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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die Welt der Toten - eine Oase des Lebens

"Denn wir sind nur die Schale und das Blatt.
Der große Tod, den jeder in sich hat,
das ist die Frucht, um die sich alles dreht."
(Rilke)

Der Friedhof als Hort der Ruhe inmitten des Lärms und der Hektik der Großstadt: Von dem Wahrheitsgehalt dieses vielbemühten Klischees können sich die Besucherinnen und Besucher unseres Ohlsdorfer Friedhofes jeden Tag aufs Neue überzeugen. Diese in einer einzigartigen Parkanlage ausgebreitete Totenwelt bietet uns Gelegenheit, vergangene und gegenwärtige Bestattungskultur ebenso zu erleben wie eine beeindruckende Fülle überaus lebendiger Natur.

Hier gedeihen 450 Arten von Laub- und Nadelgehölzen, und in den Büschen und Bäumen brüten über 100 verschiedene Vogelarten, darunter der Waldkauz, die Waldohreule und der seltene Eisvogel. Ebenso finden wir eine große Vielfalt an Käfern, Schmetterlingen und anderen Insekten. All diese Tier- und Pflanzenarten haben auf dem 400 Hektar großen Parkfriedhof die richtigen Lebensbedingungen gefunden. Sie konnten sich über Jahrzehnte hinweg gut entwickeln, weil das Friedhofsgelände naturnah bewirtschaftet und weil durch den Erhalt und die Pflege der Gartendenkmale der einmal entstandene Lebensraum wirksamen Schutz genießt.

Der Ohlsdorfer Friedhof wurde von Beginn an (1877) als Landschaftspark angelegt und begeistert mit seiner außergewöhnlichen Gartenarchitektur seit Jahrzehnten die Besucherinnen und Besucher. Deshalb ist es der Stadt Hamburg ein besonderes Anliegen, sowohl die historische als auch die zeitgenössische Gartenkunst und ihre spezielle Friedhofsarchitektur zu erhalten.

Von zentraler Bedeutung für den besonderen Charakter des Ohlsdorfer Friedhofes ist gleichzeitig die Bewahrung der historischen Grabstätten. Schon die vorgeschichtlichen Grab- und Kultmäler verweisen darauf, welch eminent wichtige Rolle die Bestattungskultur in der Entwicklung künstlerischer Ausdrucksformen gespielt hat. In der antiken ägyptischen Gesellschaft feierten die als Pyramiden und Tempel angelegten Grabmale der Pharaonen einzigartige Triumphe der Baukunst. Einerseits konserviert das Denkmal insofern die Erinnerung an bestimmte Personen oder Ereignisse. Andererseits reicht es, und dies gilt eben auch für die Grabmale des Ohlsdorfer Friedhofes, in seiner Bedeutung als Ausdruck einer kulturellen und künstlerischen Entwicklungsphase weit über diese Grenzen hinaus.

Denkmalpflege und Denkmalschutz ist deshalb zwar eine Pflichtaufgabe der öffentlichen hand, aber gleichzeitig auch Anreiz für viele, sich persönlich zu engagieren. Dies gilt um so mehr, wenn es um den Erhalt eines so beachtlichen Kulturerbes geht, wie wir es auf dem Ohlsdorfer Friedhof finden. Das 1986 veröffentlichte Ergebnis eines Forschungsprojektes der VW-Stiftung und der Kulturbehörde zeigt, welch enorme Bedeutung für die Grabmalkultur des 19. und 20. Jahrhunderts den rund 200.000 Grabstätten des Ohlsdorfer Friedhofes zukommt. Mit dieser Forschungsarbeit ist die Grundlage geschaffen worden, die historischen Grabdenkmäler und auch die beeindruckende Gartenkunst als Zeitdokument zu erhalten.

Und hier beginnt die bemerkenswerte kulturpflegerische Bedeutung, welche privaten Initiativen wie dem Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof zukommt. Dessen besonderes Engagement gilt vornehmlich dem Erhalt historischer Friedhofsanlagen in Hamburg unter besonderer Berücksichtigung von Ohlsdorf, und dem Ziel, die Auseinandersetzung mit und um den Tod wieder stärker in das öffentliche Bewußtsein zu rücken. Dies ist aus meiner Sicht besonders mit der Initiative für Grabmalpatenschaften gelungen. Denn viele der 6000 denkmalschutzwürdigen Grabmale befinden sich nicht mehr im Familienbesitz und damit nicht mehr in verantwortlicher Pflege. Der Förderkreis hat über öffentliche Aktionen für die Restaurierung von erhaltenswürdigen Grabmalen geworben und mit der Friedhofsverwaltung einen Angebotskatalog mit etwa 200 Patenschaftsgrabmalen erstellt. 139 Grabmale haben bereits Paten erhalten. Gerade in Zeiten knapper öffentlicher Kassen ist diese Initiative ein überaus hilfreicher Weg, den Zielen des Denkmalschutzes bei gleichzeitiger Berücksichtigung der wirtschaftlichen Notwendigkeiten einer Kommune Rechnung zu tragen.

Viel wird in unserer schnellebigen, ganz auf diesseitige Zielbestimmungen ausgerichteten Wachstumsgesellschaft über die Verdrängung und Abspaltung des Todes gesprochen. Und in der Tat: Das in der Werbung apostrophierte Idealbild der ewigen Jugend kontrastiert auf bedrückende Weise mit der Vereinsamung vieler alter Menschen in ihrer Todesstunde. Die auf dem Ohlsdorfer Friedhof anzutreffende Harmonie zwischen den urwüchsigen Lebenskräften der Natur, den künstlerischen Errungenschaften unserer Kulturgesellschaft und der fernen, aber gleichzeitig mitten in uns weilenden Welt des Todes stellt symbolisch eine wohltuende Antithese zur eingangs zitierten, diesseitsorientierten Großstadthektik dar.

Um den Erhalt unseres historischen Ohlsdorfer Friedhofes auch in dieser Funktion hat sich der Förderkreis in den zehn Jahren seines Bestehens große Verdienste erworben. Die zahlreichen von ihm organisierten Führungen und Vorträge und das Friedhofsmuseum schaffen öffentliches Interesse und unterstreichen die Bedeutung des Friedhofes. Für ihre anspruchsvolle Tätigkeit möchte ich den Mitgliedern des Förderkreises deshalb Dank und Anerkennung aussprechen und für die Zukunft weiterhin viel Erfolg wünschen.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft 10 Jahre Förderkreis (September 1999).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2024).