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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

"„... eine überall Spalier bildende dichtgedrängte Menschenmenge" - Tod und Begräbnis Emil Nauckes im Januar 1900

Autor/in: Lars Amenda
Ausgabe Nr. 150, III, 2020 - August 2020

Am 28. Januar 1900 nahm die Hamburger Bevölkerung zu Zehntausenden von einer der berühmtesten Persönlichkeiten der Jahrhundertwende Abschied: Emil Naucke.

1855 auf der Insel Poel geboren, kam Naucke 1873 nach Hamburg und trat anfangs als Artist im St. Georg-Theater und in Lokalen in St. Pauli auf. Als gewichtiger Ringer und 230 Kilogramm schwerer "Colossalmensch" begeisterte er in den 1870er und 1880er Jahren das Publikum und gastierte an vielen Orten in Europa und Nordamerika.1 1896 eröffnete er am Spielbudenplatz "Emil Naucke‘s Varieté" und trat dort in von ihm selbst verfassten grotesken Lustspielen auf. 1898 begann Naucke mit dem Radfahren und führte zusammen mit dem kleinwüchsigen Peter Hansen im Duett Kunststücke auf dem Rade vor. So auch am 24. Januar 1900, als der Deutsche Radfahrer-Bund in Sagebiels Etablissement ein großes karitatives Fest veranstaltete. Nach ihrem Auftritt rollten Naucke und Hansen von der Bühne; Naucke fühlte sich sehr unwohl und starb wenig später an den Folgen eines Herzinfarkts.


Tourneeplakat für Emil Naucke, 1893/94

Die Kunde von Nauckes Tod machte noch am Abend und am folgenden Tage die Runde und wurde "von Jedermann erörtert, ist doch in dem Verstorbenen die ‚gewichtigste‘ und zugleich auch wohl eine der populärsten Persönlichkeiten nicht nur Hamburgs, sondern wohl von ganz Deutschland aus dem Leben geschieden."2 Die Hamburgerinnen und Hamburger trauerten um den beleibten und beliebten Unterhaltungskünstler, der für sein großes Herz und für die selbstlose Hilfe und Unterstützung von Menschen in Not bekannt war.

Die Trauerfeier und Beisetzung Emil Nauckes fand unter großer Anteilnahme der Bevölkerung am 28. Januar statt. „Bereits um die Mittagszeit“, so die Hamburger Nachrichten, „ergoß sich eine förmliche Völkerwanderung nach St. Pauli, das mit den von fast sämmtlichen dortigen Vergnügungs-Etablissments und mehreren Privathäusern halbmastwehenden Flaggen einen seltsamen Eindruck machte“.3 Der Hamburger St. Anschar-Verein hatte Emil Nauckes Varieté in eine "Trauercapelle" verwandelt, in die jedoch nur ein kleiner Teil, der engste Kreis der Trauernden Einlass fand. Der allgemeine Andrang vor Nauckes alter Wirkungsstätte war jedoch so groß, "daß ein Schutzmann vor der Thür müßige Gaffer fortjagen mußte".

Im Innern des Varietés war Naucke in seinem Sarg aufgebahrt. "Inmitten eines Hains von Palmen, Lorbeer und immergrünen Pflanzen erhob sich auf einem Katafalk, umgeben von umflorten Kandelabern, der gewaltige Metallsarg, der die sterbliche Hülle Naucke's barg." Pastor Jensen aus St. Pauli hielt die Trauerrede, nach deren Ende sich ein gewaltiger Zug am Spielbudenplatz formierte. An der Spitze marschierte „das Musikcorps des Bahrenfelder Artillerie-Regimente“, gefolgt vom Artillerieverein, der Militärischen Kameradschaft St. Pauli, zahlreichen "Deputationen" und Naucke nahestehenden Vereinen und Vereinigungen sowie "70 Equipagen mit Leidtragenden".

"Der Zug nahm durch eine überall Spalier bildende dichtgedrängte Menschenmenge seinen Weg über Spielbudenplatz, Reeperbahn, Millernthor, Holstenwall, Ringstraße, Dammthor, Moorweide, Rotherbaum u. s. w. nach Ohlsdorf." Wie viele Menschen dem Leichenumzug beiwohnten, lässt sich nicht mehr genau feststellen. Einige Quellen sprechen sogar von 100.000 Personen, was vielleicht zu hoch gegriffen ist. Sicher aber ist, dass Zehntausende Naucke an diesem Tag Lebewohl sagten.


Grabmal Emil Naucke

Auf dem Friedhof Ohlsdorf wurde der Leichnam Nauckes im kleinen Kreis beigesetzt. Das Grab schmückte ein markanter Obelisk, der nach der Auflösung der Grabstelle direkt neben das Friedhofmuseum am Haupteingang des Friedhofs verlegt wurde. Die Erinnerung an Emil Naucke hielten viele auf unterschiedliche Weise wach, bis sie im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich schwand.

Anmerkungen:
1 Vgl. Ronald Großpietsch, Emil Naucke. Ein Leben für das Varieté, in: NISH- Jahrbuch 19 (2016), S. 183-209; Matthias Schmoock, Naucke, Emil, in: Hamburgische Biografie, Göttingen 2006, Bd. 3, S. 266-267; Hans Scheugl, Show Freaks & Monster. Sammlung Felix Adanos, Köln 1978, S. 124; Carl Thinius, Damals in St. Pauli – Lust und Freude in der Vorstadt, Hamburg 1975, S. 54f.
2 "Emil Naucke ist todt", in: Hamburger Nachrichten vom 25.1.1900; siehe auch: † Emil Naucke, in: General-Anzeiger für Hamburg-Altona, Nr. 22 27.1.1900.
3 Das Leichenbegängniß Emil Naucke's, in: Hamburger Nachrichten vom 29.1.1900. Dort auch die folgenden Zitate.

Foto: Lars Amenda

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