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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Seelenheil und irdischer Besitz - Testamente als wirtschafts-, rechts- und sozialhistorische Quellen für den Umgang mit den "letzten Dingen"

Autor/in: Sylvie Tritz
Ausgabe Nr. 92, I, 2006 - Februar 2006

Vom 18. bis 20. November 2005 wurde auf einer interdisziplinären Tagung in Kloster Irsee die begrifflich weitgefasste Quellengattung der Testamente im Hinblick auf den Umgang mit "letzten Dingen" untersucht.

Organisation, Durchführung und Moderation der Tagung lagen in den Händen von Markwart Herzog (Wissenschaftlicher Bildungsreferent, Schwabenakademie Irsee) und Cecilie Hollberg (Kulturhistorisches Museum Magdeburg).

Ein einleitender Beitrag der Berliner Historikerin Linda Guzzetti über Tendenzen der europäischen Testamentsforschung trug zur Klärung der Begrifflichkeit bei. Unterschiedlichste Forschungsinteressen wurden den Testamenten bislang entgegengebracht: Die vererbten Gegenstände werden als Quelle für die materielle Kultur der Zeit untersucht, der Kreis der erbenden Personen vermittelt Einsichten in soziale Netzwerke. Auch der Vorgang des Sterbens und die damit verbundenen Rituale lassen sich auf der Basis der Testamente erhellen. In jüngerer Zeit tritt zudem der interkulturelle Vergleich stärker in den Fokus der Forschung.

Die Thematik der gesellschaftlichen Schichten wurde in der Sektion "Herrscher – Bürger – Handwerker" angesprochen; eröffnet wurde sie mit einem Beitrag des Frankfurter Kunsthistorikers Christoph Winterer über das Testament Karls des Großen. Gegenstand war das 33. Kapitel der Einhardschen Vita Caroli Magni, das als Insert die Nachlassverfügungen von 811 enthält und die Verteilung der Schätze des Herrschers zugunsten der Erben und der Armen anordnet. Winterer vertrat dabei die These, dass die Verfügung über die Zerteilung eines symbolisch hoch bedeutsamen Silbertisches mit einer Darstellung der Welt möglicherweise ebenso symbolisch und damit als Bewährungsprobe für ein herrschaftsrelevantes Verhalten der Erben zu verstehen gewesen sei. – Die Herrschaftsübergabe wurde ebenso im Vortrag der Slavistin Cornelia Soldat (Berlin) thematisiert. Im Zentrum ihrer Untersuchung stand der Moskoviter Großfürst Vasilij III. Ivanovic, der 1533 sein Testament machte, um die Macht für seinen dreijährigen Sohn Ivan IV. zu sichern. An seinem Beispiel wurde der damals begrenzte Wert eines Testamentes als durchsetzbares Rechtsinstrument deutlich: Für das Inkrafttreten der gewünschten, bis dahin nicht praktizierten herrschaftlichen Nachfolge des erstgeborenen Sohnes waren weniger das Dokument, sondern die performativen Rituale am Totenbett ausschlaggebend, die den Adel an den Wunsch des Sterbenden banden. – An ausgewählten Quellenbeispielen führte die Historikerin Susan Richter (Heidelberg) vor, wie Testamente deutscher Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit neben anderen Funktionen auch als politische, intergenerationell wirksame Erziehungsmittel zum Einsatz kamen: Neben allgemein-topischen Herrschaftsregeln wurden in diesen Dokumenten auch die individuell gewonnenen politischen Erfahrungen des Fürsten an seinen Nachfolger tradiert, um Kontinuität zu sichern und Konflikte zu vermeiden. – Der Göttinger Historiker Olivier Richard berichtete über die Regensburger Bürgertestamente des späten Mittelalters und problematisierte vor allem die interpretatorische Unterscheidung zwischen frommen und profanen Legaten. Einerseits könne der Vorgang des Testierens selbst als religiöser Akt der Rechenschaft betrachtet werden; andererseits dienten besonders reich ausgestattete fromme Stiftungen nicht nur nebenbei der Repräsentation. Statt dieser Unterscheidung plädierte der Referent für die zeitliche Dimension der Legate als Kriterium: Der Grat verliefe zwischen der Stiftung von Ewigmessen und den Vergabungen innerhalb der Familie, wo selten mehr als zwei Generationen erwähnt seien. – Cecilie Hollberg beschloss mit der Präsentation ihrer Untersuchungsergebnisse zu Testamenten deutscher Handwerker in Venedig die erste Sektion. Bei der Interpretation der spätmittelalterlichen Quellen stand die mentale wie die materielle Kultur einer sonst selten erfassten sozialen Schicht im Mittelpunkt. Aus den von einem Notar als Mitschrift erfassten, anscheinend individuell geprägten Willensbekundungen sprach ein häufig unverkrampfter Umgang mit dem eigenen Tod. Darüber hinaus wurde deutlich, wie die letztwilligen Verfügungen als soziales Kontrollorgan, aber auch als Versorgungsinstrument familiärer Gemeinschaften wirksam waren.

Die folgende Sektion mit dem Titel "Religion und Konfession" eröffnete der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Michael Pammer (Universität Linz) mit einer statistisch basierten Untersuchung über eine Serie von 2.800 Testamenten aus Oberösterreich. Die zwischen 1700 und 1820 verfassten Dokumente ließen einen Religiositätswandel erkennen: Deutlich wurde ein Nachlassen religiöser Erwägungen in alltäglichen Bereichen, das sich auch im Zusammenhang mit den politischen und administrativen Reformen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erklären ließ. – Der Hamburger Historiker Otto Danwerth lenkte den Blick auf "Letztwillige Verfügungen in den kolonialen Anden". Den Hintergrund seiner Ausführungen bildete das gewaltsame Aufeinandertreffen europäischer Jenseitsvorstellungen auf die Funeralriten aus der Zeit der Inkas. Die städtischen Eliten des eroberten Gebietes partizipierten an der Kolonialherrschaft und übernahmen daher binnen zweier Dekaden die spanischen Gepflogenheiten. Die Formelhaftigkeit der nun entstehenden Testamente birgt eine Interpretationslücke bezüglich der andinen Jenseitsvorstellungen, die der Referent durch die Konsultation anderer Quellengattungen wie etwa der Inquisitionsakten sichtbar machen und auffüllen konnte. – Im Mittelpunkt des Beitrages der Historikerin Kadri-Rutt Hahn (Göttingen) stand ein europäischer Kulturwandel: Die Revaler Testamente in den ersten Jahrzehnten nach der Reformation verzeichneten weiterhin karitative Stiftungen, obwohl diesen durch die protestantische Infragestellung der Werkgerechtigkeit der theologische Boden entzogen worden war. Hahn zeigte somit, dass Testamente zwar durchaus als Ausdruck von Mentalitäten zu interpretieren sind, dabei aber die Allmählichkeit eines Wandels durch die generationelle Vermittlungsfolge theologischer Dogmatik durchaus zu berücksichtigen ist. – Einen ähnlich graduell verlaufenden Kulturwandel betrachtete der Historiker Tomás Maly (Brno), der anhand der Messstiftungen in Brünner Testamenten aus dem 17. und 18. Jahrhundert den Konfessionswandel von der ursprünglich utraquistischen, seit den 1620er-Jahren aber katholischen Stadt untersuchte. Seine Koppelung von statistischer Analyse und sozialanthropologischem Zugang erbrachte als Ergebnis der Studie eine Korrelation zwischen dem Aufkommen der Seelenmessen und dem Fegefeuer-Glauben, wobei nur eine kleine Prozentzahl der Testamente das Fegefeuer als Movens für die Errichtung von Messstiftungen erwähnte. – Der Beitrag von Susanne Knackmuß (Berlin) steuerte ein biographisches Beispiel zur Konfessionsfrage im Spiegel der Testamente bei: Im 18. Jahrhundert hatte der protestantische Kaufmann Sigismund Streit, der einen Großteil seines Berufslebens im katholischen Venedig verbrachte, seiner Heimatstadt Berlin schon zu Lebzeiten eine großzügige Stiftung zugunsten der Schule am Grauen Kloster vermacht. Das Testament des kinderlosen Erblassers bestätigte nur noch diese Stiftung.

Die letzte Sektion unter dem Titel „Künstlertestamente und Grabmalskunst“ wurde von dem Kunsthistoriker Thomas Pöpper (Universität Leipzig) mit einem Beitrag zum Testament des Andrea Bregno eröffnet. Der 1503 in Rom verstorbene Bildhauer hinterließ neben einem Testament mehrere bislang nicht edierte Kodizille, die mit der Beschreibung zu beendender Werke und der Nennung von Werkstattmitgliedern wichtige Indizien für die schwierige Händescheidung der Künstlerwerkstatt liefern. Das von Bregno selbst in Auftrag gegebene Grabmal in S. Maria sopra Minerva spricht mit seiner langen, panegyrischen Inschrift für den Wunsch des Künstlers nach bleibendem Ruhm. – Die Kunsthistorikerin Nicole Hegener (Rom) betrachtete das Werk des Renaissancekünstlers Baccio Bandinelli unter dem Aspekt der Todesthematik. Die Konkurrenz mit Michelangelo Buonarroti war für ihn Belastung und Herausforderung zugleich und bestimmte sein jenseitsgerichtetes Handeln und Schaffen geradezu leitmotivisch: Zahlreiche Handzeichnungen zur Todesthematik, aber auch das noch zu Lebzeiten vollendete Grabmal des Künstlers künden von der angstgetriebenen, aber produktiven Beschäftigung mit den letzten Dingen. – Der Göttinger Kunsthistoriker Christian Schuffels erwies mit seinem Beitrag die Tragfähigkeit eines interdisziplinär erweiterten Quellenbegriffs: Am Beispiel des Hildesheimer Domkanonikers Bruno stand "Ein Klerikergrabmal als Testament in Stein" im Mittelpunkt. Die in drei Bildfelder geteilte, einst auf einem Sarkophag liegende Platte erinnert ikonographisch an das nicht erhaltene Testament des Verstorbenen, der sein Vermögen den Armen vermachte. Das ursprünglich in der Krypta des Hildesheimer Domes befindliche Grabmonument war in ein ausgeklügeltes liturgisches Ensemble eingebunden, so dass das Andenken an den verstorbenen Kanoniker in jedem Fall erhalten blieb. – Mit einem weiteren Vortrag zur Grabmalkunst erhellte der Historiker Wolfgang Schmid (Universität Trier) die gruppenspezifische Wirkung von Grablege und Totengedenken. Bei der Gestaltung testamentarisch verfügter oder zu Lebzeiten errichteter Grabdenkmäler für die Trierer Domkanoniker gingen ämterbezogene Repräsentation und Jenseitsfürsorge ineinander über. Typisch war dabei die Stiftung eines Grabaltars. Die an einem solchen Grabaltar stattfindenden Gebete bezogen das Seelenheil des Stifters ganz unmittelbar mit ein. Testamente, die auf einen derartigen performativen Effekt abzielten, erwiesen sich damit als nützliche Quellen auch für die Repräsentationsabsichten einer sozial hochrangigen, geschlossenen Gruppe. – Mit dem abschließenden Vortrag des Bielefelder Juristen Gerhard Otte wurde der Blick auf die derzeit bestehende rechtliche Situation in Deutschland geworfen. "Letzte und vorletzte Dinge in Testamenten heute" kämen wohl wegen der bedeutenden Rolle von Notaren bei der Gestaltung von Vermächtnissen kaum noch in Form begründender, emotionalisierender Äußerungen zum Vorschein. Die Testamente verschließen sich aber auch der immer häufiger nachgefragten Regelung eines Vorgehens im irreversiblen Krankheitsfall: Diese sei vielmehr in Patientenverfügungen niederzulegen. Die Perspektive auf die Gesamtheit der Beiträge öffnete den Blick für unterschiedlichste historische Rechtssituationen und Strukturen, verschiedene Material- und Quellenzugänge sowie wirtschaftliche Argumentationen bei der Sorge um irdischen Besitz und Seelenheil.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Religiöse Symbolik auf Grabmalen (Februar 2006).
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