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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Begräbnisplätze für namenlose Strandleichen auf Sylt

Über Jahrhunderte hinweg war es häufig schwierig, Strandleichen zu identifizieren. Aber nur getaufte Christen durften zunächst auf den Kirchhöfen beigesetzt werden.

Daher begrub man unbekannte Strandleichen auf Sylt und anderen Nordseeinseln in den Dünen oder in abseitigen Ecken am Friedhof. Mit dem aufkommenden Seebäderwesen galt dies im Verlauf des 19. Jahrhunderts als wenig pietätvoll, auch rückten nun hygienische Fragen immer stärker ins Blickfeld. So richtete man spezielle Namenlosen-Friedhöfe ein – vor allem an der Nordseeküste, wo Schiffbrüche wegen des unsicheren Fahrwassers besonders häufig vorkamen. Die bekanntesten unter ihnen sind heute Touristenattraktionen.

Auf Sylt hat es mehrere solcher Namenlosen-Friedhöfe gegeben. Der erste wurde mit Einrichtung des dortigen Seebades auf Westerland angelegt. Ab 1854 wurden angeschwemmte unbekannte Toten auf einem abgegrenzten, speziell für diesen Zweck geschaffenen Platz bestattet. Die einzelnen Gräber wurden mit Holzkreuzen versehen, die das Datum des Fundes sowie den betreffenden Strandabschnitt nennen.


Die Anlage in Westerland

Historische Fotos aus dem 19. Jahrhundert zeigen die allmähliche Entwicklung des Namenlosen-Friedhofes. Zunächst lag der Begräbnisplatz noch relativ weit entfernt von der Bebauung Westerlands, doch diese rückte allmählich immer näher. Die Anlage war abwechselnd von einem Erdwall und einer Mauer umgeben. Die Holzkreuze auf den Fotos weisen Pflanzen- und Blumenschmuck auf. An den Bestattungen auf dem Westerländer Namenlosen-Friedhof nahm ein Pastor teil, der dafür ein Entgelt aus der sogenannten Landschaftskasse erhielt.

Am 2. September 1888 wurde ein bis heute erhaltener Gedenkstein feierlich eingeweiht. Diesen hatte die rumänische Königin Elisabeth gestiftet, die unter ihrem Künstlernamen Carmen Sylva in der zeitgenössischen Öffentlichkeit als Dichterin bekannt war. Der Gedenkstein enthält Verse des preußischen Oberhofpredigers und Generalsuperintendenten Rudolf Kögel aus dem Gedicht "Heimath für Heimathlose". Letzterer Titel zierte auch schon frühzeitig – wie heute noch – die hölzerne Eingangspforte.


Gedenkstein auf dem Kirchhof in Keitum

Die letzte Beisetzung auf dem Westerländer Namenlosen-Friedhof fand im Jahr 1905 statt. Heute ist die Anlage zur Touristenattraktion geworden. Im Anschluss an die letzte Beisetzung wurden Strandleichen künftig auf den regulären Inselfriedhöfen von Sylt beigesetzt. Auf dem neuen Westerländer Friedhof wurde zu diesem Zweck ein eigener Platz eingerichtet und ein Gemeinschaftsdenkmal gesetzt. Seit 1907 fanden hier unbekannte Tote von den Stränden Westerland und Rantum ihre letzte Ruhe.

Am 20. September 1865 war auf Sylt ein weiterer Strandleichen-Friedhof eingerichtet worden – im Listland im Norden der Insel. Er diente der Bestattung jener Leichen, die am Lister Strand und nördlich von Kampen angeschwemmt wurden. Aber dieser Namenlosen-Friedhof wurde nach anhaltenden Streitigkeiten mit der Regierung über die Trägerschaft im Jahre 1891 bereits wieder geschlossen.

Auch auf dem St. Severin-Kirchhof in Keitum auf Sylt gab es einen Ort für namenlose Strandleichen. Bis heute wird er von einem Findling mit der Aufschrift "Den Unbekannten" markiert. Der Gedenkstein ist auch auf einem Gemälde des Keitumer Malers, Fotografen und Dichters Magnus Weidemann (1880-1967) zu sehen. Das Bild stammt aus dem Jahr 1933 und trägt den Titel "Die Seemannsgräber". Hinter dem Findling sind neun hölzerne Kreuze ohne Inschriften zu erkennen, die heute nicht mehr vorhanden sind.

Fotos: Norbert Fischer

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Begräbnisplätze in Schleswig-Holstein (November 2020).
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