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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Jeanne E. Rehnig: Todesmutig. Das siebte Werk der Barmherzigkeit

Düsseldorf 2006, 212 Seiten, zahlreiche Abbildungen

Dieses großformatige Werk gehört als Begleitband zu der gleichnamigen Ausstellung im Museum für Sepulkralkultur in Kassel, die bis zum 11. Februar 2007 läuft. Laut Prospekt bildet es gleichzeitig eine eigenständige Kulturgeschichte. Ausstellung und Begleitbuch wurden durch das Kuratorium Deutsche Bestattungskultur sowie die Humatia Stiftung für Sepulkralkultur initiiert und gefördert. Diese Institutionen sind Ableger des Bundesverbandes Deutscher Bestatter, so dass es sich bei dem Buch um eine von deutschen Bestattungsunternehmen in Auftrag gegebene Darstellung der Geschichte des eigenen Berufes handelt, deren Ziel, zu einem Imagewandel des Berufsbildes beitragen zu wollen, nicht zu übersehen ist.

Dem entspricht eine vorzügliche Aufmachung mit zahlreichen großformatigen und fast durchgehend farbigen Abbildungen sowie der plakative Titel. Dass das Adjektiv "todesmutig" eher an die Arbeit im Seenotrettungsdienst oder in der Bergwacht denken lässt, kann man als gewollte Provokation verstehen. Wenn dann aber in der Einleitung jüdische Vorstellungen über die kultische Unreinheit durch den Umgang mit Toten übergangslos mit dem Imagewandel des Berufsbildes von der "unehrlichen" Tätigkeit zur gesellschaftlich anerkannten Dienstleistung verbunden werden und philosophiert wird, dass sich die Ängste und Vorbehalte im Umgang mit den Toten, "auf die Entwicklung der Berufe dahingehend auswirkten, dass sich in erster Linie die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft diesen bezahlten Tätigkeiten widmeten, weil sie einerseits keine andere Wahl hatten und gleichzeitig größten Mut aufbrachten, diese Aufgaben zu erfüllen" (S. 20), dann stolpert man einerseits nicht nur über den umständlichen Satzbau, sondern gleichzeitig noch mehr über die unhistorische Betrachtungsweise, mit der hier und im Folgenden der "Mut zur Bestattung" tapfer in den Mittelpunkt gestellt wird.

Der auf die Einleitung folgende Text ist in fünf Hauptkapitel eingeteilt, die den Ablauf von Tod und Bestattung zur Grundlage haben: "Plötzlich und unerwartet" gilt der Zeit kurz vor und nach dem Tod. "Das siebte Werk der Barmherzigkeit und seine Diener" beschreibt die Tätigkeiten der Totenfürsorge. "Von der schönen Leich und der schönen Witwe" nimmt sich ein zweites Mal der Totenfürsorge – diesmal "im Schönen" – an und geht darüber hinaus auf Bestattungsgegenstände und Trauerkleidung ein. "Auf der letzten Reise" widmet sich dem Weg zum Friedhof und den Totengräbern, während die letzte Überschrift "www.bestatter.de" von der Entwicklung zum modernen Berufsbild kündet. Die Unterpunkte der Gliederung lesen sich dabei wie die Aufzählungen eines Wörterbuches, wenn z.B. im ersten Kapitel unter der Überschrift "Der Tod wird verkündet" steht: „Leichenbitter, Leichenbitterin / Todansager, Todansagerin / Totenbitter, Totenbitterin ..." gefolgt von über vierzig weiteren Bezeichnungen für Personen männlichen oder weiblichen Geschlechts, die dieselbe Tätigkeit ausüben.

Im Text springt die Berichterstattung dann munter zwischen Mittelalter, 19. Jahrhundert und Früher Neuzeit hin und her. Gern werden auch besonders attraktive Fakten aus der gesamteuropäischen Kultur in Bild und Text einbezogen. An nicht wenigen Stellen schleichen sich dabei Fehler ein, als Beispiele seien herausgegriffen: die Bildbeschriftung bei Abbildung 24, wo zu lesen ist: " ...Und druck doch dass auch dieß ein Werk der Liebe sey...". Das unverständliche "druck" löst sich auf, wenn man das Bild genauer betrachtet und dort in der Unterschrift "und denck" liest. Auch die Trauer der Heiligen Clara an der Bahre des Heiligen Franziskus hat mit einer Totenwache nichts zu tun (Abb. 34), und die Etikettierung der hamburgischen Besonderheit der "Reitendiener" als "reitende und schreitende Diener" (Abb. 73) zeugt nicht von vertiefter Sachkenntnis. Als letztes Beispiel aus einer Reihe ähnlicher Stolpersteine sei die Behauptung wiedergegeben, mit dem Begriff der "Tanzleiche" sei der aufgebahrte, aber noch als real empfundene Leichnam gemeint (S. 28), während doch nicht nur im Katalog der Ausstellung "game over" von 2002 in Kassel berichtet wird, dass bei diesem Tanzspiel während der Totenwache ein Spieler auf einer Tanzfläche "tot" umfiel und durch einen Rundtanz der anderen wieder zum Leben erweckt wurde.

Nicht zu verkennen ist, dass hier mit Fleiß eine Vielfalt von Fakten aus volkskundlichen Befragungen, historischen Untersuchungen sowie der entsprechenden Sekundärliteratur zusammen getragen worden sind. Doch leider sind diese Einzelerkenntnisse nicht zu einem in sich schlüssigen Ganzen verbunden worden. Zudem werden die Fakten immer wieder mit leicht flapsigen und ungenauen Formulierungen miteinander verbunden. Dadurch erscheinen viele Aussagen zwar nicht ganz falsch, aber eben doch so schief, dass man sich überlegen muss, was die Autorin eigentlich sagen will. Das wird durch zahlreiche Wiederholungen nicht besser. Vergleicht man "Todesmutig. Das siebte Werk der Barmherzigkeit" mit dem schon 1984 erschienenen Standardwerk, dem Ausstellungskatalog "Die letzte Reise" aus München, dessen Gliederung inhaltlich ähnlich ist, so wünschte man sich, dass das neue Buch eine auf ihrem Fachgebiet ebenso erfahrene Herausgeberin und Lektorin gehabt hätte wie jenes Buch, das sich heute immer noch mit Gewinn verwenden lässt.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Steine des Anstoßes (November 2006).
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