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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Naturfriedhöfe und der Trend zur "natürlichen" Bestattung

Naturfriedhöfe (engl. "green burials" oder "natural burials") kamen erstmals in England in den 1990er Jahren auf und sind seitdem ständig mehr geworden.

Dieser Trend zur "grünen" Beerdigung umfasst in den englischsprachigen Ländern allerdings nicht nur die Einrichtung umweltschonender Bestattungsplätze. Dazu gehört auch, dass die Beerdigung wieder in die Hände der Angehörigen zurückgelegt wird. Dabei sollen nur ökologisch abbaubare Produkte verwendet werden und die Umwelt so weit wie möglich naturbelassen bleiben. Besonders in Amerika ist das von Bedeutung, denn dort gehört die Einbalsamierung – in der Regel mit Formaldehyd, einer krebserregenden Chemikalie, die bei der Erdbestattung in das Grundwasser gelangen kann – fast selbstverständlich zu einer Beerdigung dazu. Außerdem wird dort Hartholz, Kupfer und Bronze (für Särge), sowie Stahl und Stahlbeton für den Ausbau von Grüften in einem so hohen Maß verbraucht, dass die Umwelt deutlicher als in Deutschland beeinträchtigt wird.

Grab
Ausgehobenes Grab auf dem Naturfriedhof "Foxfield Preserve" bei Wilmot, Ohio (USA) (Foto: Foxfield Preserve) http://www.foxfieldpreserve.org/wp-content/uploads/2013/03/IMGP0993.jpg
http://www.foxfieldpreserve.org/

In England wurde 1991 das "Natural Death Centre" von privater Hand gegründet. Ähnlich wie der Verein Aeternitas e.V. in Deutschland, bietet man dort freie und unabhängige Beratung zu allen Aspekten rund um das Sterben und den Trauerfall an. Anders aber als in Deutschland unterstützt man die so genannten DIY (do it yourself oder direct it yourself) Bestattungen, also jene Beerdigungen, die von den Familien selbst unter Berücksichtigung umweltfreundlicher Aspekte organisiert werden. Drei Jahre nach der Gründung des Zentrums wurde zusätzlich die "Association of Natural Burial Grounds" ins Leben gerufen. Sie fördert die Errichtung von Naturfriedhöfen, berät Verwalter oder Besitzer und hat einen Verhaltenskodex für ihre Mitglieder erarbeitet.

Mit der Gründung des ersten englischen Naturfriedhofs "The Woodland Burial" in Carlisle im Jahr 1993 wurde erstmals auch die Vorschrift eingeführt, in biologisch abbaubaren Särgen oder im Leichentuch zu beerdigen. Die Friedhofslandschaft wurde nach ökologischen Gesichtspunkten ausgestaltet. Die natürlichen Gegebenheiten wurden nur geringfügig verändert und zwar unter der Vorgabe, dass die Bestattungsflächen im Laufe der Zeit wieder in ihre natürliche Form zurückkehren sollen. Der Verhaltenskodex des englischen Verbandes enthält klare Vorgaben zum Umgang mit der Natur: Betreiber müssen zum Beispiel die bestehende lokale Tierwelt erhalten und die biologische Vielfalt fördern, sowie ihre Projekte nach nachhaltigen und ökologischen Prinzipien verwalten. Auf ihren grünen Friedhöfen finden anders als in deutschen Friedwäldern nicht nur Urnen-, sondern auch Erdbestattungen statt. Dabei ist es nicht unüblich, dass Angehörige ein Grab selbst ausheben, ihren Toten in einem Leichentuch oder einem Sarg aus leicht abbaubaren Material selbst zum Grab tragen und die Gruft auch selbst wieder zuschütten. Anzumerken ist, dass man, wenn ein Leichentuch benutzt wird, für das Grab wesentlich weniger Platz benötigt als bei einem Sarg. Grüne Friedhöfe bieten außerdem ganz unterschiedliche Möglichkeiten Erinnerungszeichen anzubringen beziehungsweise das Grab auch in der freien Natur wieder zu finden. Einige erlauben flache Holztafeln oder Natursteine mit Namensinschrift, andere nur das Pflanzen von Bäumen oder anderen einheimischen Pflanzen als "lebende Denkmale". Dort, wo gar keine Zeichen erwünscht sind, ermöglichen auf jeden Fall GPS-Daten die Wiederauffindbarkeit des Grabes.

Körper
Körper im Leichentuch auf einer Bambusbahre von der Firma "Respects EveryBody Shroud" (Foto: Respects EveryBody Shroud) http://shrouds4all.blogspot.de/

Inzwischen sind in England fast 300 "natürliche" Beerdigungsplätze entstanden, die in dem oben genannten Verband organisiert sind und sich an den dort ausgearbeiteten Verhaltenscode halten. Dazu kommen noch weitere Betreiber von "grünen" Bestattungsflächen, die nicht Mitglied in diesem Verband sind. Noch immer werden neue "natural burial grounds" eingerichtet. Anders als in Deutschland sind in England und in Amerika Bestattungen auf eigenem Grund und Boden erlaubt, so dass im Prinzip jeder Grundbesitzer einen Begräbnisplatz auf seinem eigenen Gelände einrichten kann.

Die neue Bewegung griff rasch nach Nordamerika über. Dort gilt der Landarzt Billy Campbell als Pionier, der 1998 den ersten "grünen Friedhof" im Naturschutzgebiet Ramsey Creek in South Carolina eröffnete. Sieben Jahre später wurde das "Green Burial Council (GBC)" als unabhängige und gemeinnützige Organisation für die USA gegründet. Ähnlich wie das englische Zentrum will man die Nachhaltigkeit in der Bestattungsindustrie fördern und dafür sorgen, dass Bestattungen als Mittel zur Renaturierung und zum Landschaftsschutz dienen. Im Jahr 2016 waren 56 Bestattungsflächen in 28 nordamerikanischen Staaten vom Council zertifiziert. Auch der nordamerikanische Verband hat Standards für die Nachhaltigkeit von Friedhöfen aufgestellt. Zusätzlich hat er weitere für Bestattungsunternehmen, Krematorien und Hersteller von Bestattungsprodukten entwickelt. Neben dem Council besteht in Nordamerika mit der Natural Burial Company, die 2004 gegründet wurde, ein weiterer Verbund von Naturfriedhöfen, dem 25 Bestattungsplätze in verschiedenen Staaten angehören. Diese Gesellschaft importiert und vermarktet selbst Produkte rund um die "natürliche" Bestattung, also zum Beispiel Leichentücher oder Särge aus Materialien, die sich schnell in der Erde zersetzen. Die Idee hat in Kanada und Neuseeland Nachfolger gefunden, doch steht sie dort noch am Anfang.

Eine amerikanische Variante ist die ökologische Unterwasserbestattung. So baut die Firma "eternal reefs" künstliche Riffe an der Atlantikküste aus Betonformen auf. Für diese wird die Asche eines Verstorbenen teilweise oder ganz in eine umweltverträgliche Zementmischung integriert, aus der Schalen in unterschiedlicher Größe gegossen werden. Angehörige können an diesem Prozess teilnehmen und die Gussform durch Handabdrücke und schriftliche Nachrichten personalisieren. Aus den Schalen entstehen nach ihrer Verankerung am Meeresboden neue maritime Lebensräume für Fische und andere Meerestiere. An anderer Stelle besteht ein ganzer "Unterwasserfriedhof", der ein Korallenriff schützen soll.

Schale
Eine Schale aus Beton, unter den die Asche eines Verstorbenen gemischt wurde, wird zum Grund des Ozeans abgesenkt. (Foto: Eternal Reef) http://eternalreefs.com/

Eine weitere ökologische Alternative zur herkömmlichen Bestattung verspricht das "Urban Death Project", das zurzeit noch in den Kinderschuhen steckt. Bis 2023 will man einen ersten Begräbnisplatz eingerichtet haben, dessen Kernstück ein dreistöckiges Gebäude ist. Dort sollen sich die Körper der Verstorbenen innerhalb weniger Monate mit Hilfe mikrobieller Aktivität vollständig zersetzen und zu einem nährstoffreichen Boden werden. Angekündigt wird dieses System nicht nur als Dekomposition des toten Körpers, sondern auch als ein Ritual, "das uns hilft, uns von unseren Lieben zu verabschieden, indem wir uns mit den Zyklen der Natur verbinden".

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Tod und Natur (Dezember 2016).
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