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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Zur Geschichte von Feuerbestattung und Krematoriumsbau in Wien

Anmerkung der Redaktion:

Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Aufsatz "Zur Geschichte von Feuerbestattung und Krematoriumsbau mit besonderem Hinblick auf Wien und Österreich", erschienen in: Urne wie Sarg? Zur Unterscheidung zwischen Erd- und Feuerbestattung. Hrsg.: Ewald Volgger/Florian Wegscheider, Regensburg 2018 (dort auch Literaturnachweise)

In Österreich führte die Feuerbestattung erst relativ spät, nämlich nach dem Ersten Weltkrieg, zu einem Krematoriumsbau. Dies hing mit dem Einfluss und der Macht der katholischen Kirche zusammen. Dennoch wurde über das Thema auch in Österreich bereits im späten 19. Jahrhundert diskutiert. Als in Dresden die Probeverbrennung eines toten Tieres durchgeführt wurde, nahmen daran auch der Wiener Stadtphysikus und ein Beamter des Wiener Bauamtes teil und berichteten positiv darüber. Dennoch wurde im März 1875 die Einführung der fakultativen Feuerbestattung vom Wiener Gemeinderat abgelehnt. Der Widerstand von Kirche und Obrigkeit verhinderten einen ins Spiel gebrachten Krematoriumsbau auf dem Zentralfriedhof. Immerhin konnte zu dieser Zeit in der Wiener Verkaufsfiliale von Siemens am Opernring das Modell eines Leicheneinäscherungsofens besichtigt werden.

Etwa zur gleichen Zeit kam es in Wien zu Vereinsgründungen von Feuerbestattungsbefürwortern und es etablierte sich sehr rasch eine vorwiegend gegen die christliche Weltanschauung gerichtete Bewegung. Die Gegner der Erdbestattung wiesen vor allem auf den Verbrauch kostbaren städtischen Bodens, auf die Dogmen der öffentlichen Gesundheitslehre sowie auf die unnötigen Kosten der herkömmlichen Bestattungsform hin. Getragen wurde die österreichische Feuerbestattungsbewegung in erster Linie von der Arbeiterschaft. Im Jahr 1885 wurde in Wien von den "Freunden der Feuerbestattung" der Verein "Die Flamme" gegründet, der in den 1920er Jahren als reiner Arbeiter-Feuerbestattungsverein weitergeführt wurde.

Krematorium
Krematorium Wien. Foto: Norbert Fischer

Die christlichen Kirchen, vor allem aber die katholische, waren im späten 19. Jahrhundert zum Hauptgegner der Feuerbestattung geworden. Nicht zu Unrecht gingen sie davon aus, dass mit der Einäscherung eine mechanistisch-materialistische Vorstellung vom Körper verbunden war, derzufolge er als bloße Zusammensetzung einzelner Teile galt. Ihrem Standpunkt zu Folge widersprach die Feuerbestattung der Lehre von der leiblichen Auferstehung. Nicht zuletzt brach die Feuerbestattung aus kirchlicher Sicht schon deswegen mit der christlichen Tradition, weil diese nur das Erdgrab kannte und liturgisch auch voraussetzte. Während einzelne protestantische Landeskirchen ihre Haltung allmählich liberalisierten, erließ die katholische Kirche 1886 ein Verbot der Feuerbestattung, das bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil bestehen blieb. Das Heilige Offizium untersagte die Teilnahme von Kirchendienern an einer Feuerbestattung ebenso wie das Spenden von Sterbesakramenten für eine Person, die eine Feuerbestattung wünschte oder auch nur Mitglied in einem Feuerbestattungsverein war.

Gleichwohl ließ sich die Bewegung nicht aufhalten: Am 27. September 1886 wurde im thüringischen Gotha ein Dachverband unter dem Namen "Verband der Vereine für Reform des Bestattungswesens und fakultative Feuerbestattung" gegründet. Diesem Dachverband, der sich 1896 in "Verband der Feuerbestattungsvereine Deutscher Sprache" umbenannte, gehörten auch Vereinigungen aus Österreich und der deutschsprachigen Schweiz an. Er hielt regelmäßige Verbandstage ab – manchmal kombiniert mit Ausstellungen, die die technischen Fortschritte der Feuerbestattung präsentierten. Ab 1906 wurden auch Provinzial- bzw. Landesverbände gegründet. Zum Organ des Feuerbestattungsverbandes wurde die in Wien erscheinende Zeitschrift "Phoenix".

Urnenfriedhof
Blick in den Urnenfriedhof. Foto: Norbert Fischer

Eine der bekanntesten Österreicherinnen der Epoche vor dem Ersten Weltkrieg, die Pazifistin und Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner, war Anhängerin der Feuerbestattung und Mitglied im österreichischen Verein "Die Flamme". Sie förderte den Bau des ersten deutschen Krematoriums in Gotha und verfügte testamentarisch, dass ihr Leichnam nach ihrem Tod nach Gotha überführt und dort verbrannt werden sollte. Alternativen in Österreich gab es noch nicht, als sie am 21. Juni 1914 in Wien verstarb. So ist die Urne mit ihrer Asche bis heute in der Urnenhalle des Gothaer Krematoriums aufgestellt.

In Wien wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg, am 7. Oktober 1921, die Genehmigung zum Bau eines Krematoriums auf dem Gelände zwischen dem Zentralfriedhof und Schloss Neugebäude erteilt. Bis zu dem Zeitpunkt mussten Tote aus Österreich, wollte man sie einäschern, in andere Krematorien nach Zittau oder später nach Reichenberg gebracht werden, was viel Zeitaufwand und Umstände bedeutete.

Im Mai 1922 erfolgte auf der Fläche gegenüber des Zentralfriedhofs der Spatenstich für das von dem Architekten Clemens Holzmeister entworfene Krematorium. Es wurde am 17. Dezember 1922 eröffnet, die erste Verbrennung fand Anfang des Folgejahres statt. Das architektonisch vieldeutige Gebäude soll mit seinen Türmen und Zinnen an das nahe gelegene Schloss Neugebäude erinnern. Die erste Verbrennung fand am 17. Januar 1923 statt. Clemens Holzmeister war 1919 an die Staatsgewerbeschule in Innsbruck berufen worden. Durch den Krematoriumsbau wurde er bekannt, und er erhielt 1924 eine Professur an der Wiener Akademie der bildenden Künste. Das von einer Aschenbeisetzungsanlage umgebene Krematorium steht inzwischen unter Denkmalschutz.

Vor der Eröffnung des Krematoriums war es noch zu einer rechtlichen Auseinandersetzung auf höchster Ebene gekommen. Der zuständige christlichsoziale Minister für soziale Verwaltung, Richard Schmitz, hatte am Tag zuvor den Betrieb des Krematoriums verboten. Als Folge wurde der Wiener Bürgermeister Jakob Reumann beim Verfassungsgerichtshof angeklagt, der jedoch für die Stadt Wien entschied. Es war ein Sieg des sozialdemokratisch-reformorientierten "Roten Wiens" über den klerikal-konservativen österreichischen Staat.

Arkadengang
Arkadengang mit Urnen. Foto: Norbert Fischer

Gleichwohl stieß die neue Bestattungsart weiterhin auf zähen obrigkeitlichen Widerstand. Nach dem Konflikt in Wien kam es in weiterer Folge noch zwei Mal zu einer Beschwerde der Bundesregierung beim Verfassungsgerichtshof, die jedoch beide Male abgewiesen wurde. Während in Österreich staatlicherseits am 15. Mai 1934 die Feuerbestattung der Erdbestattung gleichgestellt wurde, berief sich die Kirche weiterhin auf die oben erwähnte Entscheidung des Heiligen Offiziums aus dem Jahr 1886.

Gedenkstätte
Gedenkstätte für die Pioniere des Krematoriums. Foto: Norbert Fischer

In den 1960er Jahren kam es im Vatikan zu einem Gesinnungswandel. Obwohl, vor allem nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, die Entscheidung für die Feuerbestattung kaum mehr als Argument gegen ein kirchliches Dogma betrachtet wurde, beharrte die römisch-katholische Kirche dennoch auf dem im Jahr 1886 eingenommenen Standpunkt. Im Auftrag und im Namen des Internationalen Verbandes für Feuerbestattung wurde von Franz Michelfeit aus Wien in November 1961 eine Eingabe an Papst Johannes XXIII. gerichtet, in der um Aufhebung des Verbotes der Feuerbestattung ersucht wurde. Am 5. Juli 1963 räumte schließlich das Heilige Offizium den Katholiken die Wahl dieser Bestattungsart prinzipiell ein. Diese zunächst an die Bischöfe ergangene geheime Weisung wurde am 24. Oktober 1964 durch die Veröffentlichung im Amtsblatt, den Acta Apostolicae Sedis, als offizielle Zustimmung zur Feuerbestattung bekanntgegeben. Im Jahr darauf wurden von der Erzdiözese Wien jene Vorschriften bekanntgegeben, die bei einer Einsegnung anlässlich einer Feuerbestattung zu beachten waren. Derzeit gibt es in Österreich 14 Krematorien.

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