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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der "Kriegertempel" – ein Stein des Anstoßes?

Die Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft bei Kapelle 9 auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg werden im allgemeinen Sprachgebrauch als Gräber deutscher Soldaten des Ersten und Zweiten Weltkrieges bezeichnet, obwohl man spätestens seit 1992 Ausführlicheres über die dort auch bestatteten Opfer der NS-Diktatur weiß.

Herbert Diercks fasste damals seine Recherchen in der Publikation "Auf den Spuren von Naziherrschaft und Widerstand" zusammen, die Willi-Bredel-Gesellschaft war Herausgeberin. Nun soll die Öffentlichkeit darüber vor Ort gezielt informiert werden. Auf Einladung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge VDK, Landesverband Hamburg, haben sich Vertreter des VDK, der Landeszentrale für politische Bildung, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregims, des deutschen Auschwitz-Komitees, der Gedenkstätte Neuengamme sowie der Friedhofsverwaltung an einen Runden Tisch gesetzt. Es sollen Wege erörtert werden, wie die Entwicklung der bestehenden "Gemengelage" von einem Historiker untersucht werden sollte. Vorab wird schon jetzt in einer Arbeitsgruppe mit der inhaltlichen Ausgestaltung einer Informationstafel und eines erläuternden Faltblattes begonnen. Hinweistafeln an mehreren Standorten sind seit langem überfällig.

Ehrenmal
Ehrenmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs
Foto: P. Schulze

Bestattet wurden hier 3.418 Soldaten des Ersten Weltkrieges, darunter einige Franzosen und Finnen (s. auch Beitrag in der Ausgabe Nr. 119 dieser Zeitschrift), 2.940 Soldaten des Zweiten Weltkrieges und 245 Opfer des NS-Regimes, vorwiegend Russen, aber auch Säuglinge von Zwangsarbeiterinnen. Die 1953 eingeweihte Anlage zu beiden Seiten der Gedenkhalle wurde auf Anregung des Volksbundes errichtet. Gesamtentwurf und Bauleitung lagen in den Händen des 1949 aus dem Exil zurückgekehrten Baudirektors Gustav Oelsner. Der kritisch zu betrachtende Entwurf zum zentralen Punkt dieses Gräberfeldes, der "Kriegertempel" zum Gedenken an die im Weltkrieg gefallenen Soldaten, stammt vom Chefarchitekten des Volksbundes Robert Tischler. Er war von 1929 bis zu seinem Tod 1958 europaweit für die Gestaltung von deutschen Soldatenfriedhöfen zuständig. Dabei entwickelte er einen eigenen, zunehmend umstrittenen Stil. Für den Runden Tisch wird es keine leichte Aufgabe sein, das damals empfundene und gestalterisch umgesetzte Erinnern an gefallene Soldaten nach heutiger Kenntnislage mit kritischem Geschichtsbewusstensein der Öffentlichkeit darzustellen.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Weltreligionen und Jenseitsglaube (Mai 2013).
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