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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Zur Gemeinschaftsgrabstätte der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Ansgar Hamburg-Langenhorn auf dem Friedhof Ohlsdorf

Eine Erfahrung vorweg. Als Gemeindepastor bin ich zugleich Seelsorgender in drei Alten- und Pflegeheimen. Manchmal habe ich Menschen in den letzten Stunden ihres Lebens begleiten dürfen. Immer wieder ganz berührende Momente waren und sind das. Und dann rechnete ich in den kommenden Tagen mit einem Anruf eines Bestatters. Der Anruf aber - kam nicht. Stattdessen, als ich Wochen später nichtsahnend auf dem Langenhorner Markt einkaufe, klopft mir von hinten jemand auf die Schulter. "Danke, Pastor - für das mit Oma..." Ich realisiere, dass es sich um den Sohn der Verstorbenen handeln muss.

Wir sprechen einen Augenblick und irgendwann frage ich nach dem Abschied. "Nee, Oma wollte ja anonym... Sie wollte, dass wir uns nicht kümmern müssen." Ich nicke vielleicht ein wenig unsicher, wir verabschieden uns.

Nachdenklichkeit schleicht sich bei mir ein. Wollte Oma wirklich keine Umstände machen? Hat sie sich vielleicht nicht getraut, die Kinder auf diese Themen anzusprechen? War sie nicht diejenige, die immer die Sterbedaten aller aus der Familie präsent hatte und die Gräber akkurat pflegte? Und was eigentlich ist der Wunsch der Hinterbleibenden? Müssten nicht eigentlich sie die Entscheidung treffen, weil sie mit einer so oder getroffenen Bestattungsform leben müssen?

Solche und ähnliche Situationen habe ich öfter erlebt. Und machte mich darum auf die Suche nach einer Bestattungsform, die Angehörigen die möglicherweise empfundene Last der Grabpflege nehmen könnte, die zudem auch günstiger als eine Einzelgrabstätte wäre - und auf jeden Fall nicht anonym sein sollte.

Auch wenn wir als Christinnen und Christen darauf vertrauen, dass unsere Namen ganz nah bei Gott aufbewahrt sind (Jesus sagt einmal: "Eure Namen sind im Himmel aufgeschrieben") - so weiß ich von vielen Hinterbleibenden, dass sie einen Ort für die Trauer, für das Gespräch mit ihren Verstorbenen brauchen. Nicht wenige, die einmal ein Familienmitglied anonym bestatteten, fragen mich, manchmal nach Jahren noch: "Aber Du weißt doch, wo Tante Erna..." "Nein", muss ich dann antworten, "genau weiß
auch ich es nicht."

Aus allen diesen Erlebnissen, Erfahrungen und Gedanken entstand der Wunsch nach einer Gemeinschaftsgrabstätte der Kirchengemeinde. Mit dem Friedhof Ohlsdorf gab es viele gute und interessante, vorbereitende Gespräche darüber. Und schließlich wurden uns verschiedene alte Grabstätten inklusive Grabsteine gezeigt, von denen wir eine im Rahmen einer Patenschaft übernehmen könnten. Mit einigen Interessierten wählten wir die Stelle aus. Ein altes Familiengrab mit Platz Urnen- und Erdbestattungen. Gut mit dem Bus erreichbar. Nicht direkt an der Straße, aber auch nicht so tief ins Gelände herein. Den alten, schlichten Grabstein übernahmen wir, brachten auf ihm
ein langgezogenes Kreuz an (wie es sich auch auf unserem Kirchturm und in der Kirche findet) und ließen ein Jesus-Wort dazusetzen: "Christus spricht: Ich lebe - und ihr sollt auch leben."

Die Namen der Verstorbenen werden auf große Granitplatten vor dem Grabstein eingraviert. Inzwischen gehören etwa 80 Menschen aus der Kirchengemeinde zu den Interessierten. Viele Menschen haben wir in den letzten Jahren dort schon beigesetzt. Die Gemeinschaft macht auch möglich, dass z.B. ein Obdachloser, der Schutz bei uns suchte, ihn auch bekam, aber dennoch leider in seiner neuen Wohnung dann verstarb, dort mit beigesetzt wurde.

Zweimal im Jahr - zu Ostern und zum Ewigkeits- und Totensonntag, feiern wir eine Andacht auf unserer Gemeinschaftsgrabstätte.

Für mich ist besonders überraschend, dass sich längst nicht nur die "Kerngemeinde", also die "Hochverbundenen" für diese Grabstelle interessieren. Sondern dass wir darüber Kontakt zu vielen anderen Menschen aus der Gemeinde, die vorher nicht so präsent waren, bekommen haben, die sich an den verschiedensten Stellen jetzt in das Gemeindeleben einbringen. Eine Grabstelle als "Gemeindeaufbau" - überraschend und berührend.

Der Autor ist Pastor der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Ansgar Hamburg-Langenhorn, Kon-
takt: [email protected]

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Gemeinnützige Bestattungskultur (März 2022).
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