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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Private Grabgebäude auf städtischen Friedhöfen: Das Beispiel Greifswald

Sucht man die Stadtfriedhöfe in Mecklenburg-Vorpommern auf, fällt eine Besonderheit sofort ins Auge: klassizistische Mausoleen reihen sich an neogotische Grabkapellen und historistische Gruftbauten.

In keinem anderen Bundesland gibt es ein so reichhaltiges und mannigfaltiges Vorkommen dieser Bauten, so dass eine nähere Untersuchung und Dokumentation von Bedeutung ist.

Um zu verstehen, warum dieser Bautyp so einzigartig ist, muss man die architektonische Geschichte der Grabgebäude betrachten, beginnend mit dem Begriff des Mausoleums, der auf die römische Antike zurück geht und seitdem vielfach zitiert wurde. Um 350 v. Chr. ließ sich der kleinasiatische König Mausolos einen monumentalen Grabbau in Halikarnassos errichten, der einen Grundaufbau aus Sockel, Grabtempel und Pyramidendach besaß. Seitdem ließen sich herausragende Persönlichkeiten und Familien ein Mausoleum als letzte Ruhestätte errichten, so dass die Bezeichnung Mausoleum zu einem eigenen Bautyp deklariert wurde.

Im Mittelalter, als man die Antike und deren Architektur ablehnte und in der gotischen Baukunst die christliche Glaubenssprache verwirklicht sah, war die Kirche der einzige Bestattungsort, der durch die Nähe zu Gott Seelenheil versprach. Als die Kapazitäten der Kirchen nicht mehr ausreichten, ließen sich wohlhabende Familien, vorrangig Adlige und Geistliche, private Grabstätten in Form von Seitenkapellen errichten, die über einen eigenen Andachtsraum verfügten. Dies war der Beginn der gotischen Grabkapelle, die sich bald vom Sakralbau löste und als eigenständige Baugattung überwiegend im Historismus vielfach Verwendung fand.

Erst in der Zeit der Aufklärung, in der man die edle Einfalt und stille Größe dem verspielten und überladenen Barock entgegensetzte, fand eine Rückbesinnung zur klassischen Antike statt. In zahlreichen englischen Landschaftsparks ließ der aristokratische Stand den Typ des Mausoleums als Grabstätte wieder auferstehen. Dieser definierte sich über die antike Formensprache im Sinne einer stillen Ernsthaftigkeit und melancholischen Feierlichkeit.

Mit der Verlegung der Friedhöfe vor die Stadt entstand im 19. Jahrhundert eine neue Architekturform innerhalb der Sepulkralkultur, die hier näher vorgestellt werden soll. Als die Kirchenbestattungen aufgrund von hygienischen Unzulänglichkeiten und Platzmangels verboten wurden und allerorts Begräbnisplätze vor den Toren der Stadt angelegt wurden, mussten bedeutende und wohlhabende Familien ihre Erbbegräbnisstätten in den Kirchen aufgeben. Als Entschädigung wurde ihnen ein gesonderter Platz innerhalb der Friedhofsanlage angeboten, den sie mit der Möglichkeit der Errichtung eines massiven Grabbaues versehen konnten. Diese Standorte waren vorrangig an der Friedhofmauer gelegen, bildeten aber auch das Ende einer Wegeführung oder waren in eine Terrassen- bzw. Hanganlage eingebunden. Somit behielt die Oberschicht das Privileg einer gesonderten und damit von dem übrigen Bürgertum abgetrennten Situierung bei. Darüber hinaus war es ihnen möglich, sich mit der Erbauung einer Grabkapelle oder eines Mausoleums ein ewiges Denkmal zu setzen, das nachhaltig auf den Ruhm und die Verdienste des dort Bestatteten verweist. Zur Verhinderung eines sepulkralen Wetteiferns, welcher sich nachteilig auf ein homogenes Erscheinungsbild des Gottesackers ausgewirkt hätte, mussten zuvor Anträge mit exakter Planzeichnung bei der Stadt oder dem Oberkirchenrat eingereicht werden.

Die Stadt Greifswald errichtete 1819, ein Jahr nach Einweihung des Friedhofs, diesbezüglich einen klein dimensionierten Vorgabebau, um den potentiellen Auftraggebern eine architektonische Richtung vorzugeben. Dieser verputzte Backsteinbau auf viereckigem Grundriss mit Pultdach war in direkter Anbindung zur Friedhofsmauer ausgeführt worden, so dass lediglich eine Gliederung und Verzierung der Schaufront notwendig war, was sich als sehr kostengünstig und zeitsparend erwies. Die Schaufassade besaß ein mittiges Rundbogenportal, seitlich flankierende Pilaster oder Halbsäulen und einen Giebelabschluss. In der darauffolgenden Zeit entstanden 16 derartiger Gruftbauten, wie man dem Hagenowschen Stadtplan von 1842 entnehmen kann (Abb.1).

Friedhofsplan
Abb. 1. Foto: A. Kretschmer

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden noch mindestens sechs errichtet, wie die neuesten Forschungsergebnisse bezeugen. Trotz der Vorschriften bezüglich einer schriftlichen Antragstellung mit Entwurfsskizze sind keinerlei Unterlagen erhalten geblieben, so dass keine genauen Bauzeiten, Baumeister und stilistischen Darstellungen überliefert sind. Die Angaben im Sterberegister und auf dem Belegungsplan bieten deshalb wichtige Anhaltspunkte. Von den heute noch sieben existierenden Bauten verdeutlichen nur noch zwei die städtischen Gestaltungsrichtlinien. Sie befinden sich beide in einem sehr desolaten und stark gefährdeten Zustand, so dass die ursprüngliche architektonische Ausführung nur anhand historischer Aufnahmen zu erkennen ist.

Auf Abteilung 2 Nr. 11 steht die Grabgruft der Familien Meyer/Anderssen, die vermutlich 1821 erbaut wurde (Abb. 2).

Abb. 2
Abb. 2. Foto: A. Kretschmer

Der heute mit einer Stützkonstruktion versehene Bau und dem großflächig abgefallenen Putz war ursprünglich mit einem mittigen Rundbogenportal, jeweils zwei kannelierten Pilastern mit dazwischen liegenden ovalen Lüftungsöffnungen und einem gestuften giebelartigen Aufsatz versehen (Abb. 3).

Abb. 3
Abb. 3. Foto: A. Kretschmer

Der stilistische Formenkanon in seiner schlichten geometrischen Ausführung entspricht der Berliner Schinkelschule des ersten Viertels des 19. Jh.

Die auf der 1. Abteilung Nr. 20 gelegene Grabgruft wurde von den Gebrüdern von Haselberg vermutlich zwischen 1821 und 1832 errichtet (Abb. 4).

Abb. 4
Abb. 4. Foto: A. Kretschmer

Das mittige Rundbogenportal wird von je zwei Halbsäulen dorischer Ordnung flankiert. Die dazwischen liegenden vertieften Kassettenfelder besitzen im oberen Bereich ein Lüftungsfenster. Das Gesims folgt dem Schwung der zweiflügligen Rundbogentür, so dass eine portalähnliche Umrahmung entsteht. An den Ecken des Daches befanden sich ursprünglich Eckakroterien sowie ein kleiner Giebel (Abb. 5).

Abb. 5
Abb. 5. Foto: A. Kretschmer

Bei dieser Ausführung spricht man von einem sogenannten barocken Klassizismus.

Beide Brüder wirkten als verdienstvolle Persönlichkeiten Anfang des 19. Jh. in Greifswald, d.h. einer Zeit in der Schwedisch-Pommern an Preußen überging.

Gabriel Peter v. Haselberg war Jurist an den Universitäten Göttingen, Helmstedt und Erlangen und wurde 1797 vom schwedischen König an das Tribunal in Wismar berufen, mit diesem siedelte er 1803 nach Greifswald über, wo er im Jahre 1831 vom preußischen König die Würde eines Präsidenten des Oberappellationsgerichts erhielt. Seine Ehefrau Friederike Luther war die Tochter des Generalsuperindenten in Clausthal, der Martin Luther zu seinen Vorfahren zählte. Lorenz Wilhelm von Haselberg war ein sehr geschätzter praktischer Arzt und Medizinprofessor, der an der Universität Greifswald Chirurgie, Entbindung und Augenheilkunde sowie Gerichtsmedizin und Medizinalpolizei lehrte. Ihm wurde 1799 die Würde eines königlich schwedischen Archiaters verliehen. 1801 führte er die erste Pockenimpfung in Schwedisch-Pommern durch. In naher Beziehung stand er sowohl mit dem schwedischen König als auch ab 1815 mit dem preußischen Hof. Sein stattliches Haus an der Marktsüdseite diente oftmals dem schwedischen König Gustav IV. Adolf sowie dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. sowie dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm als Residenz.

Um die Gruftgebäude zu retten, hat der Förderverein "Alter Friedhof Greifswald e.V." zu einer großen Spendenaktion aufgerufen, der bisher nur wenige gefolgt sind. Dadurch dass der Friedhof mitsamt seiner Zeugnisse aus 200 Jahren Stadtgeschichte nicht im kulturellen Mittelpunkt steht und generell die Sepulkralkultur immer noch nicht als denkmalwertes Stadtensemble anerkannt wurde, sind bisherige Erhaltungsmaßnahmen erfolglos geblieben. Diese Beitragsreihe soll Aufschluss darüber geben, welche einzigartigen Bauwerke sich auf den Stadtfriedhöfen von Mecklenburg-Vorpommern befinden. Zu viele sind bereits verfallen und abgerissen worden, weil man sich des stadtgeschichtlichen Erbes nicht bewusst war. Diese Bauten sind zudem von der Kunstgeschichte und Denkmalpflege noch nicht als eigener Architekturtyp erkannt worden.

Die Bestattungskultur des 19. Jahrhunderts weist nicht nur hinsichtlich der Friedhofsverlegungen grundlegende Veränderungen auf, sondern auch in Bezug auf die Grabbauten. Waren sie bisher dem Adel vorbehalten und nur auf private Parkanlagen beschränkt, fanden sie nun auf den allgemeinen Begräbnisplätzen eine neue Bestimmung. Einhergehend mit dem Wirtschaftswachstum im Laufe des Historismus stieg das Repräsentationsbedürfnis des erstarkten Bürgertums, so dass es nun auch der Mittelschicht möglich war, sich eine massive Begräbnisstätte zu errichten. Die zu dieser Zeit angelegten Friedhöfe erfuhren einen wahren Bausturm und verwandelten sich in antike Totenstädte. Kleine und größer dimensionierte Grufthäuser, Grabkapellen und Mausoleen reihten sich in ihrer stilistischen Vielfalt aneinander, um von dem Ruhm und Prestige der Verstorbenen zu erzählen.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Friedhof und Wasser (August 2010).
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