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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die Hamburgische Sezession

Ein zweiter Anlass zur Erinnerung ist die Gründung der Hamburgischen Sezession im Sommer 1919. Die Bezeichnung Sezession ist im Grunde allerdings unzutreffend, denn die eigentliche Bedeutung des Wortes ist 'Abspaltung'.

Nur herrschte in Hamburg zu der Zeit im Bereich der bildenden Kunst eher ein Vakuum. Das Hamburger Publikum war überwiegend konservativ eingestellt, wie auch schon Alfred Lichtwark immer wieder erfahren hatte, aber selbst er war über den Impressionismus nicht hinausgekommen. Dazu kam die deutliche Zäsur durch den Ersten Weltkrieg. Mit den Umbrüchen nach Kriegsende kam vieles in Bewegung, und die Zeichen standen auf Neuanfang.
Zunächst fanden sich 33 Künstler zusammen und präsentierten im Dezember 1919 in den Räumen des Kunstvereins ihre erste Ausstellung. In dem dazu herausgegebenen Katalog wurde das Programm der Künstlergemeinschaft so formuliert:

"In den letzten zwanzig Jahren haben manchmal Namen selbst kleiner Ortschaften einen guten Klang bekommen, weil sich in ihnen Künstlergemeinschaften gebildet hatten.Hamburgs Name hat da nie mitgeklungen. Wohl aber hört man ab und zu im Reich, daß eine starke Begabung, sei es ein Architekt, ein Maler oder Bildhauer, Hamburgs Sohn sei.
Was machte diese Künstler in ihrer Heimat heimatlos? Und was noch heute jede auf sich vertrauende Begabung sich fortsehnen von Hamburg?
Der Künstler, der schaffen soll, kann nur in einer bestimmten Atmosphäre gedeihen. Es ist ihm Lebensnotwendigkeit, um sich ein Milieu zu haben, in dem er geistige Reibung, Verständnis und damit Unterstützung zum mindesten bei Gleichgesinnten findet. In Paris, München, Berlin findet der Künstler diese Atmosphäre. In Hamburg vermißt er sie. Aus dieser Erkenntnis heraus schlossen sich junge Hamburger Künstler zu einer Gemeinschaft zusammen, die ihnen ein solches Milieu schaffen soll. Der Name 'Hamburgische Sezession' soll nicht Ansager sein, daß diese Künstler mit einem neuen künstlerischen Programm auftreten wollen. Aber sie wären nicht jung, würde ihr Wollen nicht in die Zukunft weisen.
Die Werke der ersten Ausstellung beweisen Duldsamkeit gegen jede Richtung. Unduldsamkeit aber herrschte, als es galt, die Abtrennung vom leichtfertigen Schlendrian, vom geistlos herabgeleierten Handwerk, vom gewissenlosen Sichgehenlassen vorzunehmen. In dieser Abtrennung liegt das eigentliche Programm der Hamburgischen Sezession."

In der Formulierung 'Duldsamkeit' kommt auch zum Ausdruck, dass es nicht um eine gemeinsame stilistische Ausrichtung ging. Maike Bruns formuliert es so:

"Die Besonderheit der Künstlergruppe Hamburgische Sezession ist nicht in drei Sätzen zu benennen. In den 20er und frühen 30er Jahren – über 13 Jahre hin – verwirklichte sie in Hamburg ein Klima kultureller Weltoffenheit und Fortschrittlichkeit. Was die 52 Mitglieder von denen anderer Künstlervereinigungen in der Hansestadt unterscheidet, ist ihre konsequente Orientierung an der Avantgarde, ihre Experimentierfreudigkeit zugunsten eigenständiger Kunstaussagen, sowie Kollegialität, Offenheit untereinander und gegenüber begabten Nachwuchskünstlern. […] Auf kulturpolitischem Sektor reichten die Aktivitäten der Sezessionisten über die landläufige Interessenvertretung von Künstlergruppen weit hinaus. So initiierten sie mit Hilfe der "Senatskommission für Kunstpflege" in Form von Staatsaufträgen ein Förderprogramm für Kunst in und an öffentlichen Bauten, entwickelten in der Weltwirtschaftskrise Hilfsmaßnahmen für bedürftige Mitglieder, realisierten gemeinsam mit anderen Gruppen und dem Senat ein Ausstellungshaus an der Neuen Rabenstraße, erreichten die Einrichtung verschiedener Künstler- und Atelierhäuser. Mit Gleichgesinnten aus Literatur, Journalismus, Architektur, Musik, Tanz, Theater, Fotografie und angewandter Kunst baute die Gruppe ein Netzwerk kultureller Verbindungen in der Hansestadt auf. Mit den legendären jährlichen Künstlerfesten erreichte die Sezession das hamburgische Publikum, das sich zunehmend für Kunst zu begeistern begann [...]" (F. Weimar, Vorwort von M. Bruns).

Diese Zusammenfassung zeigt, dass die Sezessionisten ganz wesentlich beteiligt waren an der Belebung des kulturellen Lebens in der Hansestadt. Dabei ist aber auch nicht außer Acht zu lassen, dass sich die Rahmenbedingungen deutlich verbessert hatten. An dem im vorigen Absatz erwähnten Förderprogramm hatte Fritz Schumacher einen erheblichen Anteil, und dann war es besonders Max Sauerlandt, der Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, der die jungen Künstler unterstützte und mit einigen auch eng befreundet war. Gustav Pauli, der Direktor der Kunsthalle, war zwar auch offen für moderne Kunst, aber deutlich zögerlicher als Sauerlandt.

In der Zeit des Bestehens der Sezession präsentierten die Mitglieder in insgesamt 12 Hamburger Ausstellungen ihre Arbeiten, luden dazu auch immer wieder andere Künstler ein und beteiligten sich ihrerseits an auswärtigen Ausstellungen. Der Text von Maike Bruns macht aber auch deutlich, dass es eben nicht nur um die bildende Kunst ging. Das zeigte sich besonders schön auf den Künstlerfesten. 1919 war zunächst der 'Künstlerfest Hamburg e.V.' gegründet worden und veranstaltete ab 1920 jedes Jahr ein Fest im Curiohaus. An der Gestaltung waren Sezessionisten maßgeblich beteiligt. Die Feste gingen in einigen Jahren von Ende Januar bis weit in den Februar. Die Programme waren teilweise recht provokant, entwickelten sich aber mehr zu unterhaltsamen Revuen. 'Himmel auf Zeit', der Titel von 1933, war allerdings deutlich prophetisch.

Ab 1928 organisierte die Sezession dann ihre eigenen Feste. Der Titel 'Zinnober' war eine Anlehnung an die von Kurt Schwitters in den 1920er Jahren in Hannover organisierten Zinnoberfeste. Die Feste fanden ebenfalls im Curiohaus statt, aber jeweils nur an einem Abend. Man arbeitete mit weniger aufwändigen Mitteln und konnte so viel spontaner auf das aktuelle Zeitgeschehen eingehen.

Die Hamburgische Sezession bestand bis 1933. Schon vor der Machtübernahme hatte es Anfeindungen wegen als „entartet“ eingestufter Arbeiten gegeben. Das Ende kündigte sich an, als am 30. März 1933 die zwölfte Ausstellung der Sezession geschlossen wurde "im Interesse der öffentlichen Ordnung […], da die Ausstellungsobjekte in ihrer überwiegenden Mehrzahl zur Förderung des Kulturbolschewismus geeignet sind" (Friederike Weimar, S. 28). Als dann auch noch im Zuge der Gleichschaltung von den Nationalsozialisten der Ausschluss der jüdischen Mitglieder gefordert wurde, löste sich die Vereinigung unter Protest auf.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs versuchte man unter dem Vorsitz von Ivo Hauptmann die Sezession wiederzubeleben. Jedoch ließen sich die durch die NS-Zeit erstandenen Defizite nicht wirklich ausgleichen, und die Hamburgische Sezession löste sich 1952 wieder auf.

Die Kunsthalle zeigt noch bis zum 5. Januar 2020 eine Auswahl von Werken der Sezessionskünstler. Allerdings hat man sich für eine ungewöhnliche Art der Präsentation entschieden, nicht in einer zusammenhängenden Schau, sondern eingestreut in die Gesamtausstellung, also verteilt über eine größere Zahl von Räumen, und stellt die Werke damit in Beziehung zu den Arbeiten anderer Künstler. Außerdem ist im Jenischhaus bis zum 13. Januar 2020 die Ausstellung "Tanz des Lebens. 100 Jahre Hamburgische Sezession" mit zahlreichen Gemälden der beteiligten Künstlerinnen und Künstler zu sehen.

Literatur
- Friederke Weimar, Die Hamburgische Sezession 1919 - 1933, Hamburg 2003
- Maike Bruns, Anja Dauschek, Nicole Tiedemann-Bischop (Hrsg.), Tanz des Lebens, Die Hamburgische
Sezession 1919-1933, Hamburg 2019
- Maike Bruns: Kunst in der Krise, Bd. 1 Hamburger Kunst im "Dritten Reich", Hamburg 2001
- Maike Bruns: Kunst in der Krise, Bd. 2, Künstlerlexikon Hamburg 1933-1945, Hamburg 2001
- Roland Jaeger, Cornelius Steckner, Zinnober, Kunstszene Hamburg 1919-1933, Hamburg 1983
- Galerie Herold (Hrsg.), Die Hamburgische Sezession 1919-1933, Hamburg 1992
- Kay Rump, Maike Bruhns (Hrsg.): Der neue Rump, Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs, Altonas und der näheren Umgebung, Neumünster 2005
- Margret Grimm, Harald Rüggeberg (Hrsg.), Der Maler Wilhelm Grimm 1904-1968, Leben und Werk,
Hamburg 1989

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