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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Wenn das Feuer erlischt - Eine Momentaufnahme stillgelegter Krematorien

Dessau

Heute erweckt das immer noch großzügig allein stehende Gebäude den Eindruck eines Hauses, welches in Böcklins Toteninsel passen würde. Nach der Fertigstellung und Einweihe am 18.5.1910 wurden bis in die 1990er Jahre in Dessau über 100.000 Verstorbene eingeäschert. Direkt hinter dem Krematorium wurde der erste Urnenfriedhof in Dessau installiert, von dem auch heute noch Teile erhalten sind.

Was um 1910 ein moderner Bau war, wurde irgendwann vom Fortschritt eingeholt. Steigende Zahlen von Einäscherungen bedurften leistungsfähiger Verbrennungstechnik, Lagermöglichkeiten und Platz für mehr Personal. So wurde bereits in den 1930er Jahren ein rückwärtiger Anbau für Büro, Fahrstuhl und Lager geschaffen, da die Räumlichkeiten im Bau selber nicht ausreichten. Ein Teil der offenen Säulengänge rechts und links vom Gebäude wurde vermauert und zu zusätzlichen Kühlräumen erweitert. Sogar ein Bad gab es für Mitarbeiter. Für die Anlieferung der Verstorbenen mit Automobilen wurde eine Laderampe angebaut. Das Eis zur Kühlung der Leichen, aber auch zum Verkauf an Dritte wurde in den untersten Kellerräumen mittels Eismaschine produziert. Diese Räumlichkeiten sind jedoch wegen eingedrungenen Wassers leider nicht mehr sicher begehbar. Das Krematorium in Dessau wurde bereits bei der Projektierung fast vollständig oberirdisch geplant, da das Grundwasserproblem von Anfang an bekannt war. Bemerkenswert ist die aus dieser Zeit noch erhaltene Schalttafel der Firma Freundlich aus Düsseldorf, ganz aus Marmor mit Goldinschrift. Dieses Unternehmen ist später in die heutige Rheinkälte übergegangen. Es befinden sich noch weitere 3 Schalttafeln auf Marmor, jedoch ohne Inschrift und teils sehr von mutwilliger Beschädigung gezeichnet.

Direkt neben dem Zugang zum überfluteten Kellergeschoss steht eine verrottete Kiste von Schamottemarken im Zahlenbereich um 27/28.000, die keine Kennung des Ortes, aber dafür eine Bohrung über der Nummer tragen. Ich gehe davon aus, dass diese Marken noch aus der Anfangszeit des Krematoriums waren und später wegen der fehlenden einheitlichen Zuordnungsmöglichkeit nicht genutzt wurden.

Im mittleren Gang der unteren Technikebene hinter den Büroräumen befindet sich noch ein Teil (Hülse) der auf Wasserdruck betriebenen Versenkungsanlage. Diese wurde mit Schließung der Trauerhalle in den 1980ern demontiert. Reste des Sargtisches sind nicht mehr zu entdecken gewesen. Vollständig erhalten sind noch die Aschemühle aus DDR-Fertigung und die Werkstatt, in der die Urnen nach Abfüllung verschlossen und bezeichnet wurden. Kleber, Kitt und Verpackungsmaterial liegen noch bereit, mehrere hundert Kunststoff- und einige Keramikurnen warten im Nebenraum auf den Abruf, der nicht mehr kommen wird. Pakete von mit Dessau bezeichneten Schamottemarken aus verschiedenen Zeiten liegen teils offen und verstreut auf dem Boden, Alu-Aschekapseldeckel, die mit Krematorium Halle bezeichnet waren, fanden sich im Schrank. Dokumentationen jeglicher Art habe ich nicht gefunden.

Berührt haben mich besonders die Reste in den Behältern der Nachverbrennung und im Schacht selber. Außer Sargnägeln waren hier noch Spuren sterblicher Reste enthalten.

In der ersten Techniketage sind erste Spuren eines Vandalismus zu erkennen. Satanskritzeleien an der Wand und einem Ofen, teilweise eingeschlagene Instrumente und Spuren eines Brandes in einer Kühlzelle sind sichtbar. Der gewichtige Einfuhrwagen wurde aus den Gleisen gehoben. Dessau war sehr modern, zwei Y-förmig angelegte Etagenöfen wurden mit einem Einführwagen über ein Drehkreuz-Schienensystem bedient. Die manuelle Hubanlage der äußeren Ofenverkleidung war noch funktionstüchtig. Während man nach Stilllegung der Öfen beide Brenner zur Nachnutzung demontierte, lagern in einem Nebenraum noch heute neuwertige Sargauflagesteine und Drehplatteneinsätze.

Der monumentale Trauerraum ist seit seiner Stilllegung in den 1980ern nicht weiter erhalten worden. Taubenkot, erste herabfallende Deckenverkleidungen und eine zerstörte Abdeckung der Versenkungsanlage geben heute ein anderes Bild wieder. Das Kreuz, welches zu meiner ersten Besichtigung im Mai vor dem Portal stand, befindet sich nun wieder am alten Platz. Die Empore ist auch zugänglich, der Kuppelboden jedoch nicht. Die originalen Lampen sind in ihrer alter Schönheit noch erhalten. Das gut versteckte Gebäude steht unter Denkmalschutz, hat aber keine Verwendung in Aussicht. Nur die Kupferurne auf dem Dach ist durch die Hecken der Heidestraße sichtbar. Wie lange noch?

Sonneberg

Die moderne Industriestadt im Süden Thüringens eröffnete ihr Krematorium im November 1911. Eine alte Leichenhalle von 1870 wurde im neogotischen Backsteinstil erweitert und mit einem zweigeschossigen Unterbau für das Krematorium versehen. Lediglich der Schornstein war eine künstlerische Gratwanderung und erinnert auch heute noch an eine Fabrik. Bemerkenswert ist fast alles an diesem Gebäude. Seit 1983 ist die letztmalig 1937 umgestaltete Trauerhalle verschlossen. Darin befindet sich noch heute die intakte und unzerstörte Versenkungsanlage mit bronzenen Türen. Der ursprüngliche Altar aus Eisenrohr wurde nur mit Holz verkleidet und erhielt in der DDR-Ära eine Signalanlage. In einem Sezierraum befindet sich ein alter Seziertisch mit massiver, etwa 2,5 cm starker Schieferplatte. Bedingt durch jüngste, teilweise Deckenabbrüche im Vorraum ist er kaum noch zu bergen.

Im ehemaligen Wohnbereich des Friedhofswärters tritt ein besonderes Naturphänomen zu Tage. Der Efeu, welcher das Gebäude teilweise umschließt, hat nach der Zerstörung einer Zwischendecke acht schwere Zinkgießkannen und zwei Stühle auf Brustniveau angehoben. Aus einem Schrank, welcher nun auf einem Deckenrand der zweiten Etage steht, fielen Durchschläge von Urnenbegleitschreiben aus dem Jahr 1969. Die Empore für Musiker und Harmonium ist nur über eine Leiter erreichbar. Der Hallenbereich diente nur noch als Lager für Baumaterial und Eisenzäune.

Der Gang in die untere Etage führt an der Waschküche vorbei. Relikte wie Waschzuber und Handtuchhalter liegen direkt neben gestapelten Zinkeinsätzen für Särge. Der zweigeschossige Technikbereich ist in eine Betonwanne separat gesetzt worden, um das Grundwasser – bis heute noch teilweise erfolgreich – abzuhalten. Der Verbrennungsraum ist bis auf Elektrik und Gas noch im Urzustand erhalten. Blau-weiße Fliesen und kunstvolle Stahlgeländer in der untersten Etage geben dem Raum zeitlosen Stil. Die vollständige Versenkungsanlage auf Basis Wasserhydraulik zeigt normale Korrosion. Der Verbrennungsofen der Firma Gebrüder Beck Frankfurt wurde erst in den 1950ern auf Standgas umgestellt. Auffällig ist der festkorrodierte Stand der zwei Druckanzeiger trotz abgetrennter Leitung. Der Gasbrenner ist noch installiert, im ehemaligen Koksraum liegen einige neue Schamottesteine. 1948 gab es durch die Materialknappheit einen Skandal, als die Mitarbeiter des Krematoriums drei Zentner Kartoffeln als Koksersatz von einer Frau zur Einäscherung ihres verstorbenen Mannes verlangten. Dadurch wurde das Krematorium mit neuem Personal besetzt.

Im Gegensatz zu Dessau verfügte Sonneberg nur über einfachste Waschmöglichkeiten am Arbeitsplatz. Noch heute finden sich auf der Leitung textile Reste neben dem Ofen. Eindrucksvoll ist nicht nur das Panorama, sondern auch ein Nagel an der Wand. Hier befinden sich die letzten etwa 100 Begleitscheine zur Einäscherung, bis November 1994.

Geht man die schmiedeeisern geführte Treppe hinab in die unterste Etage, so zeigt sich als erstes der Fuchs, welcher in den Fußboden eingelassen wurde. Eine montierte Lüftungsschnecke und eine verschrottete füllen einen Teil des Raumes aus. Neben einer DDR-Improvisationsaschemühle steht der Sockel der intakten Hubanlage samt Drahtseiltechnik. Dahinter, gegenüber vom Aschesammler der Nachverbrennung befindet sich der Mahltisch, auf dem die Reste von Hand der Metallreste bereinigt und später handvermahlen abgefüllt wurden. Später wurde eine gebrauchte Mühle aus Dresden-Tolkewitz genutzt. Im Ascheschacht selber befinden sich nur wenig Spuren feinster Aschepartikel, aus denen im Mai 2008 erste Pflänzlein wuchsen. Das Leben kehrt immer wieder zurück.

Die Ursachen der Schließung vieler Krematorien auf dem Gebiet der ehemaligen DDR in den 1990er Jahren waren vielfältig. Jahrelang wurde in die Technik fast nichts investiert, mehr notdürftig erhalten. Mit der Wiedervereinigung sorgten marktwirtschaftliche Bedingungen, Arbeitsschutzvorschriften und die 27. Bundes-Immissionsschutz-Verordnung sowie deren Folgeregelungen für viele Schließungen. Aus Kostengründen der Kommunen wurden diese Gebäude nicht abgerissen und fristen – teilweise unter Denkmalschutz gestellt – ein unberührtes Dasein.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Friedhof und Wasser (August 2010).
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