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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Namenlosenfriedhof und "Dodemannsdelle": Der maritime Tod auf der Insel Borkum

Auf der ostfriesischen Insel Borkum - seit 1850 Seebad - zeigt sich die maritime Gedächtnislandschaft in Denkmälern, aber auch in bis heute gültigen topografischen Bezeichnungen wie "Dodemannsdelle" und "Drinkeldodenkarkhoff".

Die drei bedeutsamsten Memorials erinnern an Schiffsunglücke. Wie in anderen Küsten- und Inselorten, befinden sie sich an prominenten Plätzen. Es handelt sich zum einen um das Erinnerungsmal, das dem Untergang der "Annemarie" im September 1931 gewidmet ist – dem Ereignis, das vor Ort bis heute als tragischster Unglücksfall betrachtet wird. Dieses Memorial steht am Alten Leuchtturm, einem der zentralen Punkte Borkums. Die beiden anderen Memorials stehen auf einem gartenarchitektonisch ansprechend gestalteten Gedenkplatz an der Ecke Deichstraße/Süderstraße, also an der Hauptstraße der Insel, und erinnern an den Untergang zweier Seenotrettungsboote im 20. Jahrhundert.

Am Alten Leuchtturm Borkums, der aus dem 16. Jahrhundert stammt, auf dessen Warft sich bis 1896 auch die Kirche der Reformierten befand und bis heute Grabmäler des alten Friedhofs zu sehen sind, erinnert ein Memorial an das in der Nacht vom 21. auf den 22. September 1931 vor der nahegelegenen Vogelinsel Memmert zerborstene Borkumer Schiff "Annemarie". Das Unglück forderte den Tod von 15 männlichen Inselbewohnern, Mitgliedern des lokalen Turnvereins, die am Vorabend ein Fest auf der benachbarten Insel Juist besucht hatten und auf der Rückfahrt verunglückten. Nur drei Bootsinsassen überlebten. Zwei Jahre nach dem Unglück, im September 1933, wurde auf den Nordwestdünen von Memmert, wo sich der Unglücksfall ereignete, ein hölzernes Erinnerungskreuz errichtet, das als "Kreuz von Memmert" bekannt geworden ist. Verankert durch einige Findlinge, verweist es auf die nahe Unglücksplate. Das weithin sichtbare Gedenkkreuz trug die Inschrift "Denke an den Tod! Annnemarie Unglück 22.9.1931".

Memorial
Annemarie-Memorial Borkum. Foto: Fischer

Das Memorial am Alten Leuchtturm wurde erst am 21. September 1958 feierlich eingeweiht – gestiftet von dem "Verein Borkumer Jungens". Zwischenzeitlich war auch eine Nachbildung des inzwischen verrotteten Memmert-Kreuzes, allerdings ohne den Schriftzug, am Alten Turm aufgestellt worden. Die Einweihung des Memorials am Jahrestag des Unglücks – der betreffende Platz am Alten Leuchtturm war zuvor von den Vereinsmitgliedern gärtnerisch hergerichtet worden war mit einer öffentlichen Gedenkfeier verbunden. Über diese Gedenkfeier wurde in der lokalen Presse unter der Überschrift "Sie sind nicht vergessen!" ausführlich berichtet. Der Bericht beginnt mit den Worten: "Jeder wiederkehrende 21. September wird für unsere Insel ein Tag des Gedenkens für die 14 [sic! Vermutlich ein Druckfehler, die richtige Opferzahl lautet 15] Opfer sein, die die See im Jahre 1931 mit der 'Annemarie' forderte." Der gemeinsame Gedenkgottesdienst, an dem die drei Überlebenden, die Angehörigen der Ertrunkenen sowie zahlreiche Gäste teilnahmen, fand vor der Einweihung des Memorials im nahegelegenen (neuen) Gotteshaus der Reformierten statt.

Zu dem Unglück selbst liegt das Protokoll der Verhandlungen vor dem Seeamt Emden vom 15. Dezember 1931 vor. Darin heißt es zum Hergang: "Es handelt sich um den Untergang des Motorboots 'Annemarie' aus Borkum, das am 21. September auf der Seehundsplate nordwestlich von Memmert gestrandet ist, wobei 15 der Fahrgäste ertrunken sind. Das Boot hatte eine Lustfahrt gemacht mit Teilnehmern von Borkum, die das Juister Turnfest besuchen wollten. An Bord befanden sich der Eigentümer Wilke Specht, Druckereibesitzer, ferner drei persönliche Bekannte von Specht, der Schiffsführer Harm und 14 Turner. Bei der Rückfahrt hatte man nicht den üblichen Weg über das Nordland gewählt (südlich von Memmert) sondern ist nördlich durch das sogenannte Haaksgatt (nördlich von Memmert) gefahren und in die Brandung geraten. Das Boot ist aufgelaufen, leck geschlagen, voll Wasser geschlagen und – nachdem eine Flut überstanden war – durch die gewaltigen Brecher zerschlagen, wobei 15 Leute den Tod gefunden haben. Erst gegen Morgen war es dem Zeugen Bakker gelungen, schwimmend den Memmert zu erreichen und die Rettungsstationen Borkum, Juist und Norderney telefonisch zu benachrichtigen. Es ist den Booten dann auch gelungen, noch drei Leute zu retten."

Angeschwemmte Strandleichen wurden auf Borkum bis zum späten 19. Jahrhundert auf dem "Drinkeldodenkarkhoff" in einem Dünental östlich des Großen Kaaps, eines hölzernen Tages-Seezeichens, bestattet. Auf einer Inselkarte von 1880 ist dieser Platz deutlich mit jenen kleinen Kreuzen markiert, die für Begräbnisplätze üblich sind. Wann der Drinkeldodenkarkhoff angelegt wurden, ist nicht bekannt. Die Kirchenbücher der Reformierten Kirche dokumentieren dortige Bestattungen erst ab 1859, der Friedhof wurde jedoch schon zuvor genutzt. Den Quellen zufolge wurden noch Mitte des 19. Jahrhunderts jedes Jahr zahlreiche Strandleichen gefunden. Allein im Jahr 1860 gab es 21 "Drinkeldode", gegenüber 10 verstorbenen Insulanern. Wenn man Wertsachen bei dem Verstorbenen gefunden hatte, gab man sie in der Regel für das Zimmern eines bescheidenen Sarges aus. Ab 1875 wurden angeschwemmte Ertrunkene dann auf dem neuen, zwei Jahre zuvor angelegten Friedhof an der Deichstraße bestattet ("ohne Geistlichen").

Ein im Jahr 1872 auf Borkum weilender Bremer Pastor erwähnt den Drinkeldodenkarkhoff in seinem Reisebericht und beschreibt ihn als eingefriedigten Platz mit einigen erhöhten Grabhügeln. Darüber hinaus nannte er einen einzelnen besonders erhöhten, mit einem Denkmal geschmückten Grabhügel (während die übrigen Gräber zeichenlos waren). Diese Besonderheit beruhte auf einer Bestattung aus dem Jahre 1835. Es handelte sich nicht um einen verstorbenen Schiffbrüchigen, sondern um den Amtsvogt Tönjes Bley. Da er sich offensichtlich mehr mit seiner Liebe zur Botanik als seinen Amtspflichten beschäftigte, war er auf der Insel nicht sonderlich beliebt. Dies schien er selbst auch bemerkt zu haben. Aus lauter Rache gegenüber der "fehlenden Liebe" seiner Mitmenschen verfügte er testamentarisch, nicht bei den Einheimischen auf dem Kirchhof bestattet zu werden, sondern auf dem Drinkeldodenkarkhoff.

Im frühen 20. Jahrhundert wurde der alte Drinkeldodenkarkhoff eingeebnet. Die Norddünen, in denen er lag, sind inzwischen teilweise überbaut. Der Drinkeldodenkarkhoff überlebte in einem Gedicht und in der Erinnerung der Einwohner. Der 1913 geborene Borkumer Kapitän Rainer Hedden erinnert sich, ihn zu seiner Schülerzeit noch also in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gesehen zu haben.

Aber schon in dieser Zeit wurde niemand mehr auf dem Drinkeldodenkarkhoff bestattet. Als nämlich der offizielle Insel-Kirchhof, der um den alten Leuchtturm und die alte Kirche herum lag, im Laufe des 19. Jahrhunderts voll mit Leichen war, begann die Inselgemeinde 1873 mit der Anlage eines neuen Friedhofs an der Deichstraße. Die letzte Bestattung auf dem Drinkeldodenkarkhoff fand im Jahr 1875 statt, wie die Recherchen des Borkumer Archivars Wilhelm Pötter ergeben haben.

Der Drinkeldodenkarkhoff lag südwestlich eines Dünentales, dessen bis heute gültige topografische Bezeichnung es ebenfalls zum Element der maritimen Gedächtnislandschaft macht: der "Dodemannsdelle". Dieses "Tal des toten Mannes" ist noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf Inselkarten verzeichnet. Der frühere Borkumer Hauptlehrer B. Huismann berichtete in seinem 1897 erschienenen Werk "Die Nordseeinsel Borkum einst und jetzt" über Lage und Name der Dodemannsdelle wie folgt: "Wenn wir von dem alten Leuchtturm aus die 'große Straße' hinunter zum Strande und auf der Mauer weiter zur Viktoriahöhe gehen und uns dann düneneinwärts wenden, so kommen wir bald in ein breites, langgestrecktes Thal, das sich nach Osten bis an den Pfad erstreckt, welcher vom Dorfe über Upholm zum Ostlande führt. Dieses Thal heißt die Wasserdelle [heute Waterdelle], weil es die meiste Zeit des Jahres hindurch voll Wasser steht. Der dem Strande zunächst gelegene Teil dieses Tales wird 'Dodemannsdelle', d. i. Thal des toten Mannes, genannt und soll davon seinen Namen haben, daß hier vor vielen, vielen Jahren mehr als dreihundert Leichen, von einem großen Kriegsschiffe kommend, begraben sein sollen."

Literaturhinweise

Norbert Fischer: "Drinkeldoden-Karkhof" – Der anonyme Seefahrerfriedhof auf Borkum in der Erinnerung von Kapitän a.D. Rainer Hedden. In: Ohlsdorf – Zeitschrift für Trauerkultur 56, Heft 1/1997, S. 20-21
Norbert Fischer: Gedächtnislandschaft Nordseeküste: Inszenierungen des maritimen Todes. In: Norbert Fischer/Susan Müller-Wusterwitz/Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.): Inszenierungen der Küste. Berlin 2007, S. 150-183
B. Huismann: Die Nordseeinsel Borkum einst und jetzt. Leer 1979 (Nachdruck der Ausgabe Leer 1897), S. 75-76.
Nordseeheilbad Borkum: Inselkarte Ortsplan Wander- und Reitwege Fahrradwege. Ahnsen 2005
Wilhelm Pötter: Das Tal des Todes – Der Borkumer "Drinkeldoden-Karkhof". Unveröffentlichtes Manuskript, Februar 1986, Inselarchiv Borkum
Protokoll über die Verhandlungen vor dem Seeamt Emden am 15. Dezember 1931 betreffend den Untergang des Motorboots "Annemarie" in der Nacht vom 21. zum 22. September 1931 zwischen Borkum und Juist; Abschrift in: Inselarchiv Borkum
Helmut Schoenfeld: Der Walfängerfriedhof auf Borkum. In: Ohlsdorf – Zeitschrift für Trauerkultur Nr. 61, II/1998, S. 14-16.
Helmut Schoenfeld: Maritime Gedenkstätten auf Borkum – ein Blick in die Geschichte der Insel (unveröff. Manuskript)
Peter Smidt-Juist: Das Kreuz von Memmert. Bearbeitet von Hans und Renate Kolde. Juist 2005
Hans Teerling: Aus Borkums Vergangenheit. Die Walfängerzeit in Wort und Bild. Borkum o.J. (1980), S. 84-85

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