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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

"Alles ist Staub, alles ist Asche, alles ein Schatten"

Sterbesitten und Trauerbräuche im ländlichen Raum Nordgriechenlands

Das monotone Läuten der Kirchenglocke verkündet den Tod eines ihrer Nachbarn. Die Dorfbewohner halten inne in ihrem Tun. Der Priester macht sich auf den Weg ins Trauerhaus, wo er den Verstorbenen aussegnet. Aufgebahrt liegt der Tote im besten Zimmer. Nach und nach treffen Verwandte, Freunde und Nachbarn ein, um Abschied zu nehmen, den Hinterbliebenen ein tröstendes Wort zuzusprechen und für das Seelenheil des Verstorbenen zu beten. Die ganze Nacht halten Angehörige die Totenwache, bevor sie den Leichnam am folgenden Tag zur Beerdigungsfeier in die Kirche geleiten. Bei der Begräbnisliturgie am offenen Sarg ist nahezu das gesamte Dorf versammelt, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.

Dies alles kommt zumindest den Älteren unter uns, oder denen, die auf dem Land aufgewachsen sind, wohl noch bekannt vor. Auch der anschließende Leichenschmaus ist den meisten ein Begriff. Doch wo bei uns die Bräuche aufhören, in der Regel also am Tag der Beerdigung (sieht man einmal vom Aufstellen des Steins ab), fangen sie in der griechisch-orthodoxen Tradition erst richtig an. Da sind die regelmäßig wiederkehrenden Totengedenkfeiern, die Totenspeise, die rituelle Grabpflege und die ständige Fürbitte für die Verstorbenen, und es gibt die Graböffnung, Exhumierung und endgültige Aussegnung der Gebeine. Ein reiches Brauchtum, das seinen Sinn nicht nur findet in der Bewahrung der Tradition, sondern insbesondere auch in der Unterstützung des Trauerprozesses und der Begleitung der Hinterbliebenen.

Sieben "Stationen" des Todes, die für die orthodoxen Begräbnisriten charakteristisch sind, möchte ich mit Ihnen abschreiten und so den Blick öffnen für Vertrautes und Fremdes, Ansprechendes und Abstoßendes in einer noch intakten Trauerkultur.

1. Station: Die Krankenölung

"....daß sie ihn salben mit Öl im Namen des Herrn."1

Die Krankenölung, die auf der Grundlage von Jakobus 5,14 nicht nur Sterbenden, sondern auch Kranken gewährt wird, zählt zu den sieben Sakramenten der orthodoxen Kirche. Für einen Todgeweihten, der sein Ende nahen fühlt, ist die Krankenölung eine Möglichkeit, sich vom Leben zu verabschieden, Bilanz zu ziehen, zu beichten und als Zeichen der Vergebung die heilige Kommunion zu empfangen.

Für die Zeremonie stehen Kreuz, Evangelienbuch, eine Schüssel mit Weizenkörnern als Symbol für die unsterbliche Seele, sieben mit Watte umwickelte Holzstäbchen, sieben Kerzen, Weihrauch, geweihtes Öl und Wein bereit. Nach einleitenden Gebeten gießt der Priester das Öl und den Wein in ein Gefäß und spricht ein Weihegebet. Während der anschließenden liturgischen Gesänge bestreicht er die Glieder des Kranken mit den in Öl und Wein getränkten Wattestäbchen kreuzförmig. Die Spendung des Sakraments hat eine doppelte Funktion: Es dient zunächst der Heilung körperlicher Gebrechen, aber auch der Vergebung der Sünden, insbesondere solcher, die in Verbindung mit der Krankheit stehen oder aufgrund derselben nicht gebeichtet werden können. Das Gebet, das der Priester am Sterbebett spricht, soll dem Todgeweihten helfen, seine Seele aushauchen zu können.

Ein langer Todeskampf wird als Zeichen dafür verstanden, daß entweder nicht alle Vergehen gebeichtet wurden, oder jemand, an dem sich der Sterbende versündigte, ihm nicht verziehen hat. Vielfach berichteten Dorfbewohner von solchen Fällen, in denen der Sterbende erst die Augen schließen konnte, als ihm von der betreffenden Person die konkrete Schuld vergeben wurde. Die Worte: "Möge deine Seele um Erlösung bellen wie ein Hund!" gehören daher zu den schlimmsten Verwünschungen, die man über andere ausstoßen kann; gehen sie doch über das Leben noch hinaus. Ein schnelles Entschlafen deutet also auf ein Gott wohlgefälliges Leben und vergebenes Übel.

2. Station: der Tod und die Totenwache

"Denn der Geist hat sein Zelt verlassen." 2

Werden in größeren Ortschaften Todesfälle durch Aushänge an Strom- und Laternenmasten und zunehmend auch per Anzeige bekanntgegeben, so ist es auf dem Land der eintönige Ruf der Totenglocke, die diesen Dienst versieht. Stirbt ein Dorfbewohner, so ist der Priester der erste, der von den Angehörigen verständigt wird - nicht zuletzt, damit die Glocke geläutet werden kann, aber auch, um anfallende Fragen bezüglich der Beerdigungsfeierlichkeiten zu klären. Um sowohl einen Scheintod sicher ausschließen zu können, als auch um den klimatischen Verhältnissen Rechnung zu tragen, soll das Begräbnis erst nach Ablauf von 24 Stunden, aber vor Sonnenuntergang des nächsten Tages erfolgen. So kann der Verstorbene in aller Regel noch einen Tag und eine Nacht aufgebahrt werden. Zeit, loszulassen und Abschied zu nehmen.

Für die Totenwache waschen Familienmitglieder den Leichnam und kleiden ihn neu an. Besonders die älteren Dorfbewohner haben für diesen Fall schon zu Lebzeiten vorgesorgt und ein Totenhemd bereitgelegt. Auch das Leichentuch gehört zu dieser letzten Ausstattung. Meist ist es ein besonders schönes, selbst gewebtes oder mit kunstvoll gehäkelter Spitze verziertes weißes Laken, mit dem der Verstorbene auf seiner letzten Reise zugedeckt wird. Gewöhnlich wird an der Bahre rund um die Uhr gewacht. Dies geschieht, damit die Seele, die sich nach Volksglauben zu diesem Zeitpunkt noch in der Nähe aufhält, nicht so allein ist. Eher heidnischen Ursprungs ist der Brauch, frisches Wasser bereitzustellen, an dem sich die Seele erfrischen soll, oder dem Verstorbenen eine Münze auf die Zunge zu legen, damit er dem Fährmann die Überfahrt in den Hades bezahlen kann. Bei einem verstorbenen Geistlichen wird darüber hinaus aus dem Evangelium gelesen. Das Verabschieden vom Toten geschieht nicht leise und diskret - lautstark wird der Verlust beweint und betrauert, die Kleidung zerrissen oder mit Gott gehadert. Alles, was noch einmal gesagt werden muß, kommt hier zur Sprache.

3. Station: Die Aussegnung im Hause

"Daß er ruhe im Schoße Abrahams und den Gerechten zugezählt werde"

Zur Stunde der Beerdigung läutet abermals die Totenglocke und ruft die Dorfbewohner zum Kirchgang. Während sich die Trauergemeinde allmählich versammelt, macht sich der Priester mit seinen Ministranten sowie ein oder zwei Männern, die die Leichenkarre ziehen, auf den Weg zum Trauerhaus. Vor dem offenen, blumengeschmückten Sarg liest er das Dreimalheilig ("Trisagion"), beweihräuchert den Leichnam und segnet damit seinen Ausgang aus diesem Haus. Das Totenlicht, - ein mit Wein und Öl gefülltes Glas, in dem ein Korken mit Docht schwimmt, - das hier entzündet wird, brennt während der gesamten Begräbnisliturgie in der Kirche und findet noch Verwendung bei der Grablegung. Auf der Halbinsel Chalkidiki kannte man ein besonderes Totenlicht: eine Kerze wurde in der Länge des Leichnams gerollt und brannte bis zur Beisetzung. Unter dem Geleit der Familienangehörigen wird der Verstorbene nun im offenen Sarg zur Kirche bzw. Friedhofskapelle überführt, der Priester geht mit dem Totenlicht voran.

4. Station: Die Begräbnisfeier in Kirche oder Kapelle

"Furchtbar ohnegleichen ist das Mysterium des Todes"

In der Kirche wird der Sarg im Mittelgang vor der Heiligen Pforte aufgebahrt. Die Begräbnisliturgie ist stets dieselbe, und weicht von dem festgelegten Ablauf nur ab, wenn es sich bei dem Verstorbenen um ein Kind oder einen Geistlichen handelt, oder wenn der Tod in der Karwoche eingetreten ist. Damit wird die Gleichheit aller Menschen vor Gott betont. Die Worte der Liturgie gehen zurück in die Anfänge des Christentums. Kennzeichnend ist eine sehr ausdrucksstarke, poetische Sprache mit viel Pathos und Dramatik: "Ich weine und wehklage, wenn ich des Todes gedenke und in den Gräbern liegen sehe unsere ursprüngliche Schönheit, zum Bilde Gottes geschaffen, nun ungestalt, ruhmlos, entstellt..." oder "Lasset uns hinausgehen, die Gräber betrachten und sehen.... wie der Mensch wird zur Speise der Würmer und zum Gestank...."3

Die Begräbnisfeier endet mit dem letzten Kuß, mit welchem dem Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen wird. Es beginnt der Priester mit einem Kuß auf das Evangelium, das auf der Brust des Toten liegt, und auf die Stirn. Die Familie und alle anwesenden Trauergäste schließen sich ihm an. Dann tragen Angehörige den Sarg aus der Kirche. Die Prozession zum Friedhof, der außerhalb des Dorfes liegt, erfolgt in derselben Ordnung wie vom Trauerhaus zur Kirche.

5. Station: Die Aussegnung und Grablegung auf dem Friedhof

"Wo die Wohnstatt derer ist, die sich freuen in Dir"

Während der Sarg in das Grab eingesenkt wird, liest der Priester zur Aussegnung das Trisagion wie im Trauerhaus und übergibt den Verstorbenen damit in Gottes Hand. Anschließend besprengt er den Toten kreuzförmig mit dem Öl des Totenlichts, das erst jetzt endgültig verlöscht, und spricht dabei: "Besprenge mich mit Ysop, daß ich rein werde; wasche mich, daß ich weißer werde als Schnee”"(Psalm 50,9). Dann wirft er mit einer Schaufel dreimal Sand über den Sarg mit den Worten: "Erde bist du, und zur Erde kehre zurück." Erst wenn alle Anwesenden den Erdwurf ebenfalls vollzogen haben, wird der Sargdeckel verschlossen und das Grab zugeschaufelt.

Blumenschmuck und Kränze sind auf dem Land unüblich. Auch zieren keine Steine die Gräber, sondern Umfriedungen aus Holz, Metall oder Marmor. In einem kleinen Kasten mit Glasfenster und Kreuzaufbau an der Stirnseite der Umfriedung befinden sich ein Foto des Verstorbenen, die ewige Lampe, Öl, Feuer, Weihrauch, Vasen etc. Auf dem Kasten sind Namen und Daten des Verstorbenen zu lesen. Alle Gräber sind geostet, denn von Osten wird die Auferstehung Christi erwartet.

6. Station: Das Totengedenken

"Ihr Gedächtnis währet von Geschlecht zu Geschlecht"

Neben der persönlichen Trauerarbeit, dem Aufsuchen, Bestellen und Beweihräuchern des Grabes und dem Entzünden des ewigen Lichtes, spielt die wichtigste Rolle beim Totengedächtnis das Requiem ("Mnimosino"), eine offizielle Gedenkfeier mit einem festgelegten Ablauf. Grundlage dafür ist die feste Überzeugung, durch Fürbitte zu Gott auch nach dem Tod noch etwas für die Verstorbenen erreichen zu können.

Die Requien finden nach Ablauf bestimmter Zeiträume statt (3,6,9,40 Tage, 3 Monate, ½ Jahr, 1 Jahr). Aber nur die Feiern nach 40 Tagen4 und nach einem Jahr werden größer begangen. Bei den kleineren Requien liest der Priester im Beisein der Angehörigen lediglich ein Trisagion am Grab. Die großen Gedenkfeiern, zu denen offiziell eingeladen wird, erfolgen im Anschluß an den Sonntagsgottesdienst in der Kirche. Auf einem Tisch im Altarraum steht die Totenspeise5, ein Bild des Verstorbenen, eine brennende Kerze und Blumen. Auch das Requiem hat eine eigene Liturgie, die der Priester im Wechsel mit den Liturgen singt und dabei das Weihrauchfaß über dem Tisch schwenkt.

Nach der Messe verteilen Angehörige die Totenspeise an die Trauergäste. Es gehört sich, sie vollständig zu verzehren, als Zeichen, daß man dem Verstorbenen nichts nachträgt. Der Gang zum Friedhof entfällt; am Grab hat sich die engste Familie bereits am Vorabend mit dem Priester versammelt. Statt dessen sind alle in die örtliche Gaststätte zu Kaffee und Gebäck eingeladen - eine Sitte, die ursprünglich der Speisung der Armen in den Gemeinden diente.

7. Station: Die Graböffnung

"Was ist des Menschen Gebein in seiner Nacktheit"

Der für uns sicher befremdlichste Brauch ist das Öffnen der Gräber und die Exhumierung der Gebeine.6 Er erfolgt in der Regel nach Ablauf von 5 oder 7 Jahren. Als theologische Begründung für die Graböffnung wird mehrheitlich die Notwendigkeit genannt, sich vom Zustand des Leichnams überzeugen zu müssen. Eine ganz oder teilweise konservierte Leiche deutet nämlich auf nicht vergebene Schuld hin. Hier ist eine erneute Aussegnung und Beerdigung nötig, damit die Seele des Verstorbenen Ruhe finden kann. Dagegen ist eine vollständige Verwesung Zeichen für Vergebung und Aufname bei Gott. Ganz praktisch geht es aber natürlich auch um Platzprobleme - ohne die Exhumierung wären die kleinen Dorffriedhöfe schnell am Rand ihrer Kapazitäten.

Früh am Morgen wird die Grabumfriedung von einem Arbeiter abgetragen und das Grab ausgehoben, bis er auf die Gebeine stößt. Diese reinigt er und legt sie in einen weißen Leinensack. Bevor die Aussegnung stattfinden kann, stellen Angehörige den Schädel auf den Sack und schmücken ihn mit Blumen, die von der sich allmählich einfindenden Trauergemeinde ergänzt werden. Neben den Gebeinen steht eine Schale mit Kerzen.

Der Priester trifft auf dem Friedhof ein und beginnt mit der entsprechenden Liturgie. Er gießt Rotwein über den Schädel - Symbol für Christi Blut als Zeichen der Vergebung -, bedeckt ihn mit einem Taschentuch und küßt ihn zum Zeichen der Ehrerbietung. Die Trauergäste schließen sich ihm an. Nach Ablauf der Zeremonie wird der Schädel zurück in den Beutel gelegt, der fest verschlossen seinen letzten Ort in einem unterirdischen Kömeterium7 findet. Vielerorts ist die letzte Ruhestätte eine Schale oder Kiste in einem Gebeinhaus.

Selbst wenn auch dort durch das Aufstellen von Bildern oder das Entzünden von Kerzen und Weihrauch die Möglichkeit des Totengedächtnisses geblieben ist, schließt die Graböffnung den Trauerprozeß radikal ab. Hier wird den Hinterbliebenen in dramatischer Weise vor Augen geführt, was vom Verstorbenen blieb: eine Handvoll Knochen. Die Seele aber hat Eingang gefunden bei Gott, wo man sie in Frieden ruhen lassen soll.

1 Zitat aus dem Jakobusbrief, Kap. 5, 14 f: Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.

2 Die Worte der folgenden kursiven Untertitel sind der orthodoxen "Liturgie des Leichenbegängnisses" entnommen.

3 Die Worte dieser Begräbnisidiomela beispielsweise werden dem Mönch Johannes v. Damaskus (ca. 675 - 749 n. Chr.) zugeschrieben.

4 Nach orthodoxer Auffassung verlässt die Seele nach 40 Tagen - in Anlehnung an Christi Himmelfahrt - endgültig die Erde und geht in den Zwischenzustand über, wo sie auf das jüngste Gericht wartet. Aus diesem Grunde ist die Fürbitte zu diesem Zeitpunkt besonders wichtig.

5 Die Totenspeise ("Koliva") besteht aus gekochtem Weizen (nach Johannes 12,24 das Symbol für Tod und Auferstehung) mit Zucker, Rosinen, Walnüssen und Zitronat vermengt. Auf einem Tablett aufgehäuft wird sie mit Puderzucker bestäubt und mit Zuckerperlen, den Initialen des Verstorbenen und einem Kreuz verziert. Auf den Dörfern machen diese Arbeit die Angehörigen oder auch der Priester selbst, in größeren Städten gibt es spezielle Geschäfte dafür.

6 Dieser Brauch ist weder in ganz Griechenland üblich (in Makedonien allerdings überwiegend), noch wird er überall übereinstimmend praktiziert. Selbst benachbarte Dörfer weisen unterschiedlichste Gepflogenheiten auf, die zu schildern hier den Rahmen sprengen würde.

7 Kömeterium bedeutet wörtlich übersetzt "Schlafstätte". Es kann sich um eine einfache Grube oder aber auch um eine Art Keller handeln.

Marianna Nestoris, Jahrgang 1966, ist Deutschgriechin und arbeitet als evangelische Pastorin und Diplom-Theologin in Hamburg. Sieben Monate lang untersuchte sie in Makedonien/Griechenland das reiche Brauchtum, das sich dort um Tod und Begräbnis rankt, und dokumentierte ihre Eindrücke in Wort und Bild.

Dieser Artikel erschien im Juni 2000 in "Friedhofskultur - Zeitschrift für das gesamte Friedhofswesen".

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Internationale Bestattungskulturen (November 2000).
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