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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

"Dem Publico von mir bekannt gemacht"

Über die Anfänge privater Todesanzeigen im späten 18. Jahrhundert

Am 12. September 1790 verstarb in Lübeck Christina Elisabeth Heycke, die 62jährige Ehefrau des Weinküpers Hinrich Heycke. Um ihren Tod bekannt zu geben, wählte dieser einen bis dahin unüblichen Weg: er ließ eine Anzeige in die "Lübeckischen Anzeigen", dem Lübecker Amts- und Intelligenzblatt, setzen.1 In dieser seit 1751 erscheinenden Zeitung konnten die Leser allerhand Wissenswertes und Nützliches lesen: dazu gehörten Bekanntmachungen des Rates, Kauf- und Vermietungsanzeigen, Stellenangebote, Steckbriefe ebenso wie lebenspraktische Ratschläge aus Medizin, Landwirtschaft und den Naturwissenschaften. Unter der Rubrik "Sterb-" oder "Todesfall" wurde den Lübeckern üblicherweise angezeigt, wenn eine hochgestellte, öffentliche Person gestorben war: für Ratsverwandte, Pastoren, Ärzte oder Lehrer des Gymnasiums Katharineum erschienen solche Anzeigen, die ähnlich wie die Leichenpredigttexte aufgebaut waren. Sie enthielten den Namen, das Alter und eine Kurzbiographie mit den beruflichen Stationen des Verstorbenen. "Die Stadt und die Seinigen vermissen an ihm einen redlichen und brauchbaren Mann zu frühzeitig, dessen Tod billig bedauret wird", hieß es beispielhaft über den Ratsverwandten Christian Melchior Stoltenberg, der am 16. Februar 1761 starb.

Hinrich Heycke betrauerte hingegen den Verlust seiner Ehefrau: "Es hat dem Allmächtigen gefallen, meine geliebte Ehefrau (…) nach überstandener schwerer Krankheit im 62sten Jahre ihres Lebens zu sich zu nehmen." Vor ihm hatten schon im Mai 1790 die Geschwister Stein den Tod ihres "zärtlich geliebten Bruders" Leopold zu St. Petersburg bekannt gemacht und mit die "Leidtragenden Geschwister" unterzeichnet. Sie brachten damit einen persönlichen, emotionalen Ton in die Traueranzeigen, wie er auch auf zeitgenössischen Grabsteinen zu finden ist. Und sie gaben ihrem Schmerz und Kummer Raum. Diese Anzeigen fanden in den folgenden Monaten und Jahren viele Nachahmer. Seit dem Herbst und Winter des Jahres 1790 folgten immer mehr ähnliche Todesanzeigen, die zum Teil unter eingerückten Kreuzen abgedruckt wurden und dem Leser der "Lübeckischen Anzeigen" dadurch sofort ins Auge fallen mussten. In ihnen wurde der Tod naher Angehöriger, der Eltern, der Ehegatten oder auch von sehr jungen, wenige Wochen alten Kindern beklagt. Die Toten erscheinen in den Anzeigen in der Regel nicht als über ihren Beruf definiert, sondern über ihre Stellung in der Familie: als Vater, Bruder, Sohn, Mutter, Schwester oder Tochter. Es ist kein Zufall, dass in diesen ersten bürgerlichen Traueranzeigen besonders häufig der Tod von Ehepartnern und Kindern beklagt wird, denn die Liebe zu ihnen – und damit die Trauer um ihren Verlust – sind ein Spiegelbild der nun im Zeitalter der Empfindsamkeit geforderten und gelebten innigen Bande zwischen Ehepartnern und deren Kindern. Folgerichtig werden diese Anzeigen seit 1799 unter der Überschrift "Familienbegebenheiten" oder "Familiennachrichten" abgedruckt und umfassen seit 1800 auch Hochzeits- und Geburtsanzeigen.

Die Traueranzeigen zeichnen ein sanftes Bild vom Tod und folgen damit den zeitgenössischen Todesvorstellungen. Wurde Christian Stoltenberg 1761 "dieser Zeitlichkeit" noch durch den Tod gewaltsam "entrissen", so sinken die Toten nun "zur sanften Ruhe des Grabes” oder „entschlummern zu einem besseren Leben." Sehr beliebt war auch die Formel, es "hat dem Herren über Leben und Tod" oder "der Göttlichen Vorsehung gefallen", den Betrauerten ins ewige Leben abzurufen. Ihre Trauer kleideten die Angehörigen in die Klage über den "schmerzlichen Verlust", der sie getroffen, oder sie beschrieben sie individueller als „innigste Wehmuth bey einer der härtesten Prüfunge" der Vorsehung".2 Ganz bestimmt ist die Bitte des Tuchhändlers Johann Nicolaus Stolterfoht, der den Tod seiner 27jährigen Ehefrau anzeigt und schließt: "Ueberzeugt, daß jeder an meinem Schmerze Antheil nimmt, verbitte ich alle Beyleids-Bezeugungen. Sie reissen bey mir eine Wunde auf, die ohnehin schwerlich heilen wird."3

Mit diesen Traueranzeigen hatte eine breitere Schicht des Bürgertums einen Weg gefunden, den Tod nahe stehender Angehöriger ebenso wie persönliche Trauer dem "Publico" öffentlich bekannt zu machen. Die Anzeigen ersetzten die vorher übliche „Ansage” durch Totenbitter oder durch auf dem Markt angeheftete Leichenzettel. Wie neu und ungewöhnlich dieser Weg war, erhellt daraus, dass fast alle frühen Todesanzeigen ausdrücklich erwähnen, dass sie "statt gewöhnlicher Ansage" erfolgen. In einer Anzeige hieß es gar:"Alle meine Verwandten und Freunde müssen sich diese Anzeige statt der gewöhnlichen Ansage gefallen lassen."4 Anders als die Leichen- und die Totenbitter-Zettel enthalten die Anzeigen keine Angaben zum Zeitpunkt und zum Ort der Bestattung, denn sie werben nicht für ein großes Geleit, sondern verlangen bisweilen – wie J. N. Stolterfoht – ausdrücklich den Verzicht auf Kondolenz-Besuche. Sie entsprechen damit dem gleichzeitigen Trend, auf große Trauerfeierlichkeiten mit Gesang, Glockenspiel und Geleit zu verzichten und stattdessen die Toten in „aller Stille” in kleinem Kreis zu bestatten. Blieb die Begräbnisfeier auch familiär, so sollte die Öffentlichkeit doch von dem Tod und vor allem von den schmerzlichen Gefühlen der Hinterbliebenen Kenntnis haben und Anteil daran nehmen. Diese Aufgabe übernahmen in Lübeck seit 1790 die Todesanzeigen in den "Lübeckischen Anzeigen."
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1 LA, Beytrag zum 37. Stück, 15.9.1790.
2 Pastor von der Hude über den Tod seiner Ehefrau, LA, Beytrag zum 2. Stück, 9. Januar 1791.
3 LA, Beytrag zum 47. Stück, 24.11.1790.
4 LA, Beytrag zum 1. Stück, 1.1.1794.

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