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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der Alte Niendorfer Friedhof in Hamburg

Die ersten Bestattungen in Niendorf erfolgten vor 250 Jahren mit der Einweihung der von Baumeister Heinrich Schmidt entworfenen Niendorfer Barockkirche im November 1770 auf dem um die Kirche herum angelegten Kirchhof.

Das Gelände, auf dem die Kirche errichtet wurde, war mit einer Natursteinmauer (teilweise noch heute existent) und einem quadratisch angeordneten Lindenkranz, bestehend aus 72 Linden, umgeben. Auf der Fläche zwischen Lindenkranz und Kirche wurden die Verstorbenen direkt nebeneinander, um die Kirche herum, bestattet.


Bis zur Einweihung von Kirche und Kirchhof wurden die Verstorbenen auf Karren und Fuhrwerken nach Eppendorf gebracht, um dort beigesetzt zu werden. Die Kirchengemeinde Niendorf war bis 1770 dem Hamburger Domkapitel mit Zuständigkeit der Eppendorfer Kirche angegliedert.

Politisch gehörte das Dorf Niendorf zum Kreis Pinneberg und somit zu Holstein, das mit dem Dänischen König Christian VII. in seiner Funktion als Herzog von Schleswig und Holstein, unter dänischer Verwaltung stand. Auf Veranlassung Christian VII. wurde die Barockkirche in Niendorf gebaut und das Kirchspiel Niendorf – losgelöst von Hamburg und Eppendorf – gegründet. Das neue Kirchspiel bestand aus Lokstedt, Niendorf, Schnelsen, Hummelsbüttel, Stellingen, Langenfelde und Eidelstedt. Damit war der Niendorfer Kirchhof auch für diese Dörfer zuständig. Stellingen-Langenfelde und Eidelstedt errichteten später eigene Friedhöfe, Hummelsbüttel gehört heute zur "Region Mittleres Alstertal". Die beiden Niendorfer Ev.-Lutherischen Friedhöfe sind heute noch für die Kirchengemeinden Lokstedt, Niendorf und Schnelsen zuständig.

Bereits 1846, also 76 Jahre nach der Einweihung, wurde der Kirchhof zu klein – die erste Erweiterung wurde diskutiert und ein Jahr später durchgeführt. Sie erfolgte Richtung Süden, auf dem Pastorenland, dem Thees-Stück. Das Entstehungsjahr des heutigen Alten Niendorfer Friedhofs ist mit 1847 beurkundet. In der Festschrift zur 200-Jahrfeier der Niendorfer Kirche im Jahre 1970 wurde in einem Beitrag des damaligen Friedhofsverwalters erstmals das Gründungsjahr 1840 genannt und in vielen Texten - insbesondere im Internet - fälschlicherweise übernommen. Die Kirche steht auf dem Theeberg oder auch Theebarg, einer historischen Thingstätte, der höchsten Stelle im Dorf und "wacht" noch heute über die Totenruhe auf dem Alten Niendorfer Friedhof. Die von der Kirche in Richtung Norden verlaufende heutige Einkaufsstraße – Tibarg – erinnert an die alte Flurbezeichnung.

Da die Beisetzungen auf dem Kirchhof ohne erkennbare Ordnung erfolgten und es fast keine Möglichkeit gab eine Ruhestätte als Gedenkort einrichten zu können, wurden bereits Anfang des 19. Jahrhunderts Ruhestätten außerhalb von Lindenkranz und Natursteinmauer auf einem kleinen Teil des Pastorenlands eingerichtet. Die älteste, noch heute existierende Ruhestätte auf dieser Fläche ist aus dem Jahre 1824. 1867 und 1882 waren weitere Erweiterungen erforderlich – auch diese in Richtung Süden bis zum heutigen Südeingang des Friedhofs. Der Kirchhof wurde nach 130 Jahren, um 1900, eingeebnet.

1895 wurde beschlossen, einen zweiten Friedhof in Niendorf zu errichten – östlich der heutigen Kollaustraße. Der Neue Niendorfer Friedhof konnte aber erst 1903 in Betrieb genommen werden, da es Probleme mit der Entwässerung des Bodens gab.


Verbreiterung der Kollaustraße

Umbettungsarbeiten 1956

Einen gravierenden Einschnitt in seine Struktur erfuhr der Alte Niendorfer Friedhof im Zuge der Verbreiterung der Kollaustraße im Jahr 1956. Ein breiter Streifen entlang der Straße, vom Gemeindehaus bis zum Südeingang, musste geopfert werden; eine Fläche mit ca. 800 betroffenen Gräbern. Zum Ausgleich erwarb die Kirche auf der westlichen Seite des Friedhofs einen Streifen des Parks aus dem Besitz der Familie v. Berenberg-Gossler – die heutige Abteilung VI, auch "Waldfriedhof" genannt. Den Umgebetteten konnte hier ihre endgültige Ruhestätte zugewiesen werden. Die ganze Aktion war eine logistische Meisterleistung, die dem damaligen Friedhofsverwalter, Paul Jürs, und seinem Team einiges abverlangte.

Heute hat der Alte Niendorfer Friedhof eine Fläche von ca. 4,5 ha mit altem, prächtig gewachsenem und gemischten Baumbestand, der ihm den Parkcharakter verleiht und mit zu den schönsten Friedhöfen Hamburgs zählt - besonders im Herbst durch die Farbenpracht der vielen Laubbäume.

Anfang der 1960er-Jahre wurde die Start- und Landebahn des Hamburger Flughafens in Richtung Niendorf verlängert, mit direkter Auswirkung auf beide Niendorfer Friedhöfe. Da die Friedhöfe in der Einflugschneise liegen, müssen die Bäume kurz gehalten und in regelmäßigen Abständen in Absprache mit der Flughafengesellschaft beschnitten werden.


Gruftanlage, nach Osten ausgerichtet

Die Dörfer Lokstedt, Niendorf und Schnelsen waren schon vor der Jahrhundertwende 1900 bei den Hamburger Bürgern, Kaufleuten, Reedern und Politikern sehr beliebt. Man schätzte die gute Luft, die Wiesen und Wälder sowie die vielen Ausflugslokale für den Sonntagsausflug ins Grüne. Die reichen Hamburger bauten hier ihre Sommerhäuser und Villen, was zur Folge hatte, dass auch Bürger, die nicht hier lebten aber häufig zu Besuch kamen, den Wunsch äußerten vor den Toren der Stadt beerdigt zu werden. So entstanden auf dem Friedhof viele Familiengruften in imposanter Größe, ein geheimnisvolles Mausoleum und zahlreiche Ruhestätten prominenter Hamburger Bürger, die in beachtlicher Anzahl heute noch existieren – teilweise in Obhut der Nachkommen der Beigesetzten, teilweise als Denkmal, betreut durch die Friedhofsverwaltung. Der älteste heute noch existierende Grabstein ist auf das Jahr 1806 datiert und als "Claussen-Stein" bekannt. Gut versteckt inmitten von Rhododendren steht er noch heute an seinem ursprünglichen Platz.


Grabmal mit Galvano-Engel

Bei einem Rundgang über den Friedhof begegnen uns viele bekannte Persönlichkeiten. So der Gründer der Albingia und Hamburg-Mannheimer Versicherung - Hermann Franz Matthias Mutzenbecher; Persönlichkeiten aus den Gründerkreisen der HAPAG, der Norddeutschen Bank, der Hamburg-Süd, der Vereinsbank. Gründer großer und teilweise noch heute aktiver Handelshäuser, Hamburger Senatoren, berühmte Professoren, Generaldirektoren weltweit agierender Gesellschaften – aber auch ein auf brutale Weise ermordeter Bordellbesitzer, ein Wirtschaftsweiser der Bundesregierung, ein berühmter und weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannter Regisseur und Theaterautor, die unvergessenen Schauspieler Evelyn Hamann und Günther Jerschke, die Bankiers Max von Schinckel und von Berenberg-Gossler, die Reeder August Bolten und Martin Garlieb Amsinck. Ein Konteradmiral der Transportflotte Speer mit dem Oberbefehl über einige hundert Transportschiffe, ein Rechtsanwalt, der verhinderte dass das Fürstentum Liechtenstein ins Großdeutsche Reich integriert wurde, und ein Richter des Hanseatischen Oberlandesgerichts, der Rechtsgeschichte geschrieben hat. Gesamt gesehen – eine sehr illustre Gesellschaft.


Mausoleum Heymann von 1892

Die großen Bauerndynastien aus dem Kirchenkreis sind hier genauso vertreten wie Lokalpolitiker, die die Infrastruktur der Dörfer entscheidend geprägt haben und ihre jeweilige Gemeinde mit Mut und Bedacht durch Wirtschaftskrisen und zwei Weltkriege führten. Straßennamen wie Siemersplatz, Emil-Andresen-Straße, Vogt-Wells-Straße oder Münsterstraße erinnern an ihr Wirken.

Interessant ist auch die Ruhstätte von Alma de l’Aigle (1889-1959): eine Reformpädagogin, Buchautorin und Blumenliebhaberin. Sie hat in den 1930er-Jahren in einem ihrer Bücher über 700 Rosensorten präzise beschrieben. Das Buch gilt noch heute als Standardwerk der Landschaftsarchitekten. Eine Rose wurde nach ihr benannt. Auf ihrer Ruhestätte befinden sich allerdings nur immergrüne Bodendecker – nicht eine Blüte, keine Rose, auch nicht die nach ihr benannte. Ein Exemplar ihrer Rose, "Andenken an Alma de l’Aigle", ist auf dem Ohlsdorfer Friedhof im Garten der Frauen zu sehen.


Mahnmal für die Opfer der beiden Weltkriege

Kurz vor dem Nord-West Eingang des Friedhofs hinter der Kirche befindet sich ein Mahnmal für die Gefallenen der beiden Weltkriege. "Schaffet Frieden" ist die ermahnende Inschrift auf dem Doppelkreuz. Auf der linken Seite der Anlage sind am Boden zehn Tafeln mit den Namen der Niendorfer Gefallenen des Ersten Weltkriegs zu sehen – rechts vom Mahnmal ist die erste Glocke der Kirche aus dem Jahre 1770 aufgestellt, die im Laufe ihrer "Dienstjahre" einen Riss bekam und ausgewechselt werden musste.


Glocke von 1770

Betritt man den Friedhof, liegt auf der linken Seite des Weges ein Grabmalmuseum. Hier sind alte Grabmale von längst aufgegebenen Ruhestätten zusammen getragen, um den Folgegenerationen die Grabmalkultur im Wandel der Zeit zu veranschaulichen. Gleich daneben befindet sich der Bereich der Pastorengräber. Hier steht auch das zweitälteste Grabmal, der Stein des ersten Pastors der Niendorfer Kirche, Johann Christoph Friedrich Rist, gestorben 1807. Auffällig an den dreizehn Grabmalen der Pastoren aus zwei Jahrhunderten ist, dass sie einheitlich, bis auf drei Ausnahmen, mit dem gleichen Schrifttyp, der englischen Schreibschrift, versehen sind.


Pastorengrab mit englischer Schreibschrift

Grabmalmuseum

Etwas weiter am Hauptweg, der früher die mit Kastanienbäumen gesäumte Auffahrt zur Villa und dem 1881/82 erbautem Sommerhaus des Freiherren v. Berenberg-Gossler war, liegt die 2010 angelegte Urnengemeinschaftsanlage, die 1. UGA-Dachsberg, mit Platz für 378 Urnen. Die Namen der hier Beigesetzten sind in Lamellen, die sich im Kreis angeordnet über der Anlage befinden, eingraviert.


Urnengemeinschaftsanlage Dachsberg mit Platz für 378 Urnen

In einem Masterplan aus dem Jahre 2008 sind Kolumbarien vorgeschlagen aber bis heute nicht verwirklicht. Da die Bestattungskultur auch auf dem Alten Niendorfer Friedhof sich immer mehr in Richtung "Urnenbegräbnis" bewegt, ist für die, im Gegensatz zum Sargbegräbnis, kleinen Urnenplätze noch reichlich Platz vorhanden. Es sei denn, dieser Trend kehrt sich irgendwann wieder um.


Im Kreis angeordnete Lamellen mit Namen und Daten der Verstorbenen

Der Alte Niendorfer Friedhof ist für 2500 Gräber mit insgesamt 6000 Plätzen ausgelegt. Es gibt aber noch viel freie Fläche mit altem Baumbestand ohne Ruhestätten bzw. Grabmale, die den Friedhof in seiner Gesamtheit zum Parkfriedhof werden lassen. Ein Paradies auch für Vögel, Eichhörnchen, Schmetterlinge und für eine verwilderte Hauskatze, die hier lebt und die Population der Mäuse in Grenzen hält - sehr scheu und selten zu sehen.

Erstaunlicher Weise gab es im Laufe der 250-jährigen Geschichte Niendorfer Bestattungskultur, bis auf einige Aufsätze und Artikel, nur eine Publikation über diesen Parkfriedhof - 1896 herausgegeben von dem Hamburger Architekten A. H. Hein. Zurzeit, also nach 124 Jahren, wird an einer umfangreichen "Neuauflage" gearbeitet, die voraussichtlich im November dieses Jahres zum 250. Jubiläum von Kirche und Kirchhof erscheinen wird.

Für Interessenten des Alten Niendorfer Friedhof bietet der Geschichtsverein Forum Kollau e.V. Führungen (Sonntagsspaziergänge) auf dem Friedhof an. Die öffentlichen Termine sind auf Facebook oder der Homepage des Vereins einsehbar – Termine für geschlossene Gruppen sind auf Anfrage möglich.

Fotos: Manfred Meyer

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Friedhof als "Immaterielles Kulturerbe" (Mai 2020).
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