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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Historische Kindergrabstätten in Ohlsdorf

Beim ergreifenden Thema "Kind und Tod" auf dem Ohlsdorfer Friedhof denkt man unwillkürlich an die drei neuen, fast fröhlichen Kindergemeinschaftsgrabstätten (Lage: T 5, M 25 und AG 39) und an den Kindergedenkplatz für nicht beerdigte Kinder (AC 4), die der Friedhof in den letzten Jahren eingerichtet hat.

Vor solchen Anlagen oder einzelnen von Blumen, Windmühlen, Stofftieren und Spielzeug überfüllten bunten Kindergräbern, wie sie in den letzten Jahren und bis nach Süddeutschland immer häufiger zu sehen sind, bleibt einem oft das Herz stehen: So zumindest ging es mir 1992, als ich zum ersten Mal Spielzeug auf einem Kindergrab entdeckte (in Bq 66 beim elfjährigen Elvis, dessen Grab heute 13 Jahren nach seinem Tod leider wüst aussieht); oder vor einiger Zeit vor dem Grab des gleichaltrigen Philipp stand, der Fußball so sehr liebte, dass fünf Fußbälle (einer davon eingeritzt auf seinem Stein, AD 45) unter vielen anderen Liebesbeweisen darauf lagen.

Kindergemeinschaftsgrabstätten sind aber nicht neu auf dem Friedhof:

Zwei liegen noch heute nebeneinander am südlichen Zaun hinter der Kapelle 12, belegt in den Jahren 1961-71 (Bf 60) und 1971-86 (Bf 61); eine andere Anlage mit wenig erhaltenen flachen Grabplatten aus den Jahren 1972-79 liegt am nördlichen Zaun westlich vom Wasserturm von 1912 (AH 24-25). Ein noch älteres Feld mit kleinen Stelen befindet sich im Linne-Teil an der Mittelallee (Bn 64), wo teilweise noch gepflegte Gräber aus den Jahren 1948 bis 1959 vorhanden sind. Alle diese Kindergrabanlagen – ob sie je voll belegt waren, steht dahin – sehen allgemein lückenhaft und eher verlassen aus. Gepflegt oder ungepflegt und gemeinsam mit den neueren Anlagen, sind die einzelnen Gräber immer wieder Zeugnis von Erinnerung, Trauerverarbeitung und In-Frage-Stellung – mit schlichten Daten und Namen, mit rührenden Kosenamen wie "Unser lieber Sonnenschein", "Bienlein", "Unsere süsse kleine Monika – Warum?", "Muttis kleiner Prinz und Papis Kasperle" (1975, Bf 61); mit Inschriften wie "Hier ruht in Gott unser liebes Peterle" oder ein Gedicht für die kleine Hannelore (1952, Bn 64)

"Dir ist wohl,
uns bleibt der Schmerz,
schlummere sanft,
Du süsses Herz"

Ein anderes Ausdrucksmittel dieses Verarbeitungsprozesses liegt in der Dekoration des Grabsteines. So entdeckt man bei den Gräbern für Babys und Kleinkinder der letzten 50 Jahre auf dem Stein selbst oft Spielzeug: Teddy, Kasperle, Pferd, Bambi, Clown oder Auto: Aber auch schon in den 30er Jahren schmücken Tiere und Märchenfiguren den Stein des achtjährigen Peter ELY (1938, W 15 – der seit Jahren als Grabmalpatenschaft angeboten wird); ein Schaukelpferd das Grab des einjährigen Rolf THIEDEMANN und ein Mädchen mit Ball das der dreijährigen Hilde SOOHR (beide in W11). Vielleicht ist auf letzterem die kleine Hilde wirklich zu erkennen, denn ein Portrait des geliebten Kindes ist ebenso eine Möglichkeit der Trauerverarbeitung und Personifizierung des Grabes, so zum Beispiel für den zwölfjährigen Horst OELSCHLÄGER (1940, Bl 52) oder den neunjährigen Hermann GOLLIN (1943, Bq 74), den geliebten kleinen Sonnenschein seiner Mutter, die dazu schreiben ließ:

"Du warst mein Liebstes,
das ich je besessen,
Du bleibst mir ewig unvergessen!"

Manche dieser Portraits stellen die Kinder mit Flügeln als Engel dar, wie bei der kleinen Edith AHRENS und bei der achtjährigen Erika WEGENER (beide von 1938, Lage Bi 53). Die einfachste Darstellung eines Engels mit Kopf und zwei Flügeln wie für die sechzehnjährige Maria-Charlotte (1941, W 15) folgt einer langen Tradition nach; dieses Motiv findet man schon auf Grabsteinen des 17. und 18. Jahrhunderts auf älteren Friedhöfen in Deutschland, England und Amerika. Manchmal zeigt ein kleiner Engel den Weg zum Himmel (Vergl. auch mit der Darstellung von E. Peiffer bei HEYE/NONNE, 1895, V 20) wie beim Grabmal MARHEINECKE, vormals Fanny STUT (1898, J 10), wo es "Ruhestätte für Großmutter, Mutter und Kind" heißt – zum Andenken an die geliebte Tochter mit Enkel, die bei der Geburt starben. Eine der ältesten Darstellungen eines Engels in Ohlsdorf, der mit zwei schlafenden Babys wegfliegt – eine kleine Porzellanminiatur nach dem Bild von Thorvaldsen "die Nacht" – findet man bei der Grabstätte SAHS (1887, T 18).

Ganz ergreifend noch das sitzende Engelkind beim Grabmal PHILIPPI (V 21) für die drei Geschwister Hermann, Carl Martin und Helene, die im Winter 1902 nacheinander mit sechs, vier und acht Jahren innerhalb von fünf Wochen starben; oder das kniende Mädchen mit Flügeln für die 1894 in Valparaiso geborene und in Wiesbaden entschlafene siebzehnjährige Elena PINI (1912, W 21).

Die ältesten Kindergräber auf dem Ohlsdorfer Friedhof sind meistens nicht oder kaum geschmückt: Trauer, Verzweiflung oder Hoffnung werden dafür mit Worten ausgedrückt, mit Sprüchen, Gedichten oder Bibelversen. So stehen z. B. die Zeilen von verzweifelten Eltern für ihr einziges Kind und unvergessliche Tochter Henny NEMBACH (1896, S 2), die nur 21 Jahre alt wurde:

"Du holdes Röslein kaum entfaltet,
Warum sankst Du so früh dahin?
Wie ist das Haus so öd, es waltet
Sein Liebling niemals mehr darin."

Besonders ergreifende Sprüche liest man unweit von unserem Museum beim Familiengrab COMMENTZ (1902, L-K 5/6), erkennbar durch einen Galvanoplastik-Engel und zahlreiche kleine schwarze, schrägliegende Platten; unter ihnen sind zweimal zwei früh gestorbene Kinder zu finden. So heißt es für den siebenjährigen vielgeliebten Sohn Willy:

"Schlumm're sanft im stillen Frieden,
Ach! Zu früh bist du geschieden"

für die achtjährige innigstgeliebte Tochter Gertrud:

"Seid getrost geliebte Eltern
Trauert nicht um mich so sehr
Denn wohin ich jetzt gekommen
Fühlt man keinen Kummer mehr"

und für ihre neunzehnjährige Cousine Martha:

"Holde Unschuld, sanfte Güte,
Stille Tugend schlummert hier;
Ach! Sie fiel in ihrer Blüte,
Uns`re Thränen folgen ihr."

Ihr Bruder Hermann starb 1918 mit 21 im Lazarett Saarbrücken, auf seiner Platte stehen nur die in dem Kontext schwerwiegenden Worte:

"Ruhe sanft in Gottes Frieden"...

In einer anderen Ecke an der Talstraße ist bei Familie HARTMANN (1913, AD 6) für das neunjährige Kind folgende Inschrift zu lesen:

"Unser lieber Sohn und Bruder Alfons ist bei Gott".
"O klagt nicht, dass ich in der Jugendblüte starb,
des Lebens Schicksal bleibt mir so erspart."

Und gegenüber aus der selben Zeit spricht auch der zwölfjährige Heinrich THIEDE (1913, AD 6) selber seine Eltern an:

"Vater, Mutter, tröstet Euch,
Ich bin jetzt im Himmelreich".

Auch ein Trost für die Eltern (HAHN, 1926, Bl 63) möge diese Inschrift aus den 20er Jahren gewesen sein, die einen träumenden Engel in Wolken á la Raffael begleitet:

"Hier schläft in Gottes Frieden unser einziges Goldkind Lotti
1920-1926
Dem Englein rein und zart ward Erdenleid erspart".

Sei es durch die mangelnde Hygiene der Zeit oder aus anderen Gründen, die harte Prüfung spart auch berühmte Hamburger Familien nicht aus, selbst nicht den ersten Friedhofsdirektor Wilhelm Cordes: auf seiner Grabstätte liegt links von seiner eigenen Grabplatte eine andere mit dem begleitenden Spruch "Aus Gottes Hand in Gottes Hand" für die kleine nur einige Monate alt gewordene Veronika. Für den Senator Heinrich TRAUN entwarf Cordes 1908/09 eine große Familiengrabstätte in hervorragenden Lage (AC 18): auch da liegt für den sechsjährigen 1872 verstorbenen Hans Friedrich eine barockumrandete Bronzeplatte mit Veilchen und Schmetterlingen (das letzte Symbol gilt oft für die Seele). Bei der Familie MÖNCKEBERG (1885, Z10/AA 10), die einen Senator und einen Bürgermeister hervorbrachte, findet man ebenfalls zwei Kindergrabplatten; eine für die kleine Olga Helene, die nur einen Monat alt wurde, die andere für die vierzehnjährige Hedwig Mary mit dem Bibelvers:

"Ich habe dich je und je geliebet,
darum habe Ich dich zu Mir gezogen
aus lauter Güte. Jer. 31,3"

der wie bei Cordes den Trost durch christlichen Glauben ausspricht. Dieselbe Hoffnung kann außerdem bildlich dargestellt werden, wie bei der Grabstätte HÜNLINGHOF an der Waldstrasse (1908, S 23), wo der Vater sich von seinem sechzehnjährigen Sohn Hans trennen muss, den ein Engel mit fröhlichem und glorreichem Himmelshintergrund zu sich reißt; oder der Grabstätte der Familie NEUWERK/BRANDES (1921, K 23), die im Winter 1919 zwei kleine Kinder nacheinander verlor: da bückt sich ein nacktes Engelein mit Siegespalme nach einem entschlafenen, ebenfalls nackten Kind mit Mohnkapseln und Trompete in den Händen; die entzückende bildliche Darstellung wird noch durch den Spruch "Für uns zu früh, doch Gottes Wille" unterstrichen.

Wohlhabende Hamburger hatten die Möglichkeit, bekannten Künstlern einen Auftrag zu erteilen. So schuf der Bildhauer Engelbert Peiffer für die Familie BONNE/REYE (1895, V 22) ein reizendes betendes Mädchen bei seiner sitzenden Mutter, die einen Kranz hält und sich an ein Kreuz lehnt (reiner Zufall? eine kleine in Mexiko geborene Elena Ida Bonne starb 1873 sechsjährig in Düsternbrook...); so Ernst Barlach für den Sohn seiner Freunde die bedeutende Grabstätte MOELLER/JARKE (1900, U 23/V 25); und so auch Richard Luksch für Franziska das Grabmal JAHNS (1908, AG 24).

Der Bildhauer Franz Dorrenbach schuf für die Familie RIECK (1923, AD 18) aus weißem Marmor eine der entzückendsten Skulpturen zu dem Thema - 1892 hatten die Eltern Max und Elisabeth einen kleinen Max verloren – umsonst versucht die Mutter, durch ihren Lebenshauch ihr Kind zu retten; das Werk wird von dem Bibelspruch "Alle/ Eure Dinge/ lasset in der/ Liebe geschehen/ 1. Cor. 16.14" begleitet.

Von Professor Arthur Bock können hier drei Kindergrabmale erwähnt werden: AHLSEN (1925, AC 12) mit einem Engel, der den kleinen siebenjährigen Harald zu sich nimmt; SAUERBERG (1932, AE 12), wo die knieende Mutter ihren Sohn Hans-Jürgen fest an sich drückt; oder HAUCH (1936, Y 16) für den achtjährigen Eberhard, knieend mit einem Wunderhorn auf dem Rücken dargestellt und mit folgendem Gedicht:

"Dein Leben war wie ein Frühlingstraum
Ein flüchtig Kommen und Gehen,
Ein strahlend glücklich Umsichschaun
Und wieder zum Himmel Verwehen".

Tote Kinder werden manchmal sehr realistisch dargestellt: grausam geschleppt ("Das Schicksal" von Hugo Lederer, 1905, AH 18); gerade hinfallend, wie der sterbende Jüngling bei dem niederländischen Ehrenfriedhof (Bp 73); entschlafen (Grabstätte ZENNING/ DEUSSEN von Ludolf Albrecht, 1912/13, AD 18); oder zärtlich geküsst wie beim Grabmal BURCHHARDT von Roland Engelhard (1929/30, Z 25).

Auch für die umgekehrte Lage – wenn Kinder den Tod von Angehörigen oder Nahestehenden erleben müssen – bietet der Ohlsdorfer Friedhof etliche kunsthistorisch wertvolle Beispiele, wie bei folgenden Grabstätten: GAISER (1894, Z 19), wo ein Mädchen und ein Junge mit Blumen und Kränzen um den "Wohltäter der ärmeren Kinderwelt" trauern; HELL (1885/96, AA 10) mit einem Mädchen und seiner Mutter, die den Großvater beweinen; oder JOHNE (1931, Y 7), wo zwei Kinderbüsten die 22jährige Elfriede umrahmen, die mit geschlossenen Augen ihre Hände auf deren Schultern legt.

Zwei Schicksalsdramen könnten zuletzt hier erwähnt werden, die auf die besondere Lage der Stadt Hamburg hinweisen. Es gab bei der Kapelle 9 eine Breitstele mit bronzenem Kreuz für sieben Schulkinder der Volkschule Schleidenstraße, die 1921 auf einem Schulausflug im Alter von 11 bis 13 Jahren bei einem Schiffsunglück auf der Elbe starben; das Grabmal besteht nicht mehr.

Fünf kleine Grabplatten an der südöstlichen Ecke der Anlage Bq 62 erinnern uns an ein anderes Drama, das nicht so entfernt ist: Bis auf den Vater mit dem jüngsten Kind ertrank eine ganze Familie – Holger, Rüdiger, Christa, Angelika und Brigitte BENNEWITZ – zusammen mit 300 anderen Opfern bei der Sturmflut von 1962.

Hier endet dieser Rundgang durch den Ohlsdorfer Friedhof bei einem Thema, das jeden heute wie damals betroffen macht.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Kind und Tod (August 2001).
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