbeachtet war der Friedhof der pietistischen Herrnhuter Brüdergemeine (1730) mit seinen gepflegten Rasenflächen und den für alle gleich gestalteten Grabstätten. Knapp 30 Jahre später erwarb der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock auf dem ländlichen Kirchhof von Ottensen am hohen Elbufer bei Altona eine naturgeprägte Grabstätte für seine früh im Kindbett verstorbene Frau Meta. Ein weiteres prominentes Beispiel für die Synthese von Tod und arkadischer Natur bildet das Inselgrab des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau im Park zu Ermenonville (1776/78). Wie die Klopstock-Grabstätte wurde es zu einer vielbesuchten Pilgerstätte des gebildeten Bürgertums . Der französische Philosoph sah den Garten als idealen Schauplatz jener Verschmelzung mit der Natur, von der er die wahrhafte ideale Bildung des bürgerlichen Individuums erhoffte.

Auch die Theorie wandte sich der Synthese von Tod, Friedhof und Natur zu. In seiner mehrbändigen, 1779-85 erschienenen "Theorie der Gartenkunst" widmete der Kieler Philosophieprofessor Christian Cay Lorenz Hirschfeld dem Friedhof eigene Abschnitte. Hirschfeld konzipierte hier den Friedhof als Parklandschaft nach englischem Muster. Diese Visionen hingen mit veränderten Vorstellungen vom Tod zusammen. Natur und Landschaft sollten den Tod versöhnlich gestalten. Als Katalysator fungierte eine durch die Malerei vorgeprägte Landschaftsästhetik, die Natur als arkadisches Idyll idealisierte. Nicht zuletzt spielte die in der Kulturgeschichte seit langem verankerte Idee des Gartens als irdisches Paradies eine wichtige Rolle. Diese Ideale wirkten sich im bürgerlichen Zeitalter auf die Friedhöfe aus. Neben dem weithin als internationales Vorbild wirkenden Pariser Friedhof Père Lachaise als erstem europäischen Friedhof im Stil des englischen Landschaftsparks sorgte die aus den USA kommende "rural cemetery"-Bewegung (zuerst Mount Auburn, Cambridge/Massachusetts, 1831) für einen weiteren Ästhetisierungsschub.

In Deutschland waren es zunächst kleinere Anlagen, die naturlandschaftlich gestaltet wurden: unter anderem der französisch-reformierte Friedhof in Hamburg 1825 und der Domfriedhof in Braunschweig (Umgestaltung bis 1835). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden dann auch größere städtische Anlagen als Parkfriedhöfe gestaltet: Hauptfriedhof Schwerin 1863, Südfriedhof Kiel 1869, Friedhof Riensberg in Bremen 1875, Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg 1877. Hier wurde eine möglichst naturnah gestaltete Sepulkrallandschaft zur Kulisse für eine immer monumentalere Grabstättenkultur.

Unter anderen Vorzeichen bildete im frühen 20. Jahrhundert der 1907 eröffnete Waldfriedhof München ein Beispiel naturnaher Bestattungen. Im Gegensatz zu heutigen Bestattungswäldern, bei denen die Asche im Wurzelbereich der Bäume beigesetzt wird, wurden hier die Grabstätten in einen vorhandenen Baumbestand hineinkomponiert. Der Waldfriedhof München wirkte als Vorbild für eine möglichst naturnahe Friedhofsgestaltung und war nicht zuletzt ein Gegenentwurf zu den durchgestylten Parkfriedhöfen des späten 19. Jahrhunderts.

Im späten 20. Jahrhundert entstanden in Großbritannien frühe Ideen zur Naturbestattung. Sie wurden unter Stichwörtern wie "Green Burials" oder "Natural Burials" bekannt, bei denen Sarg- und Aschenbestattungen in Wäldern vorgenommen werden. Das 1991 in Großbritannien gegründete Natural Death Centre hat die Einrichtung sogenannter Natural Burial Grounds (Naturfriedhöfe) betrieben. Von der gemeinnützigen Organisation Earthworks Trust wurde im Jahr 2000 im englischen Nationalpark South Downs (Hampshire) ein 14 Hektar großer Naturfriedhof eröffnet, der nur Erdbestattungen vorsieht. Die Särge bestehen aus Weide, statt Grabmäler dienen Inschriften-Bänke der Erinnerung.

3. Gemeinschaftsanlagen auf Friedhöfen

Im Folgenden geht es in der Regel um Gemeinschaftsgrabanlagen, die Bestandteile regulärer Friedhöfe sind. Wichtigstes Merkmal ist hier die Überformung der alten räumlichen Strukturen. Dabei wird die bislang als Gestaltungsprinzip dominierende Familien- bzw. Einzelgrabstätte überformt.

Ein neueres Beispiel für einen Friedhof mit mehreren thematisch orientierten Gemeinschaftsgrabanlagen ist der um ein Krematorium ("Flamarium") angelegten "Friedgarten Mitteldeutschland" in Kabelsketal bei Halle/Saale (Abb. 1). Es ist ein homogen gestalteter Natur- und Kulturraum, in den Einzel- und Gemeinschaftsgrabstätten gleichsam hineinkomponiert sind. Durch spezielle, historisch oder mythologisch verankerte Namensgebungen erhalten die einzelnen Bereiche teilweise eine spezielle Atmosphäre und Bedeutung, zum Beispiel "Schiffssetzung", "Röse" und "An der Dalbe".


Aschengemeinschaftsgrab Friedgarten Mitteldeutschland Kabelsketal (1)

Diese Auflösung klassischer Friedhofsstrukturen gilt auch für den so genannten Naturfriedhof "Garten des Friedens" in Fürstenzell bei Passau (Abb. 2), der ebenfalls an ein Krematorium angeschlossen ist. Abgegrenzte Grabstätten sind nicht mehr zu erkennen. Vielmehr sind vielfältig gestaltete Erinnerungsorte in eine weitgehend naturbelassene, nach geomantischen Prinzipien gestaltete Landschaft eingefügt.


Blick in den Naturfriedhof Fürstenzell (2)

Stärker ökologisch orientiert ist die 2010 im schleswig-holsteinischen Ahrensburg auf dem dortigen kirchlichen Friedhof eingeweihte "Wildblumenwiese" (Abb. 3). Es handelt sich um ein zwei Hektar großes, von der evangelischen Kirchengemeinde verwaltetes Areal, das in seinen Randbereichen als Aschenbeisetzungsanlage dient.


Friedhof Ahrensburg (3)

Auf anderen Friedhöfen sind einzelne Anlagen nach naturlandschaftlichen Kriterien gestaltet. Ein frühes und bekanntes Beispiel findet sich auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe. Dort wurden 2003 und 2007 unter dem Titel "Mein letzter Garten" neuartige Bestattungsflächen für Aschenbeisetzungen (teils auch für Sargbeisetzungen) in einer homogen gestalteten Miniaturlandschaft geschaffen. Räumlicher Hauptbezugspunkt ist ein von Granitblöcken eingefasster Wasserfall, dem sich ein trocken gefallenes Bachbett als Symbol für das beendete Leben anschließt. Des Weiteren prägen Felssteine, geschwungene Wege, alter Baumbestand und Rasenflächen die Beisetzungslandschaft. Die Urnengräber sind als Gemeinschaftsgrabanlagen konzipiert. Den Verstorbenen wird auf gemeinschaftlichen Erinnerungsmalen aus Stein und Holz - darunter ein künstlerisch gestalteter Eichenstamm - gedacht (Abb. 4).


Eichenstamm auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe (4)

Auf der Bundesgartenschau 2009 in Schwerin wurden erstmals die so genannten "Memoriam-Gärten" vorgestellt - themenbezogene Miniaturfriedhöfe innerhalb regulärer Friedhöfe, die vom Bund deutscher Friedhofsgärtner betreut werden. Inzwischen gibt es mehrere solcher Themenanlagen, unter anderem in Aachen, Berlin-Steglitz und -Zehlendorf, Duisburg-Waldfriedhof, Bonn und Saarbrücken-Dudweiler. Ähnlich ausgerichtet sind die von Friedhofsgärtner-Genossenschaften in Kooperation mit den Friedhofsverwaltungen angelegten "Bestattungsgärten" in Köln und Bergisch-Gladbach. Auch hier handelt es sich um themenbezogene Beisetzungsflächen, die sich als Landschaftsgärten en miniature zeigen, in die die Gräber ohne feste Grenzen hineinkomponiert sind. So ist der "Garten der Lichter" im Stil eines japanischen Gartens konzipiert und will der symbolischen Bedeutung brennen-der Lichter für Trauer und Erinnerung - über Allerheiligen hinaus - gerecht werden. Der Auengarten bezieht seine Gestaltung über feuchte Landschaftsflächen.

Neueste Trends umfassen regionalspezifische Gemeinschaftsanlagen, wie Weinberg-Bestattungen (Ahrweiler und Nordheim am Main) und Deichbestattungen (Schweiburg am Jadebusen) (Abb. 5).


Deichgrab Friedhof Schweiburg (5)

Wie letzteres Beispiel hat die maritim gestaltete Urnengemeinschaftsanlagen "Letzte Ankerplatz" auf dem Neuen Friedhof Wester-land (Insel Sylt) ebenfalls symbolischen Bezug zur Nordseeküste. Häufig spielen zwar auch christliche Motive noch eine Rolle, aber sie werden zunehmend überformt von säkular-naturbezogener bzw. archetypisch-mythologischer Symbolik, wie Schmetterlings-Anlagen (Friedhof Hamburg-Ohlsdorf). Auch symbolische Gestaltungen in Form von bestimmten Blumenarten sind vielfach bekannt (z. B. Hauptfriedhof Saarbrücken) (Abb. 6).


Urnenthemenpark Rhododendron Hauptfriedhof Saarbrücken (6)

Anmerkung der Redaktion: Der folgende Text basiert auf zwei Beiträgen, die Verf. für das Handbuch "Friedhöfe 2019. Bestattungstrends, aktuelle Rechtsfälle und Zukunftsperspektiven" (Merching 2019) verfasste.

Fotos: 1-4; 6: Norbert Fischer; 5: Sonja Windmüller

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Landschaftliche Gräberfelder (September 2022).
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