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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Gefährliche Leichen: Warum die Trauer in Corona-Zeiten einsamer ist…

Autor/in: Olga Reher
Ausgabe Nr. 153,II,2021 - Mai 2021

Stirbt ein geliebter Mensch, so kommen Gefühle wie Angst, Trauer, Schmerz, Unsicherheit und Schuldgefühle auf. Man steht neben sich und alles scheint so unwirklich zu sein.

Stirbt ein nahestehender Mensch, der an Covid-19 verschieden ist, wird die Sache noch schwieriger. Vielen Menschen wird das Abschiednehmen bei der Trauerfeier und am Ort der Bestattung verwehrt. In Krankenhäusern und Altersheimen besteht das Kontaktverbot. Angehörige dürfen sich nicht mehr verabschieden, weil die Ansteckungsgefahr zu groß ist. Patienten müssen alleine und ohne einen letzten Kontakt zu ihren Angehörigen sterben. Hinterbliebene haben keine Möglichkeit mehr, den Tod zu begreifen. Dabei ist ein würdevoller und bewusster Abschied sehr wichtig, der ein Heilungsprozess nicht nur für Sterbende, sondern auch für Angehörige ist. Keiner soll allein sterben. Der Bundesverband der Bestatter ist überzeugt, dass wir die Trauerkultur mit ihren Ritualen brauchen, um zu verstehen, dass jemand nicht mehr da ist. Sie sind ein Schutzkokon.

Ein anderes Problem ist, dass der Kontakt zum toten Körper, zum Leichnam, massiv eingeschränkt ist, weil der an Covid-19 Verstorbene sofort in einen luftdichten Plastiksack gelegt wird. Es kann kein Abschied am offenen Sarg mehr stattfinden, weil verschlossene Särge in diesem Fall nicht mehr geöffnet werden dürfen. Bislang. Denn eine neue Verordnung, die im kommenden Juli in Kraft treten soll, bewirkt, dass der Leichnam umgebettet werden soll - und der Hygienesack, bekannt auch als Bodybag, entfernt werden muss. Der Sack ist biologisch nicht vollständig abbaubar und hinterlässt Mikroplastik. Die sogenannte Einwegkunststoffverordnung soll das ändern, weil es sonst zu einer biologischen, chemischen und physikalischen Veränderung des Bodens und des Grundwassers kommt, wozu es laut Bestattungsgesetz und Bestattungsverordnung nicht kommen darf.

Des Weiteren führt die Beisetzung der Verstorbenen in Hygienesäcken dazu, dass der Verwesungsprozess nicht vollständig ablaufen kann. Viele städtische und kirchliche Friedhöfe in Hamburg und Schleswig-Holstein haben sich bereits jetzt für ein Verbot von Bodybags entschieden. In Pandemiezeiten, in denen es um den größtmöglichen Schutz der Menschen geht, sorgt das für öffentliche Diskussionen. Das Infektionsrisiko sei angeblich zu groß, heißt es, da das Virus in der Restluft der Verstorbenen säße und beim Umbetten und Bewegen des Toten in die Umgebung gelangen könne.

Wir sollten aufhören, über Bodybags zu diskutieren, und den Hinterbliebenen und Sterbenden ermöglichen, Abschied zu nehmen. Wenn man hört, dass die Särge von Corona-Toten mit der Aufschrift "Corona" und dem Zeichen "Biohazard" beschriftet werden, wirkt es fast so, als ob es sich bei den Corona-Toten um Sondermüll handele, der schnellstmöglich aus dem Leben geschaffen werden soll. Wie müssen sich die Hinterbliebenen fühlen?
Wie müssen sich die sechsfache Mutter Sundee Rutter und ihre sechs Kinder aus der USA gefühlt haben? Die Kinder im Alter von 13 bis 24 Jahren konnten sich nicht von ihrer Mutter verabschieden. Statt sie noch einmal in die Arme nehmen zu können, mussten die sechs Geschwister hinter einer Glasscheibe stehen. Sie konnten nur durch ein Walkie Talkie mit ihr sprechen. Kurz darauf starb die 42-Jährige. Und das ist nur ein trauriges Schicksal von vielen...

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Corona und Tod (Mai 2021).
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