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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Dendrologischer Spaziergang auf dem Ohlsdorfer Friedhof

Ohlsdorfer Bäume 2000 ist das Leitthema des heutigen Spazierganges. Es orientiert sich an dem Buch über Hamburger Bäume 2000 von Harald Vieth.

Was liegt näher, den Baumreichtum des Friedhofs ergänzend zu den Hamburger Bäumen einmal auf gleiche Weise vorzustellen.

Beginnen wir mit der Entwicklung des Baumbestandes und seinem Alter. In den Jahren vor der Anlage des Areals als Friedhof erstreckte sich über das gesamte Gelände eine Knicklandschaft, so wie sie heute noch im benachbarten Schleswig-Holstein besteht. Diese Form von Kulturlandschaft geht in der Ohlsdorfer Gegend auf die Zeit um das Jahr 1840 zurück, als die ansässigen Bauern sich für eine Verkoppelung ihrer landwirtschaftlich genutzten Flächen entschieden. Die Verkoppelung war eine Art Flurbereinigung und Neuordnung des Grundbesitzes. Es entstanden Koppeln, die mit Wall und Graben umgeben waren. Die Verläufe der bepflanzten Wälle, die sog. Knicks, sind auf dem Friedhof heute mehr oder weniger noch deutlich zu erkennen. Meist sind es aufgereihte Eichen mit geringem Abstand voneinander, die oft Grabfelder voneinander trennen. Sie konnten sich zu Einzelbäumen entwickeln, da sie seit Anlage des Friedhofs nicht mehr wie üblich, alle 10 Jahre auf den Stock gesetzt wurden. Dazu gehören auch die sechs Eichen auf dem Gelände der Baumschule Klein Borstel und der Gehölzbewuchs auf dem niedrigen Wall westlich des Rosengartens. Eine Besonderheit im Norden Hamburgs stellt der ehemalige Buchenknick beiderseits der Kapelle I dar. Auf einer Länge von wohl 120 Metern bilden mehrstämmige Rotbuchen eine eindrucksvolle hohe Baumwand. Leider fielen vor Jahren zum Bau der Unterkunft etwa 20 Meter der Axt zum Opfer.

Rechnet man bis zum Zeitpunkt ihrer etwaigen Pflanzung zurück, so könnten diese Bäume höchstens 160 Jahre alt sein, vermutlich liegt ihr Alter aber so zwischen 120 und 140 Jahre. Aber auch einzelne Bäume aus der Zeit davor sind anzutreffen. Eine davon mag die markante Sommerlinde am Stillen Weg sein oder die vor etwa 20 Jahren gefällte Buche mit einem Stammumfang von fast vier Metern in J 10 hinter dem Grabmal Mauss. Unter ihrem Blätterdach hat sich einst der Gärtnermeister Möller von Kapelle IV beisetzen lassen. Ihm lag die Pflege des Rosengartens sehr am Herzen, und so war er damals als "Rosenmöller" bekannt. Sein Grab besteht noch. Diese Buche war die stärkste aus dem Bestand, der weiter südlich noch Zeugnis gibt von den Resten eines Waldes. Die alten Flurbezeichnung "Auf dem Holtze" deutet darauf hin.

Im Linneteil sind die einzelnstehende Eichen, oft mit einer Mauer umgeben, die letzten Zeitzeugen der Verkoppelung. Verfolgt man nämlich ihre Lage auf dem Friedhofsplan, so stehen sie auf einer gedachten Linie, also im Verlauf eines ehemaligen Knicks. Auch die großen Haselsträucher an der Seehofstraße sind Relikte aus jener Zeit.

Einen weiteren hervorzuhebender Zeitraum für die Bestandsentwicklung ist das Jahr 1876. Nach Vorgaben des Försters aus Volksdorf säte und pflanzte man an der nördlichen und östlichen Grenze des geplanten Friedhofsareals einen Schutzwald, den heutigen Waldteil. Der Baumbestand hier, meist Buchen, Eichen und Kiefern als Rest eines vorgesehenen Mischwaldes mag damit höchstens 120 Jahre zählen. Erst etwa um 1900 wurden hier Gräber angelegt und der Friedhof über diese Grenze hinaus erweitert. Den gewaltigen Rhododendronbestand von heute gab es damals noch nicht.

Gehen wir zurück in den Linneteil. Die Absicht, mit dem Pflanzen von Bäumen in geordneten Reihen eine Raumbildung in der Parklandschaft zu erzeugen, dokumentieren eindrucksvolle Kulissen: Am sogenannten T-Teich sind es die Hängebuchen, die mit ihren schleppenden Ästen fast bis auf die Böschungsoberkanten des Teiches reichen und damit die strenge Uferböschung weit über den Wasserspiegel hinausheben. Beliebt war damals das Aufreihen von Österreichischen Schwarzkiefern. Die kreuzförmige Anlage der Bombenopfer-Massengräber ist mit solchen Nadelbäumen in strenger Form räumlich begrenzt. Auch die Straßenbepflanzung zeigt z. T. noch dieses Gestaltungsprinzip. Eine der namensgebenden Alleebäume ist die Japanische Lärche, die als "Lärchenallee" mit jahreszeitlich wechselnden Stimmungsbildern erfreut. Weniger nachhaltigen Erfolg in der Freiraumgestaltung haben die Baumhaseln im Gräberfeld Bk 52, die im Alter ihr wahres Gesicht zeigen. Ihre anfänglich schmale Krone wurde zunehmend breiter, "breit und rund wie ein Pfannkuchen", und beschatten die Gräber. Das gleiche Altersbild nehmen die Amerikanischen Roteichen im Grabfeld Bh 61-63 bei Kapelle XII ein. Die meisten von Ihnen sind deshalb schon gefällt worden.

Viele Baumindividuen mit auffälligem Charakter sind besonders im Alten Teil des Friedhofs auszumachen. So die Japanische Lärche bei Kapelle I in S 7 gegenüber dem Grab Kittlof. Sie wurde wohl Ende des 19. Jh. gepflanzt. Das Auffällige an ihr ist die Veredlungsstelle kurz über dem Boden. Damals hat man diesem Exoten wohl nicht zugetraut, hier in Europa selbst Wurzeln schlagen zu können, und sie daher auf ihre deutsche Verwandte, die Europäische Lärche, aufgepfropft. Vermutlich ist hier der Ort des einstigen "Kählerischen Pflanzbeetes" zu finden. Senator Alexander Kähler war bis 1896 Besitzer des Gutes Hohenbuchen in Poppenbüttel, ein eifriger Pflanzensammler und mit dem Friedhofsdirektor Cordes befreundet. Er überließ ihm exotische Gehölzarten, die zu Versuchszwecken auf dem Friedhof auf einer dafür bestimmten Parzelle ausgepflanzt wurden.

Allein die Besonderheit einer Gelbblühenden Magnolie auf dem Friedhof war es den Gärtnern Wert, diesem Baum Unterstützung zu geben. Vor Jahrzehnten drohte er nämlich, endgültig seine Balance zu verlieren und in den Nordteich zu stürzen. Seitdem wächst er auch mit fast waagerecht aufliegendem Stamm unbeirrt weiter. Sein aufrecht strebendes Geäst drückt eine ungebremste Vitalität aus, zu betrachten am östlichen Ufer des Teiches.

Nicht weit davon entfernt, am Fuße des Millionenhügels in AC 14 unterhalb der Freitreppe, breitet sich mit einem Durchmesser von etwa 5 m eine Hängende Hemlockstanne aus. Bei einer Höhe von etwa 3 m bilden die bogig abstehenden und bis zum Boden reichenden Zweige einen Schirm, der bei Regen einen trockenen Unterstand bietet.

Wie ein Baum ein Grabstein umfassen kann und er sich dabei aus der Umklammerung lehnt, demonstriert eine mächtige Hängebuche in W 9 direkt an der Nebenallee. Der rote findlingsartige Grabstein der Familie Wallfried wird wohl bald den Kampf verlieren.

Unter einem Blätterdach an einem Totensonntag in einem Posaunenchor mitzuwirken, dass war dem Verfasser in jungen Jahren möglich. Dazu bot sich eine Roßkastanie mit weit ausladenden Ästen und Zweigen an. Nunmehr reichen sie weit unter den Stammfuß. Zu entdecken ist dieses etwa 70 Jahre alte Exemplar auf dem sog. Linnehügel. Ebenmäßig gewachsen, überwölbt sie die Kuppe des künstlich geformten Hügels und wird mit ihm zu einer Einheit, zu finden in R 32 unmittelbar an der Mittelallee.

Bevor der Spaziergang an dieser Stelle vorerst abschließt, wird noch auf eine interessante Baumart aufmerksam gemacht, von der es auf dem Friedhof mehr Exemplare gibt, als der Besucher annehmen mag. Es ist der Ginkgo, ein Urweltbaum, der vor 150 Millionen Jahren nicht nur in Asien, sondern auch in Europa heimisch war. Obwohl botanisch mit den Nadelgehölzen sehr verwandt, gibt er sich wie ein Laubbaum. Zwei Exemplare stehen in Bm 52, etwa 10 m südlich der Mittelallee zu beiden Seiten der Wegerampe. Sie sind in diesem Alter leicht an ihrem schlanken Wuchs und im Sommer an den parallelnervigen und fächerförmigen Blättern zu erkennen.

Dem Ginkgo wohnen erwiesenermaßen beträchtliche Heilkräfte inne, und keineswegs nur gegen Vergeßlichkeit, sie besitzen auch eine unermeßliche Regenerationskraft. So waren sie in der Stadt Hiroshima die ersten Pflanzen, die nach dem verheerenden Atomblitz 1945 wieder austrieben. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nahm diese Eigenschaften zum Anlaß, mit der AKTION GINKGO 1995 unter dem Motto "Gegen das Vergessen - Für ein Wachsen in Frieden", Ginkgobäume auf Kriegsgräberanlagen des Ohlsdorfer Friedhofs und an vielen Stellen in Hamburg zu pflanzen. Ein Ginkgo wurde am Remembrance Day 1998 zum Gedenken an die britischen Opfer der Berliner Luftbrücke auf dem Rasen zwischen den britischen Soldatenfriedhöfen feierlich in das Erdreich gesetzt.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Internationale Bestattungskulturen (November 2000).
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