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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Nur einen Augenblick entfernt – Fotografien von Sterben und Tod in "Der Spiegel"

Autor/in: Karen Wolff
Ausgabe Nr. 110, III, 2010 - August 2010

Bilder von Sterben und Tod

Wie viele Bilder von Sterbenden und Toten kennen wir? Der heutige Diskurs über die Sichtbarkeit von Sterben und Tod ist von der Verdrängung des Todes aus dem realen Alltag geprägt. Dabei ist die Forderung zu vernehmen, der Mensch müsse sich seiner Vergänglichkeit wieder bewusst werden. Doch trotz einer möglichen Verdrängung des Todes aus der subjektiven Lebenswelt ist menschliches Leid, Sterben und Tod in den Medien unserer Zeit allgegenwärtig. Unzählige Bilder vom Sterben anderer haben wir schon betrachtet, auf Fotografien, in Film und Fernsehen – allerdings aus sicherer Distanz. Die leblosen verletzten Körper, ihr Blut und ihre Schmerzen sind weit weg und doch so nah wie nie zuvor. Dabei werden unzählige verschiedene Tode der grausamsten Art täglich gestorben. Real und medial. Die medialen Bilder aus Fernsehen, Printmedien und Internet sind für uns jederzeit verfügbar und sie prägen unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit. Sie sind in der Lage, unsere Vorstellungen zu verändern und gezielt Emotionen hervorzurufen. Aus dieser visuellen und medialen Erfahrung machen Menschen subjektive, inhärente Bilder von Sterben und Tod, die wiederum einen Einfluss darauf haben, wie wir unser Sterben und das der anderen erfahren. Denn diese materiellen, medialen Bilder sind verdichtete gesellschaftliche Vorstellungen, die gleichzeitig unsichtbare innere Bilder und Vorstellungen offenbaren. Doch die Frage nach der medialen Sichtbarkeit bedingt die Frage nach der realen Sichtbarkeit von Sterben und Tod: Sieht man die Sterbenden im Alltag? Ist die eigene Sterblichkeit sichtbar, wird sie wahrgenommen? Diese Fragen sollen zunächst anhand einer exemplarischen Analyse des Nachrichtenmagazins Der Spiegel (dort Ausgaben ab 1990. Red.) untersucht werden. Der Spiegel überzeugt dabei aufgrund seiner Reichweite, seines publizistischen Rufs und seiner klaren und spezifischen Bildsprache. Wie werden hier Sterben und Tod medial festgehalten? Welche fotografischen Darstellungsmittel werden verwendet und wie wirken diese Fotografien? Und welche Bilder von Sterben und Tod begleiten uns in unserem Alltag? Die Kulturwissenschaftler Thomas Macho und Kristin Marek sprechen sogar von einer neuen Sichtbarkeit des Todes in unserer modernen Gesellschaft. Jedenfalls bietet diese mit ihren Filmen, Fernsehserien, Fotografien und Ausstellungen eine Fülle von unterschiedlichen Todesbildern. Diese Bilder beschäftigen sich mit Bestattungen, mit Intensivstationen, mit übersinnlichen Begegnungen und mit spektakulären Todesfällen. In modernen Gesellschaften werden Todesbilder hauptsächlich durch die Medien verbreitet und vermittelt, wobei sich nach dem Soziologen Klaus Feldmann das Paradoxon ergebe, dass sowohl die Sichtbarkeit als auch die Unsichtbarkeit von Sterben und Tod zugenommen haben. Das physische Sterben und der zerstörte, gequälte Körper sind für Visualisierungen jeglicher Art geeignet. Das psychische und soziale Sterben wird hingegen in medialen Erzeugnissen immer unsichtbarer, es erscheint medial ausgespart. Die mediale Realität bedeutet zusammengefasst die Dominanz eines gewaltsamen und fremden Todes sowie eine Ästhetisierung von Sterben und Tod durch das Medium Fotografie.

Den Augenblick festhalten: Das Medium Fotografie

Die Fotografie als optisches Speichermedium verbindet in besonderer Weise Medientechnik und Rituale des Todes miteinander. Der technisierte Moment der Bild-erzeugung scheint im Widerspruch zur Wirkung des fotografischen Bildes zu stehen. In dieser Diskrepanz findet sich wiederum die besondere Bedeutung der Fotografie für die Darstellung des Todes. Der Kunsthistoriker Hans Belting beschreibt den abgelichteten Menschen und seine eingefrorenen Bewegungen als einen lebenden Toten, gefangen in der Aufnahme und im Moment. Die Fotografie produziert nach Belting lediglich einen Schatten, den das Individuum nicht mehr verlassen kann. André Bazin charakterisiert diese spezifische Verbindung zwischen Tod und Fotografie als den Augenblick, der Subjekt und Objekt zum Stillstand zwingt. Die Faszination des technischen Mediums Fotografie liegt also genau in diesem kurzen Klick, der zwischen Leben und Tod liegt. Die Kulturwissenschaftlerin Iris Därmann vergleicht dieses fotografische Moment mit der technisierten Hinrichtung durch eine Guillotine, die das Leben in einer Sekunde beendet. Dem Tod und dem Fotografiertwerden gleich ist das Erstarren, das Anhalten und das Innehalten. Das fotografische Objekt muss in seinen Bewegungen, gefangen im Augenblick, innehalten. Denn, so beschreibt es Christiaan L. Hart Nibbrig, nur die absolute Bewegungslosigkeit ist der Weg zum Abbild und zur Repräsentation seiner selbst.

Grundsätzlich kann differenziert werden zwischen dem, was als Tod in der Fotografie und auf der Fotografie bezeichnet wird. Eine weitere Perspektive zeigt sich bei der Betrachtung des alltäglichen und rituellen Gebrauchs der fotografischen Bilder von Sterben und Tod, der eine ungebrochene Kontinuität bis zur Gegenwart aufweist. Bei den Fotografien von Verstorbenen geht es um die verschiedenen Inszenierungen der Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit und Durchsichtigkeit von Sterben und Tod. Mit der Erfindung der Fotografie im 19. Jahrhundert wurden Bildnisse von Toten für alle Gesellschaftsschichten zugänglich, dies zeigt sich in der Verwendung der Fotografien von Verstorbenen im privaten Bereich, die zum Gedenken an die Toten angefertigt wurden. Seither hat sich jedoch das Verhältnis zu Fotografien von Verstorbenen gewandelt. Das Festhalten von Toten als Abbild für den privaten Gebrauch erscheint anstößig. Zudem trat das technisierte Abbild zwischen den Menschen und seine Wahrnehmung. Der Betrachter nimmt seitdem an einer fernen Realität teil, ohne von ihr körperlich betroffen zu sein. Gleichzeitig hat sich auch der Blick auf die Toten verändert. Der gewöhnliche Tod wurde den Kameras entzogen, zeitgleich gibt es so viele Bilder von Toten in medialen Erzeugnissen wie nie zuvor. Anton Holzer und Timm Starl verbinden die Fotografie mit dem Prozess der Auslagerung des Todes, in dem sie den Tod in ein Bild verwandelt, das seinen Schrecken verloren hat.

Nachrichten von Sterben und Tod

Was bedeutet dieser Zusammenhang für die Inszenierung von Fotografien für den medialen Gebrauch, wie dies bei den Pressefotografien des Nachrichtenmagazins Der Spiegel der Fall ist? Erhoben wurden für diese exemplarische Untersuchung Fotografien im Zeitraum der letzten 18 Jahre, die in Kategorien differenziert und sowohl qualitativ als auch quantitativ analysiert wurden. Bei der Analyse der Fotografien von Sterben und Tod im Nachrichtenmagazin Der Spiegel verdichtet sich die Hypothese, dass Fotografien von Sterben und Tod stets in Verbindung mit dem medialen Anlass inszeniert und verwendet werden. Entscheidend dabei ist bei einem Nachrichtenmagazin der Nachrichtenwert einer Fotografie. Indem sich der Journalismus der fotografischen Darstellung bedient, sollen die Bilder ihre Rezipienten fesseln, bestürzen und überraschen. Die Jagd nach möglichst dramatischen und sensationellen Bildern treibt die zahlreichen Fotografen an und ist fester Bestandteil einer Kultur und einer Gesellschaft, in der Schock und Sensation zu einem maßgeblichen Kaufanreiz geworden ist. Dementsprechend sind diejenigen Ereignisse visualisiert, die einen besonderen Nachrichtenwert besitzen, der das Interesse der Leser weckt und die den Reiz des Absonderlichen und Ungewöhnlichen versprechen. Der Medienwissenschaftler Klaus Schönbach spricht in Anlehnung an Georg Wilhelm Hegel vom Eigenen im Fremden. Im Eigenen findet sich der Betrachter wieder, das Fremde überrascht und fasziniert ihn. Der Tod der anderen in fremden Ländern und Lebenssituationen manifestiert die Faszination an der medialen Verwendung dieser Fotografien als die besondere Kombination aus Eigenem wie Fremdem. In medialen Produkten sind es meist die anderen, vor allem im Ausland, die sterben. Dabei ziehen gerade gewaltsame Ereignisse wie Krieg, Verbrechen und Katastrophen besondere mediale Aufmerksamkeit nach sich. Dies erzeugt ein seltsames Gefühl der Sicherheit beim Betrachter dieser Fotografien: Außerhalb droht dem Rezipienten Gefahr, Innen ist es sicher. Natürliche Tode sind im Nachrichtenmagazin kaum von Interesse, nur ein geringer Bestandteil hat dies als fotografisches Thema. Hier sind meist Aufnahmen von Suizidopfern zu finden, nur wenige der Fotografien beziehen sich auf Sterben und Tod im Hospiz oder Krankenhaus. Der natürliche Tod, als heimische und dauernde Bedrohung des Mediennutzers wird kaum sichtbar. Das Todesereignis und der Todesort bedingen wiederum die Todesart, das ebenfalls von gewaltsamem Sterben wie Erschießen oder Erhängen dominiert wird. Sterben und Tod finden hier nicht im Umkreis der Angehörigen in einer Pflegestation statt, sondern es wird gewaltsam und einsam gestorben, ohne Mitgefühl. Mit den verschiedenen Todesereignissen verbinden sich differenzierte Vorstellungen über Sterben und Tod, die eng an das Todesereignis, an die Todesursache und an die Verletzungen des toten Körpers gebunden sind. Das herausragende Todesereignis Krieg repräsentiert militärische Gewalt und Macht. Krieg beinhaltet die Gleichgültigkeit gegenüber Tod, Schmerz und Sterben sowie den Verlust des Respekts am toten Körper. Krieg bedeutet ein unzähliges Ausmaß an Toten, die nicht wie im Frieden bestattet werden können, sondern verscharrt werden. Erst im Frieden werden die einzelnen Toten identifiziert. Verbrechen sind hier geplante und organisierte Tode, das Sterben der Opfer erfüllt einen bestimmten Zweck, hat ein Ziel und sei es nur finanzieller Gewinn für den Täter. Katastrophen und Seuchen brechen in den Alltag der Individuen ein, der plötzliche Tod erscheint dabei wie ein von einer höheren Macht befohlener Tod. Der Tod durch Drogen, Suizid und Sterbehilfe zeigt die freie Wählbarkeit des Lebens oder des Sterbens und die Selbstbestimmung des modernen Individuums. Das eigene Sterben kann angenommen, geplant oder herausgefordert werden. Der Tod ist hier auch immer eine Erlösung oder Befreiung. Die Personenzugehörigkeit der Todesopfer verteilt sich am häufigsten auf männliche Todesopfer. Die männlichen Todesopfer können dabei Täter als auch Opfer sein, Frauen und Kinder sind im Gegensatz dazu überwiegend als unschuldige Todesopfer visualisiert. Den besonderen Moment des Sterbens halten dabei nur eine geringe Anzahl der Fotografien fest. Fotografiert wird der tote, der geschundene Körper, der bereits physisch in seiner Bewegung innegehalten hat, der sich in einem neuen Transformationsprozess der Verwesung befindet.

Die Visualisierung des Todes

Die Fotografien von Krieg und Katastrophen verdeutlichen den Mediennutzern täglich, dass der Mensch an sich sterblich, dass das menschliche Leben endlich und gegenüber plötzlichen Einbrüchen in die alltägliche Ordnung hilflos ist. Die Todesbilder des Nachrichtenmagazins Der Spiegel visualisieren dabei überwiegend den gewaltsamen Tod, der sich im realen Alltag kaum finden lässt, das alltägliche Sterben entzieht sich der medialen Berichterstattung. Die Frage aber bleibt: Ist der Tod so, wie wir ihn sichtbar machen? Oder ist der Tod so, wie wir ihn nur selten sehen? Der gute Tod, der gezähmte Tod? Oder ist das gute Sterben nur eine mediale Fiktion? Die Grenzen zwischen Realität und Medialität werden immer fließender, die Bilder gehen ineinander über.

Nicht den Tod als Thema der Medien, der Kunst oder Theorie haben wir verdrängt und verleugnet, sondern die Toten und das Sterben mitten unter uns. Nach Thomas Macho wirken die "Todesmetaphern seltsam verbraucht, abgenutzt, zerschlissen" – es scheint so, als ob nur die Toten sichtbar sind, die wir nicht kennen. Menschen trauern am Fernseher, im Internet und bei öffentlichen Übertragungen um fremde Tote. Gleichzeitig vergessen sie sterbende und einsame Angehörige im Pflegeheim. Und in den Massenmedien zirkulieren ununterbrochen die Bilder und Fotografien von sterbenden und toten Körpern. Diese Bilder, die einerseits faszinieren und tabuisiert sind, zeigen den ständigen Untergang und Zusammenbruch der menschlichen Ordnung. Der Soziologe Wolfgang Sofsky beschreibt den Betrachter dieser Fotografien als mit dem Schrecken des Todes bedingungslos konfrontiert. Dieser Betrachter ist nah am Geschehen und von Leid, Chaos und Zerstörung nur einen Augenblick entfernt. Nach Sofsky bemüht sich unsere moderne Gesellschaft um die Verbannung als auch um die Befriedung dieser faszinierenden Bilder. Subjektiv vermischt sich jedoch die Sensation des fremden Todes mit der Sensation des eigenen Todes in der Zukunft mit dem Enthusiasmus des eigenen Überlebens im Anblick des toten Anderen. Diese Fotografien werden nur dann zum medialen und öffentlichen Ärgernis, wenn das Leid, das Sterben und der Tod der eigenen Realität und der eigenen Endlichkeit zu nahe kommen. Nur in der Distanz sind die Fotografien der verbrannten, gequälten und verstümmelten Opfer zu bewältigen, wenn sie nur weit genug weg sind. Das Leid betrifft die anderen. Die Poetik des Visuellen ermöglicht es den Betrachtern, den Tod bildlich weiter zu denken, wenn sie es denn möchten. Ob sie es tun oder nicht, hängt dann wiederum mit dem individuellen Umgang des Rezipienten mit Sterben und Tod zusammen.

In den Bildern des Spiegels offenbart sich auch die Frage danach, welche Bilder gezeigt werden und welche nicht. Bestimmte mediale Ereignisse bleiben im Spiegel unbebildert, während andere Medien die Bilder der Toten und Verletzten zeigen. Die Frage stellt sich auch, warum manche Fotografien einen gesellschaftlichen und medialen Diskurs oder zumindest eine Beschwerde beim Deutschen Presserat hervorrufen und andere, grausamere und eindrucksvollere Fotografien, scheinbar keine Reaktion nach sich ziehen. Dieser Unterschied kann jedoch nicht ausreichend mit der Reichweite und der journalistischen Nähe des Themas erklärt werden. Auffallend ist, dass sich Der Spiegel oft nicht in den allgemeinen Bilderkanon einreiht, sondern seine spezifische Bilderwelt erzeugt. Aber auch im Nachrichtenmagazin Der Spiegel sind es hauptsächlich die Fotografien des grausamen Todes, die den Mediennutzer begleiten. Hans Magnus Enzensberger benennt die Präsenz der Fotografien von Sterben und Tod als einen Terror der Bilder. Dieser reduziert den Zuschauer aber nicht nur zum Voyeur von Sterben und Tod, von Krieg, Verbrechen und Katastrophen. Die dauernde Präsenz dieser Bilder funktioniert auch als Erpressung eines zur Augenzeugenschaft gezwungenen Rezipienten. Zugleich distanziert die Fotografie, da sie zwar eine fremde und entfernte Realität medial vermittelt, aber doch nicht die Realität des Rezipienten ist. Die toten Körper, ihr Sterben, aber auch die Trauer und der Schmerz der anderen bleiben entfernt. Der tote und geschundene Körper scheint medial besser ertragbar und verwertbar zu sein als die trauernden und verzweifelten Angehörigen. Das emphatische Mitreißen des Rezipienten dieser Fotografien verdeutlicht die Verantwortung der Lebenden, die der Betrachter aufgrund seiner medialen Distanz nicht anzunehmen braucht.

Die Fotografien des Spiegels zeichnen einen detaillierten Überblick über die mediale Bildwelt und deren Vielfalt. Die gewaltsamen Tode der Medienwelt kommen jedoch nicht in unserer realen Welt an, sie bleiben aufgrund unserer realen Sicherheit einen medialen Augenblick entfernt. Anders verhält es sich bei der fotografischen Umsetzung der Fotografien eines natürlichen Sterbens und Todes. Hier zeigen sich die alltäglichen Verhaltensweisen, auch wenn diese Bildwelt im Spiegel unterrepräsentiert ist. Die Menschen sterben in Krankenhäusern, in Hospizeinrichtungen, sie töten sich selbst durch einen bewussten Suizid, durch Sterbehilfe oder durch Drogensucht. Dieses Sterben, die Trauer und der Umgang mit dem toten Körper offenbaren die religiöse Vorstellungen von Liebe und ewigem Leben. Trotz des Diskurses, dass es dem alltäglichen Tod an Sinnstiftung durch Glauben und Religion fehle, zeigt sich hier, dass sowohl die fotografische Inszenierung, die Berichterstattung als auch das Verhalten der Abgebildeten davon geprägt sind. Es scheint, dass sich die Individuen trotz Individualisierung und Säkularisierungsprozess in Krisensituationen den Normen und der Sinnstiftung durch einen Glauben wieder annähern.

Unsere Todesbilder verfolgen kein einheitliches Muster. Sie sind nicht nur in den inneren Bildern des Einzelnen angelegt, sie differenzieren sich in unterschiedlichen Perspektiven abhängig von medialer Verwendung und Individuum. Die untersuchten Todesbilder sind öffentliche und mediale Vorstellungen, sie sind jedoch von Bedeutung für die Konstruktion der Vorstellung von individuellem Sterben und individuellem Tod. Nach Armin Nassehi produziert die Verinnerlichung des Todes eine Vielzahl unterschiedlicher Todesvorstellungen, die kaum überschaubar sind. Wer nach dem Ort in der modernen Gesellschaft sucht, an dem Todesbilder relevant werden, wird viele Orte finden. Allerdings ähneln sich die Todesbilder innerhalb bestimmter Diskursebenen. Die Fotografien des Spiegels visualisieren ein öffentlich-mediales Bild von Sterben und Tod, das sich mit anderen öffentlich-medialen Todesbildern vergleichen lässt, aber es ist deswegen noch lange kein individuelles Todesbild eines Einzelnen. Der Augenblick des Todes, der letzte Atemzug sind nicht abbildbar. Denn den eigenen Tod oder den eines Angehörigen zu erleben und nicht nur visuell zu erfahren, erweitert den Erfahrungsschatz und die Vorstellung von Sterben und Tod um ein Vielfaches. Angst, Trauer, Verzweiflung, Sterben und Tod sind dann keine medialen Produkte mehr, der Schutz der Medien löst sich auf, Sterben und Tod werden real.

Anm. d. Red.: Der folgende Text bildet die Zusammenfassung einer Magisterarbeit, die bei Prof. Dr. Norbert Fischer am Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie der Universität Hamburg entstanden ist. Derzeit erweitert Verf. das Thema zu einer Dissertation.

Literaturhinweise
Bazin, André: Die Ontologie des fotografischen Bildes. In: Kemp, Wolfgang (Hg.). Theorie der Fotografie III. 1945-1980. München, 1999. S. 58-64.

Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. München, 2001.

Därmann, Iris: Noch einmal: 3/4 Sekunde, aber schnell. In: Tholen, Georg Christoph (Hrsg.). Zeitreise: Bilder, Maschinen, Strategien, Rätsel. Basel, 1993. S. 189-206.

Enzensberger, Hans Magnus: Aussichten auf den Bürgerkrieg. Frankfurt a.M., 1994.

Feldmann, Klaus: Todesbilder und -skripte in der modernen Gesellschaft. In: Heller, Andreas/Knop, Matthias. Die Kunst des Sterbens. Todesbilder im Film – Todesbilder heute. Düsseldorf, 2008. S. 126-142.

Fischer, Norbert: Der Tod in der Mediengesellschaft. In: Robertson-von Trotha, Caroline Y. (Hrsg.). Tod und Sterben in der Gegenwartsgesellschaft. Eine interdisziplinäre Auseinandersetzung. Karlsruhe, 2007. Gegenwartsgesellschaft. S. 221-233.

Hart Nibbrig, Christiaan L.: Ästhetik des Todes. Frankfurt a.M. Leipzig, 1995.
Macho, Thomas: Jedermanns Tod (Kunst als Trauerarbeit). Festspieldialoge 2007. Internetquelle: www.festspielfreunde.at/deutsch/dialoge2007/dia01_macho.pdf (Stand: 01.03.2009).

Nassehi, Armin: "Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen". Über die Geschwätzigkeit des Todes in unserer Zeit. In: Liessmann. Ruhm. S. 118-145.

Schönbach, Klaus: 2Das Eigene im Fremden". Zuverlässige Überraschung: Eine wesentliche Medienfunktion? In: Publizistik, 3/2005. S. 344-352.

Schulz, Martin: Spur des Lebens und Anblick des Todes. Die Photographie als Medium des abwesenden Körpers. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte. 64/2001. S. 381-396.

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