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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Exhumierungen und Identifizierungen von Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg

Teil 1 Einleitung – Prinzipielles

Exhumierungen regelrechter Bestattungen auf rezenten Friedhöfen scheinen zunächst keine besondere Herausforderung darzustellen, da als gesichert gilt, welche Person in dem entsprechenden Grab bestattet ist. Allerdings zeigte sich, dass Mehrfachbelegungen auf eng begrenztem Raum (z.B. Familiengräber) eine Zuordnung der Knochen einzelner Bestattungen erschweren kann. Insbesondere für eine nachfolgende DNA-Analyse ist eine sorgfältige Freilegung der Skelettelemente zwingend erforderlich. Eine versehentliche Probenentnahme eines Individuums in unmittelbarer Nähe der zu untersuchenden Person oder von nicht erkannten Streufunden älterer Bestattungen, kann das Ergebnis verfälschen. In Fällen mit längerer Liegezeit sollte die Exhumierung daher mit speziellem forensisch-anthropologischem Sachverstand durchführt werden (Schmidt & Vock 1986, Alt et al. 2013, Jopp et al. 2014, Jopp & Krebs im Druck).

Der Erhaltungszustand, insbesondere von skelettierten Überresten aus dem Zweiten Weltkrieg, also mit Liegezeiten von etwa 70 Jahren, ist unterschiedlich gut. Dabei spielt die Bodenbeschaffenheit der verschiedenen Friedhöfe eine Rolle, jedoch ist die "Vorgeschichte" der Bestatteten meist von größerer Bedeutung. Hier sind vor allem die Todesumstände, z.B. Flugzeugabsturz mit starken Verletzungen und Verbrennungen der Leichen, die Liegezeit bis zur Bergung und ersten Beisetzung (Verwesungsprozesse und Tierfraß) sowie die sekundäre Bestattung/Umbettung auf andere Friedhöfe und nicht zuletzt die verwendeten "Bestattungsmaterialien" (Gebeinkiste oder Leichensack) von Bedeutung.

Bei den Umbettungen, zumeist in den 1950er Jahren, wurde sicher sorgfältig gearbeitet, jedoch zeigt sich gelegentlich, dass die Überreste zum Teil stark fragmentiert sein können und in den einzelnen Gräbern Skelettelemente von mehreren Personen liegen. Dies kann bedeuten, dass der Erhaltungszustand der Leichen bei der Erstbestattung so schlecht war, dass es teilweise zur Durchmischung der Überreste durch eine Mehrfachbelegung der Grabstelle kam, oder dass die Überreste erst bei der Umbettung vermischt wurden und die Knochen beschädigt wurden (Bergungsartefakte). Zudem führt eine Umbettung der Überreste in Gebeinkisten bzw. in Leichensäcken zu sehr unterschiedlichen Erhaltungszuständen der Knochen. Während die Knochen aus den Kisten noch relativ gut erhalten sind, zeigen sich die Gebeine aus den Säcken in einem sehr viel schlechteren Zustand.

DNA Analysen

DNA Analysen von Bestatteten aus Erdgräbern mit längeren Liegezeiten sind oftmals mit Schwierigkeiten verbunden (Seo et al. 2013, Sutlovic et al. 2008), auch wenn es mittlerweile zunehmend gelingt, auch kleinste DNA-Mengen reproduzierbar zu analysieren (Schmerer et al. 2000, Balding 2013). Seit Mitte der 1980er Jahre wird aus Körpergewebe mit langer Liegezeit sogenannte "ancient DNA" (aDNA) gewonnen und erfolgreich analysiert. Es gelang noch nach Jahrzehnten, Jahrhunderten und sogar Jahrtausenden die sterblichen Überreste erfolgreich zu exhumieren und deren DNA zu analysieren (Bacher et al. 1990, Lassen 1998, Hummel et al. 1999). Beispiele hierfür sind die Untersuchungen von Knochen aus der Bronzezeit (Schultes et al 2000) und dem Mittelalter (Harder et al. 2012), von Mumiengeweben aus dem alten Ägypten (Hawass et al. 2010) und von nicht fossilisierten Neandertaler-Knochen (Briggs et al. 2009).

Im Fokus stand bei diesen Untersuchungen die Fragestellung nach verwandtschaftlichen Beziehungen in einem Grabzusammenhang oder auf ganzen Friedhöfen, die für die Fachbereiche der Anthropologie, Ur- und Frühgeschichte und Archäologie von besonderem Interesse ist. Besonderes Augenmerk liegt bei solchen Untersuchungen auf der Gesamtheit aller Funde und weniger auf dem Individuum. Im forensischen Umfeld ist dies in der Regel umgekehrt, da es sich hier zumeist um Einzelfunde handelt.

Rechtliche Voraussetzungen

Außerhalb der Strafprozessordnung (§87 Abs. 3 StPO) besteht für die Exhumierung keine bundeseinheitliche Regelung. Die Bedingungen sind auf Länderebene in den Friedhofs- und Bestattungsgesetzen geregelt. Eine staatsanwaltschaftlich oder gerichtlich angeordnete Exhumierung ist hiervon ausgenommen. Diese ist zwingend erforderlich, wenn sich nach der Beisetzung der Verdacht auf eine fremdverschuldete nichtnatürliche Todesursache ergibt (§87 Abs. 4 Satz 1 StPO).

Rechtsvorschrift der Exhumierung

§ 87 Abs. 3 StPO: "Zur Besichtigung oder Öffnung einer schon beerdigten Leiche ist ihre Ausgrabung statthaft."

§ 87 Abs. 4 Satz 1 StPO: "Die Leichenöffnung und die Ausgrabung einer beerdigten Leiche werden vom Richter angeordnet. Die Staatsanwaltschaft ist zu dieser Anordnung befugt, wenn der Untersuchungserfolg durch Verzögerung gefährdet würde. Wird die Ausgrabung angeordnet, so ist zugleich die Benachrichtigung eines Angehörigen des Toten anzuordnen, wenn der Angehörige ohne besondere Schwierigkeiten ermittelt werden kann und der Untersuchungszweck durch die Benachrichtigung nicht gefährdet wird."

Die nachfolgenden Fälle exhumierter Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg mit Liegezeiten von bis zu 69 Jahren (nach 1944) veranschaulichen die Möglichkeiten und Grenzen der Identifizierung mittels molekulargenetischer Analysen insbesondere im Hinblick auf den Erhaltungszustand der DNA sowie das zur Verfügung stehende Vergleichsmaterial.

Durchführung einer Exhumierung

Die Enterdigung der italienischen Militärinternierten (IMIS) fand auf dem Friedhof Hamburg-Öjendorf statt. Es standen genetische Vergleichsprofile von nahestehenden Verwandten für einen Abgleich zur Verfügung.

Zunächst erfolgte ein maschineller Aushub der Gräber bis auf etwa 10 cm oberhalb der eigentlichen Grablegen. Die Tiefen der Grablegen waren dem Friedhofspersonal bekannt. Anschließend wurden die Bestatteten per Hand mit Kelle und Pinsel entsprechend der stratigrafischen Methode freigelegt, das heißt der Inhalt der Grabgrube wurde sukzessive Schicht um Schicht abgetragen. Da es sich um Sekundärbestattungen handelte, war eine Freilegung nach anatomisch korrekter Lage – also vom Schädel in Richtung der unteren Extremitäten – nicht erforderlich. Eine Orientierung erfolgte über die Position der Gebeinkisten. Die einzelnen Arbeitsschritte der Ausgrabungen wurden fotografisch dokumentiert. Um eine Kontamination des späteren Probenmaterials zu verhindern, erfolgte die Freilegung unter Vollschutz, also mit dem Tragen von Handschuhen, Mundschutz und Haube (Abb. 1). Je nach Fragestellung der sich anschließenden DNA-Analyse, wurden ausgewählte Knochen in beschrifteten Papiertüten asserviert. In der Regel erfolgten die forensisch-molekulargenetischen Untersuchungen an Proben aus verschiedenen Langknochen.

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Abb. 1 Bergung von Knochen mit Vollschutz. Foto: K. Püschel

Falldarstellungen – Exhumierung Hamburg-Öjendorf – Gräber unbekannter italienischer Kriegsgefangener aus dem 2. Weltkrieg – Leichenliegezeit 68 Jahre (1945)

Italienische Zwangsarbeiter in Deutschland

Nach dem Sturz Mussolinis und dem Ausscheiden Italiens aus dem Bündnis mit Hitler-Deutschland, im Juli 1943, entwaffneten Wehrmacht und Waffen-SS zahlreiche italienische Divisionen. Der Gefangennahme konnten nur diejenigen italienischen Soldaten entgehen, die sich bereit erklärten, auf deutscher Seite weiterzukämpfen. Die meisten verweigerten dies und wurden daraufhin nach Deutschland transportiert, wo sie als sogenannte "italienische Militärinternierte" (IMIS) zu Zwangsarbeitern erklärt wurden. Dies geschah unter Umgehung des ihnen nach der Genfer Konvention zustehenden Kriegsgefangenenstatus. Fortan wurden sie als "Verräter" angesehen und besonders schlecht behandelt.

Unter ihnen war Alberto R., der am 8. September 1943 bei Montenegro durch die deutsche Wehrmacht gefangen genommen, ab August 1944 in einer Außenstelle des KZ Birkenau interniert und von dort aus in einer Fabrik in Bensberg zur Arbeit gezwungen worden war.

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Abb. 2 Alberto R. aus Perugia, Italien. Foto: K. Püschel

Alberto R. starb bei einem alliierten Bombenangriff auf Bensberg in der Nacht vom 11. auf den 12. April 1945 zusammen mit einer Gruppe von etwa fünfzehn Kameraden bei dem Versuch, einen nahegelegenen Keller eines Gasthauses zu erreichen.

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Abb. 3 Saal der Gaststätte "Rheinischer Hof" in Bensberg. In den letzten Kriegswochen des Zweiten Weltkriegs waren hier 120 italienische Militärinternierte untergebracht. Foto: K. Püschel

Er wurde von einem Granatsplitter in die Brust getroffen und starb unter den Augen seines Kameraden Francesco Allegrucci, mit dem er in der Gefangenschaft ein enges, freundschaftliches Verhältnis entwickelt hatte. Ein paar Stunden später, am 12. April, befreiten die gleichen alliierten Truppen die Überlebenden. Alberto R. wurde zusammen mit weiteren 15 Toten auf dem Friedhof von Bensberg, darunter zehn unbekannte Soldaten, begraben.

Fortsetzung und Literaturverzeichnis folgen in der nächsten Ausgabe

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Tod und Natur (Dezember 2016).
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