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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Europäische Mumienforscher tagten in Kassel, 20. - 22. April 2010

Mumien gelten als Inbegriff der altägyptischen Religion und als anschauliche Zeugen für den festen Glauben an das Weiterleben nach dem Tod. Dass Mumien auch fester Bestandteil der europäischen Kultur waren, ist allgemein kaum bekannt.

Doch seit einigen Jahren gilt diesem Phänomen das wissenschaftliche Interesse, und um die Erkenntnisse darüber auszutauschen, dazu trafen sich am Wochenende vom 20. bis 22. April Forscher aus Europa zu einer Tagung in Kassel. Veranstaltet wurde das Treffen vom lokalen Naturkundemuseum und vom Museum für Sepulkralkultur.

Die Referenten kamen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Italien und Österreich, so dass sich der Reigen der vorgestellten Mumienbefunde von Sizilien über Florenz und Wien bis nach Mecklenburg-Vorpommern erstreckte. Die Referenten konnten verdeutlichen, dass seit dem Beginn der Frühen Neuzeit die Mumifizierung der Verstorbenen in gehobenen Kreisen weit verbreitet war. Donatella Lippi aus Florenz schilderte die Anstrengungen der Medici-Herzöge, ihre Toten zu bewahren, und hier mag man den Geist eines erwachenden Selbstbewusstseins in der Renaissance für die Mumifizierung verantwortlich machen. Dass sich seit dem Reformationsjahrhundert dieser Brauch auch im protestantischen Teil Deutschlands ausbreitete, wirft viele Fragen auf. Und nicht weniger war die Mumifizierung bei den Katholiken in Teilen Österreichs und Ungarns durchaus zu beobachten. Und während es den Naturwissenschaftlern gelingt, herauszufinden, was die Menschen zu Lebzeiten gegessen haben, welche Krankheiten sie hatten und woran sie gestorben sind, bleiben die Theologen, Historiker und Volkskundler noch viele Antworten nach den religiösen und geistesgeschichtlichen Hintergründen dafür schuldig. Immerhin wird soviel erkennbar, dass es sich vorrangig um ein Thema des barocken Menschen handelt.

Bei der Betrachtung von Mumien herrschen zwei extreme Reaktionen vor. Entweder gelten die unversehrten Leiber als körperliches Zeichen der Heiligkeit, worauf Waltraud Pülz aus München in ihrem Vortrag hinwies, oder als Gottes gerechte Strafe, die z.B. den berühmten Ritter Christian Friedrich von Kahlbutz († 3. November 1702) ereilte, denn er habe einen Schäfer aus Rache erschlagen, weil dessen Frau dem Ritter das "Recht der ersten Nacht" verweigert hätte. Dario Piombino-Mascali vom europäischen Mumienforschungszentrum EURAC in Bozen wusste indes bei seinem Referat über die berühmten Kapuziner-Katakomben in Palermo nicht nur davon zu berichten, dass dort die Mumifizierung bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts geübt wurde, sondern dass der für seine Fähigkeiten bekannte Einbalsamierer Alfredo Salafia seine zur Perfektion entwickelte Methode sogar nach Amerika exportierte. In den USA machte die nach ihm benannte Methode der Salafia’s embalming techniques Furore. Knapp 100 Jahre später kehrte diese Praxis als Modern Embalming oder Thanatopraxie nach Europa zurück und wird heute von vielen Bestattern wieder angeboten.

Die Tagung verfolgte neben dem wissenschaftlichen Austausch auch das Ziel, das Netzwerk der Mumienforscher enger zu knüpfen und die Zusammenarbeit mit dem German Mummy Project, einem Forschungsprojekt der Curt-Engelhorn-Stiftung für die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim zu vertiefen. Dessen Leiter, Wilfried Rosendahl, war Mitveranstalter und referierte über Leibzeichen, mumifizierte Körperteile, die in der Rechtsgeschichte Mitteleuropas eine wichtige Rolle spielten. Zusammenfassungen aller Referate werden auf der Homepage www.sepulkralmuseum.de zu lesen sein.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Porträts auf Grabmälern (Mai 2010).
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