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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Tod, Trauer und Strandleichen auf Neuwerk

Die in der Elbmündung gelegene Insel Neuwerk gehörte bis 1937 zum damaligen hamburgischen Amt Ritzebüttel (dem heutigen Cuxhaven) und zählt bis heute verwaltungspolitisch zu Hamburg.

Sie diente ursprünglich der schifffahrtstechnischen Sicherung der Elbmündung und beherbergte daher frühzeitig ein Leuchtfeuer. Das folgende Archivdokument behandelt die Aufzeichnung über eine Trauerfeier auf Neuwerk aus dem Jahr 1718, kurz nach der verheerenden Weihnachtflut 1717. Das wörtlich in originaler Diktion wiedergegebene Schreiben wurde am 14. März 1718 vom Ritzebütteler Interims-Amtmann Dietrich Reimbold verfasst. Es stellt dar und kritisiert, wie aus Sicht des Amtmannes – also der Obrigkeit – die Trauerfeiern für die am 10. März gerade zuvor verstorbene Frau des Inselvogtes Peter Tode jr. (amtierte 1702–1719) abliefen. Im Hintergrund der Kritik steht einerseits der Aufwand bei den Zeremonien, andererseits das Elend, das sich auf Grund verheerender Deichbrüche und Überschwemmungen durch die Weihnachtsflut 1717 im Amt Ritzebüttel und auf Neuwerk ausgebreitet hatte. Die Bezeichnung Döse verweist auf das gleichnamige Ritzebütteler Kirchspiel auf dem Festland, Lüdingworth auf ein ebensolches im benachbarten Land Hadeln. Die Bestattung fand auf dem Döser Kirchhof statt.

Neuwerk-Blick
Neuwerk - Blick vom Leuchtturm zur Nordsee. Foto: N. Fischer

"Nun fehlet fast nichts mehr als die Specification des Neuenwerker Verlustes, welche beyzubringen ich dem Voigte zwar anbefohlen, aber biß dato nicht habhaft werden können. Es ist wol die Krankheit und der Tod seiner Frau dazwischen gekommen, allein da dieselbe schon am 10. dieses [Monats] mit ärgerlicher u. einem solchen Bedienten unverständlicher Pracht begraben worden, hätte es schon geschehen können und sollen. Ich mache mir aber keine Hoffnung dazu, weil ich aus Beerdigung der Leiche schon vermerkt, daß der Voigt sich ein mehreres herausnimmt, und größere opinion von seinem Stande hat, als sichs gebühret. Denn erstlich hat er bey dem Sarge, solange derselbe im Trauer Hause gestanden, vier große, vollenkommen vier zusammengelegte Finger dick, und eine Elle lange gelbe Wachs-Kertzen auf gueridons mit Zimmern Leuchtern gesetzt, brennen lasen. Nachher während der Versammlung der Leichbegleiter, ist zweymahl im Trauer Hause vocaliter musiciret und zu dem Ende der Cantor von Lüdingwohrt, weil der Döser krank lag, hergeholet worden. … Wie ferner die Leiche bey der Döser Baake kam, wurden 5 stark geladene Canons von Neuenwerk abgefeuert, und in der Kirchenstunden die Lichter wieder bey dem Sarg. … … …. Von dem Trauer Mahl bemerke noch schließlichen, daß dazu ein halber Ochse verbracht und schöne Indianische Hüner gebraten, und dabey Wein und Brandtwein gereichet worden. Wiewol ich mich hierüber nicht soviel verwundern, weil das sonst an Weingewächse ganz und gar sterile Neuenwerk, doch gekelterten Wein genug ausgiebet, welchen der Voigt ohne Mühe … in seinen Keller bekommt, und soll, dem Berichte nach, noch gar neulich ein gantz faß eingebracht seyn, wovon nicht die geringste Angabe geschehen, auch nicht zu vermuhten, weil die Einwohner des Neuenwerks alle beym Voigt aufm Thurme logiren und dahero noch schweigen müssen, auch wol immer schweigen werden, so lange die mit losen Stricken verkoppelte bande nicht getrennt wird … "
(aus: Stadtarchiv Cuxhaven, Amtsarchiv Ritzebüttel, Signatur: Abteilung IX, Fach 6, Vol. C, hier nach Abschrift in: Niedersächsisches Landesarchiv, Standort Stade, Signatur: Rep. 99, Nr. 1050)

Neuwerk-Kreuz
Namenlosen-Friedhof auf Neuwerk. Foto: N. Fischer

Vom Umgang mit Strandleichen auf der Insel Neuwerk, die bis heute einen Namenlosen-Friedhof beherbergt, zeugt eine Verordnung aus dem Jahr 1672. In ihr heißt es unter anderem, dass für angeschwemmte unbekannte Strandleichen eine Grabstätte mit einem Holzkreuz angelegt werden muss. Hier der wörtliche Auszug:

"7.) Das bey gefundenen Todten angetroffene Geldt ist gleich den Güthern zu achten und muß der Cörper daselbst zur Erde bestattiget werden.

8.) Auf den Kirchhof daselbst ist von Seedriftigem Holtze stets ein Kreutz zu unterhalten" (aus: Zwischen Elbe und Weser, Jahrgang 1936, Nr. 10, S. 39).

Der Neuwerker Friedhof war am 22. Juni 1319 bischöflich geweiht worden. Nach Begründung des Kirchspiels Döse im Amt Ritzebüttel, also auf dem Festland, im 16. Jahrhundert, brachten die Neuwerker ihre Toten auf dem dortigen Kirchhof zur Ruhe. Seitdem diente der Neuwerker Friedhof in der Regel der Beisetzung namenloser Strandleichen (nach: Hermann Borrmann: Daten zur Geschichte des Amtes Ritzebüttel und der Stadt Cuxhaven, Cuxhaven 1982, S. 23)

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Insel, Tod und Trauer (November 2015).
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