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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Das Grab des Gartenmeisters Sitzenstock auf dem Ohlsdorfer Friedhof

Nicht weit vom Forum liegt an der Nebenallee eine kleine Senke. Manche Besucher fragen, ob es sich um einen Bombenkrater handelt. Diese Vertiefung entstand aber schon in der Zeit vor der Anlage des Friedhofs und wird in "Benraths Führer durch den Ohlsdorfer Friedhof" von 1901 so beschrieben:
"Im Quadrat V6 ist rechts vom Wege eine frühere Sandgrube zu einer stillen Parkanlage ausgebildet, mit mehreren Ruhebänken für Besucher, die den Frieden des Ortes in voller Einsamkeit genießen wollen. Der Platz wird deshalb von den in Scharen den Friedhof bevölkernden Singvögeln ganz besonders bevorzugt."

Hier hatte Wilhelm Cordes also die vorgefundene Situation in bewährter Weise in seine Planung einbezogen. Der zum Führer gehörige Plan zeigt auch die Wege, die in das Feld hineinführten. (Abb. 1)


Generalplan von Ohlsdorf, 1901 (1)

Allerdings ist die Senke seit damals sehr verwildert und die Idylle lässt sich kaum noch nachempfinden. Auf der Seite zur Nebenallee hin ist der Bewuchs noch recht locker. Hier machen sich aber allmählich Sämlinge von umstehenden Laubbäumen breit. Die Gegenseite ist dicht mit Eiben und Rhododendron bestanden und in der Vertiefung selber liegt Totholz. Die Wege kann man teilweise noch erahnen, aber die Bänke sind auf jeden Fall schon lang verschwunden.

Aptiert, also für Bestattungen hergerichtet, wurde dieser Bereich 1883 und zunächst nur eine Grabreihe an der Ostseite angelegt. Aus dieser Zeit sind jetzt noch zwei Gräber erhalten, eines davon das Grab der Familie Schacht. Diese Familie besaß seit 1732 einen Hof in Eimsbüttel [Herman Sieveking, Eimsbütteler Chronik, Hamburg 1951] und stellte auch zeitweise den örtlichen Vogt. Das sehenswerte neogotische Grabmal aus dunklem Granit ist bestens erhalten. (Abb. 2)


Grabmal der Familie Schacht (2)

Wer sich das Grabmal anschaut und dann etwas genauer in das Gestrüpp dahinter sieht, kann erahnen, dass dort auch noch ein Grabstein steht. Allerdings würde man auch ohne die wirren Zweige von hier aus nur die glatte Fläche der Rückseite erkennen. Um die Vorderseite zu sehen, die zur Mitte der Wildnis zeigt, müsste man nach dem Überrest des alten Weges suchen und sich dann den Weg hinein bahnen. Das Grabmal ist eine Breitstele und zeigt außer einem kleinen Blumenmotiv die Namen der Bestatteten, des Ehepaares Sitzenstock und einer Tochter (Abb 3).


Grabmal der Familie Sitzenstock (3)

Wer war der Herr Sitzenstock, der sich für sein Grab diesen besonderen Platz ausgesucht hatte? Im Grabregister ist angegeben, dass er pensionierter Gartenmeister war, was sofort die Vermutung aufkommen lässt, er könnte in Ohlsdorf gearbeitet haben. Und da Sitzenstock ein recht seltener Name ist, finden sich dafür tatsächlich Belege.

Hermann Ludwig Sitzenstock war 1855 in Zelasen, Kreis Lauenburg, im östlichsten Zipfel Pommerns geboren. In der Familie gab es außer ihm und seinem Vater noch weitere Gärtner. Wann genau er nach Ohlsdorf kam, ist bisher nicht bekannt, auf jeden Fall aber vor Mitte 1882. Seine Heirat mit Caroline Johanna Elsabe Nebel aus Groß Borstel fand am 25. November 1885 statt. Wilhelm Cordes persönlich war einer der Trauzeugen. Das Ehepaar zog nach Klein Borstel in die Wellingsbütteler Landstraße 20, wo zwischen 1886 und 1899 drei Töchter und zwei Söhne geboren wurden.

Sitzenstock war bis zu seiner Pensionierung auf dem Ohlsdorfer Friedhof tätig. 1922 meldete der Hamburger Anzeiger:

"Nach mehr als 40jähriger Tätigkeit scheidet Gartenmeister Sitzenstock am 1. Juli aus dem Dienst der Friedhofsverwaltung aus. Die Friedhofsdeputation wird dem Ausscheidenden bei seinem Austritt für seine langjährige treue und aufopfernde Tätigkeit ein Anerkennungsschreiben überreichen."

Im Jahr darauf erwarb Sitzenstock schließlich das Grab in U6. Es ist davon auszugehen, dass er sich auf Grund der besonderen Lage genau diesen Platz ausgesucht hat. Erst auf Plänen, die nach 1923 entstanden, ist hier ein Grab eingezeichnet.

Leider wurde die Pflege des kleinen Areals schon vor vielen Jahren eingestellt, und das Grab geriet in Vergessenheit. Eigentlich sollte mittlerweile an dieser Stelle auch gar nichts mehr stehen, denn nachdem 2011 die Nutzungsdauer abgelaufen war, wurde das Grab angeblich geräumt. Aber was auch immer damals abgeräumt wurde, dieser Stein war es jedenfalls nicht.

Jetzt bleibt zu hoffen, dass der Grabstein auch weiterhin erhalten bleibt. Mit der Person des Gartenmeisters Sitzenstock kann man endlich auch einmal an einen der zahlreichen, mittlerweile längst vergessenen Mitarbeiter erinnern, ohne deren tatkräftigen Einsatz Wilhelm Cordes und später sein Nachfolger Otto Linne ihre Planungen nicht hätten umsetzen können.

Fotos: Petra Schmolinske

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Gemeinnützige Bestattungskultur (März 2022).
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