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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Das Feuerbestattungsregister – eine interessante Lektüre?

Das Feuerbestattungsregister des Krematoriums – das klingt nach Bürokratie und deutscher Gründlichkeit, also eher eine trockene Angelegenheit.

Es ist aber auf Grund seiner Vollständigkeit eine recht ergiebige Quelle, denn vom Tag der Inbetriebnahme an wurde jede Einäscherung hier verzeichnet. Es lässt sich manches über die Entwicklung der Feuerbestattung daraus ablesen, und man stößt auch auf Hinweise zu einzelnen Persönlichkeiten.

Eingetragen wurden die Angaben zur Person, also 'Name', 'Geburtsjahr und Tag', 'Todestag', 'Stand oder Geschäft' – dazu würde man heute eher Beruf sagen, 'Letzte Wohnung' und 'Confession'. Zwei weitere Spalten sind dann noch für betriebsinterne Angaben vorgesehen: 'Nummer des Sarges' und 'Tag und Stunde der Bestattung'. Die letzte Spalte 'Bemerkunge'‘ kann verschiedene Angaben enthalten, unter anderem die Bemerkung'‚von auswärts', was besonders von Interesse ist, wenn es um die Frage geht, woher die Toten kamen.

Wie Norbert Fischer in seinem Beitrag ausführt, war das zunächst ein Streitpunkt zwischen dem Senat auf der einen Seite und Bürgerschaft und Feuerbestattungsverein auf der anderen Seite, der dazu führte, dass das Krematorium zwar am 22. August 1891 eingeweiht wurde, aber erst am 17. November 1892 den Betrieb aufnehmen konnte. Anders als die Bürgerschaft machte der Senat zur Bedingung, dass das Krematorium "ausschließlich für die Feuerbestattung von Leichen aus der hamburgischen Bevölkerung" bestimmt sein sollte. Begründet wurde dies vor allem damit, dass es nicht erwünscht sei, "die nach Ohlsdorf führenden Straßen mit mehr Leichenzügen, als ohnehin unvermeidlich, zu belasten, zumal deren Zunahme, so lange die Feuerbestattung in den Nachbarstaaten nicht gestattet sei, wie für den allgemeinen Verkehr, so auch auf den Bahnhöfen eine sehr störende werden könnte."
Man fürchtete also den 'Leichentourismus'. Um dieses Argument entkräften zu können, erkundigte sich der Hamburger Feuerbestattungsverein in Gotha, wo am 14. Dezember 1878 das erste Krematorium in Deutschland eröffnet worden war. Dort waren "bis Mitte März 1892, also in einem Zeitraum von13 Jahren und drei Monaten, insgesamt nur 1038 Leichen zur Verbrennung gelangt, mithin durchschnittlich im Monat sechs bis sieben Leichen. Von diesen entfielen 296 Leichen auf die Stadt Gotha; von auswärts kamen 742 Leichen, also im Monat kaum fünf Leichen." Dass es zu einer nennenswerten Zunahme des Verkehrs kommen würde, war also eher unwahrscheinlich.

Wie entwickelte sich das nun im Ohlsdorfer Krematorium? Hier zeigt eine Auswertung der ersten Jahre eine etwas höhere Inanspruchnahme. Ende 1902, also nach 10 Jahren Betrieb, waren bereits insgesamt 1014 Leichen eingeäschert worden, darunter 561 "auswärtige Leichen", immerhin etwas mehr als 55 %. Würde man die heutigen Grenzen Hamburgs zugrunde legen und Wandsbek, Altona und Harburg dazurechnen, wären es nur knapp 51 %. Dabei kam ein erheblicher Anteil der Auswärtigen aus Preußen. Allein aus dem Bereich des heutigen Berlin waren es 279 Tote.

Das war ein weiterer Punkt, der dem Senat Sorgen bereitet hatte. Man hatte die Zulassung der auswärtigen Leichen auch mit dem Argument abgelehnt, man dürfe "aus nachbarlichem Takte" "die Rücksicht auf die Nachbarstaaten nicht außer acht" lassen. Mit 'Nachbarstaaten' war vor allem Preußen gemeint, dass man nicht verärgern wollte. Dort wurde die Feuerbestattung erst 1911 offiziell erlaubt. Allerdings gab es keine Einschränkungen, wenn man die Toten zur Einäscherung nach Gotha oder Hamburg überführen wollte. Sehr nett ist dazu der Kommentar der Befürworter der Feuerbestattung, dann hätte es Gotha – und auch Heidelberg, wo das Krematorium 1891 den Betrieb aufnahm – "an dem erforderlichen Takte fehlen lassen." Es sei aber nicht bekannt, dass dies "jemals zu einer Trübung der zwischen Preußen und Coburg-Gotha bestehenden Beziehungen Anlaß gegeben hätte."

Dass der Senat endlich im November 1892 einlenkte und seine Einwände gegen die "auswärtigen Leichen" zurückzog, hing sicher auch mit den Ereignissen im Sommer des Jahres zusammen, als Hamburg von der Cholera-Epidemie heimgesucht wurde, der nach offiziellen Angaben 8605 Menschen zum Opfer fielen. Damals wurden die Stimmen immer lauter, dass die Einäscherung eine hygienische Methode wäre, Epidemien in Grenzen zu halten, weil dabei auch die Krankheitserreger vernichtet würden. Am 17. November 1892 trat das neue Gesetz endlich in Kraft und bereits am 19. November fand die erste Einäscherung statt.

Der erste Feuerbestattete war der im Alter von 55 Jahren am 14. November verstorbene Kaufmann Johann Carl David Duckwitz. Die Altonaer Nachrichten berichteten am folgenden Tag über die Trauerfeier, bei der Pastor Cropp die Trauerrede hielt. Er betonte die große Bedeutung des Tages für die weitere Entwicklung der Feuerbestattung. Zur Person des Verstorbenen bemerkte er, dieser habe die Leichenverbrennung in Cincinnati kennengelernt und mit seiner Frau beschlossen, man wolle nur auf diese Weise bestattet werden. Der Artikel schließt mit dem Satz: "Der Ofen functionierte vortrefflich und entsprach allen an ihn gestellten Erwartungen."

Nachdem es 1892 nur noch eine weitere Bestattung gegeben hatte, waren es 48 im Jahr 1893, darunter Salomon Heymann aus Köln, 74 Jahre alt, der am 11. April eingeäschert wurde. Seine Urne wurde im Fach 62 des zum Krematorium gehörenden Kolumbariums aufgestellt. Sie wurde bei der Räumung des alten Krematoriums nach 1933 zunächst eingelagert und kann heute im Friedhofsmuseum besichtigt werden. An Salomon Heymann ist der Umstand bemerkenswert, dass er Jude war, denn die Feuerbestattung widerspricht völlig den traditionellen jüdischen Vorschriften, nach denen nur die Körperbestattung zulässig ist.

Urne
Die Urne des Salomon Heymann im Museum Friedhof Ohlsdorf. Foto: P. Schulze

Eine genauere Betrachtung der Religionszugehörigkeit führt tatsächlich zu dem Ergebnis, dass der jüdische Anteil an den Einäscherungen mit 12,3 % deutlich über dem jüdischen Bevölkerungsdurchschnitt – in Hamburg zwischen 2,5 und 3 % – lag. Evangelisch-lutherisch waren 76,5 %, katholisch 3 % der Eingeäscherten – auch das durchaus bemerkenswert, da die Katholische Kirche die Feuerbestattung damals noch strikt ablehnte. Knapp 4 % gehörten kleineren christlichen Religionsgemeinschaften an, und etwa ebenso viele waren konfessionslos oder es fehlen entsprechende Angaben. Sogar zwei japanische Buddhisten sind im Register zu finden, ein Kapitän zur See, der in Berlin verstorben war und ein Bankdirektor, verstorben in Haag in Holland.

Hier lässt sich die Frage anknüpfen, wer sich damals überhaupt für die Einäscherung entschied. Allgemein wird hier vom 'aufgeklärten Bürgertum' gesprochen. Ein Bankdirektor passt natürlich in diese 'Schublade', aber Kartonagenarbeiter, Steinmetzgehilfe, Klempner, Verkäuferin, Näherin oder ein Arbeiter mit Wohnung am Pferdemarkt? Zwar sind Kaufleute und vergleichbare Berufe deutlich in der Mehrzahl, aber es gab offenbar doch so manche Ausnahme.

Zum Abschluss jeden Jahres enthält das Register eine Summenzeile mit der Anzahl der Einäscherungen, wobei die Zahl der "Leichen von Auswärts" separat angegeben ist. 1905 und 1906 waren es über 68 %. Mit der Zulassung der Feuerbestattung in Preußen 1912 gingen die Zahlen dann deutlich zurück. Da in der Folge immer mehr Krematorien errichtet wurden, waren es 1919 nur noch 15 %, und man verzichtete nun auf die Differenzierung.

Eine andere Angabe wurde schon früher aufgegeben. Von 1893 bis 1896 hatte man die Zahl der Selbstmörder explizit in der Summenzeile genannt – 1893 waren es immerhin sechs Fälle. Man kann darüber spekulieren, ob hier noch mittelalterliche Vorstellungen hineinspielten, nach denen Selbstmördern ein christliches Begräbnis verweigert wurde. Zu einem der Fälle teilte das Berliner Tageblatt vom 31. März mit: "Gottlieb Noodt, ein bekannter Wechselmakler, erschoß sich heute Nachmittag im Anstandsort der Hamburger Börse. Die Beweggründe zur That sind unbekannt." Hier darf man wohl geschäftliche Probleme vermuten. Den 'Anstandort' kennt man heute eher als WC.

Eine "Schwäche" hat das Bestattungsregister allerdings, denn es fehlen in vielen Fällen Angaben zum Verbleib der Urne. Es gab dafür noch keine gesetzliche Regelung, und man machte zunächst nur dann Angaben, wenn die Urne in Hamburg offiziell bestattet wurde, entweder noch auf einem der alten Friedhöfe oder in Ohlsdorf, also im Kolumbarium des Krematoriums, im zugehörigen Urnenhain oder auf dem Friedhof. Ob die Urne in den anderen Fällen der Familie ausgehändigt oder nach auswärts verschickt wurde, ist nicht zu erkennen. Wie Eduard Brackenhoeft, der Vorsitzende des Feuerbestattungsvereins schildert, blieb das Krematorium in gar nicht so wenigen Fällen sogar auf den Urnen "sitzen". Teilweise konnte man keine Hinterbliebenen ausfindig machen. Es kam aber auch vor, dass sich diese "positiv weigerten, sie in Empfang zu nehmen". Wie man mit diesen Fällen umging, verrät das Register leider nicht.

Abschließend sei hier noch ein Paragraph des 'Gesetzes, betreffend das Feuerbestattungswesen in Hamburg' zitiert: "§ 8. Die Leiche darf dem Feuer nur im Sarge aus Holz oder Zink übergeben werden." Zinksärge wurden also nicht nur für den Transport verwendet, wie es gängigen Vorstellungen entspricht, sondern auch mit verbrannt. Das kam nicht nur bei den "auswärtigen Leichen" vor, sondern auch bei Hamburgern, vielleicht weil man Zinksärge repräsentativer fand als Holzsärge – siehe den Zinksarg in Ohlsdorfer Friedhofsmuseum. Dann ist wohl auch so manches prächtige Stück in den Ofen gewandert.

Insgesamt lässt sich nach diesem Exkurs die eingangs gestellte Frage, ob das Feuerbestattungsregister eine interessante Lektüre ist, wohl mit gutem Gewissen bejahen.

Quelle: Das Crematorium und der Urnen-Friedhof in Hamburg. Entstehung, Einrichtungen und Betriebsvorschriften – Dargestellt von Rechtsanwalt Dr. jur. Ed. Brackenhoeft, Vorsitzender der Verwaltung des Crematoriums und des Vereins für Feuerbestattung in Hamburg. 2. Auflage, Hamburg 1907

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