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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

"Gott zu Ehren" und dem "Kirchhof zum Zirat": Der historische Friedhof zu Horst und seine Grabsteine

Im Landkreis Stade liegt, etwas erhöht in den Oste-Marschen, der kleine Kirchhof von Horst.

Er umfasst einen kulturhistorisch bedeutsamen Bestand von rund 40 Grabmälern aus der Zeit seit dem frühen 18. Jahrhundert. Sie befinden sich zumeist noch in originaler Situierung und stehen unter Denkmalschutz.

Zwar gibt es eine vergleichbar reichhaltige frühneuzeitliche Grabmalkultur auch für die nordfriesischen Seefahrer und Walfänger (Friedhof Nebel auf Amrum) oder für die Vierländer Marschen in Hamburg-Kirchwerder. Im Gegensatz zu Horst sind die Grabmäler auf diesen Anlagen jedoch versetzt und dann neu aufgestellt worden, also nicht mehr in situ erhalten. So repräsentiert der Horster Friedhof ein ungewöhnliches Dokument frühneuzeitlicher Friedhofskultur.

Horst
Blick über den Friedhof Horst in die umgebende Landschaft. Foto: S. Zander

Da sich aber die Anlage vor einigen Jahren als wenig gepflegt zeigte und auf Grund des Bewuchses auch nur schlecht zugänglich war, sollten die historischen Grabsteine umgestellt und in einem musealen Bereich zusammengefasst werden. Dies aber hätte den Reiz der Begräbnisanlage, der ja gerade im Zeugnis des historischen Zustands besteht, beträchtlich gemindert. Glücklicherweise hat man inzwischen einen anderen Weg gewählt. Die historischen Grabsteine sind in ihrer ursprünglichen Lage erhalten geblieben und werden nunmehr durch einen Weg erschlossen. Damit ist ein fast unbekanntes Kleinod der ländlichen Sepulkralgeschichte in Norddeutschland erhalten geblieben.

Neben den hoch aufragenden Stelen aus dem 18. Jahrhundert sind es viele aus dem 19. Jahrhundert stammende Sockel mit schlichten Kreuzen, die den Eindruck des Begräbnisplatzes bestimmen. In der Ferne, durch die Bäume hindurch, schweift der Blick auf die umgebende flache Landschaft der Oste-Marschen, aus der sich der Friedhof auf einer Geestkuppe zusammen mit der Feldsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert erhebt. Ursprünglich stand hier vermutlich eine kleine Kapelle für die Osteschiffer, die dem Hl. Petrus, dem Patron der Schiffer und Fischer, ebenso geweiht war wie die heutige Pfarrkirche.

Im Jahre 1718 beschrieb Georg von Roth das Kirchspiel Horst in einer "Geographischen Beschreibung der beyden Herzogthümer Bremen und Verden nebst einem Anhange vom Lande Hadeln (...)" Zu dem Kirchspiel gehörte das eigentliche Kirchdorf Horst, das er als ein "geringes Dorff, bestehet aus dem Küsterhause, 1 Hoff und 2 Kathen" beschrieb, sowie die Ortschaften Burweg (oder Borwege) mit 72 Häusern und dem Pfarrhaus, Blumenthal mit 50 Häusern, Breitewisch (oder die Bredewisch) mit 44 und das Dorf "Engelschop" mit insgesamt 78 Wohnhäusern. Außerdem gehörte ein Königliches Vorwerk "gleich über dem Mühlenbeck" zum Kirchspiel, das im Osten an das Kehdinger Moor, im Westen an die Oste, im Norden an das Kirchspiel Großenwörden und im Süden an das Gebiet des Klosters Himmelpforten grenzte. Blumenthal bildete ein eigenes adeliges Gericht, in dem die Ober- und Niedergerichtsbarkeit den Freiherren von Marschalk gehörte.

Jarcken
Grabstein für Mette Elisabeth Jarcken. Foto: S. Zander

Zwanzig Jahre nach dieser Beschreibung wurde der Horster Kirchhof im Oktober 1738 von dem Landmesser Peter Nagel aus Drochtersen neu vermessen. Den zum Kirchspiel gehörigen Ortschaften wurde in Folge dieser Vermessung jeweils eine bestimmte Anzahl von Begräbnisplätzen zugewiesen. Erhalten haben sich lange Listen, in denen von jeder Dorfschaft die jeweils "eigenthümlichen Begräbnisse" aufgeführt wurden: für "Engelschoff" waren dies 179, für "Borweg" 135, für "Breite Wisch" 96 und für "Blomdorff" 117 Plätze. Etliche namentlich aufgeführte Eigner besaßen bis zu vier dieser Begräbnisstellen: so in Breitenwisch zum Beispiel Tönnies von Heldt.

Die ältesten Grabsteine des Horster Friedhofes stammen aus den beiden Jahrzehnten vor dieser Neuvermessung. Sie stehen noch ganz in barocker Tradition und sind mit ihrem Bild- und Textprogramm fest in der christlichen, lutherischen Glaubenstradition verwurzelt. Der Grabstein des um 1723 gestorbenen Christian Kopmann, fast 2 m hoch und 90 cm breit, ist ein schönes Beispiel dafür. Der obere Abschluss der Stele ist geschwungen und im Giebelfeld erscheint die betende Familie unter einem Kruzifix. Die Ehefrau Mette Kopmann kniet vor ihren zwei Töchtern, der Verstorbene vor seinen drei Söhnen. Kleine Kreuze zeigen an, dass sowohl ein Sohn wie eine Tochter bereits vor ihrem Vater verstarben. Unter diesem Giebelrelief befindet sich, eingerahmt von Blattwerk- und Blumengehängen, die Tafel mit den Personenangaben des Verstorbenen. Auf der Rückseite ziert ein auferstandener Christus mit Siegesfahne und Palmwedel in einem Medaillon den oberen Giebel. Darunter stehen die Leichtexte sowohl des Mannes wie der Frau. Es sind 1. Joh. 3, V. 2 und für sie 2. Timoth. 4, V. 18.

Kreuz
Kreuze über den Köpfen verweisen auf verstorbene Familienmitglieder. Foto: S. Zander

Die unter einem Kreuz betende Familie bzw. das betende Ehepaar begegnet uns auf dem Horster Friedhof mehrfach: Christus Kreuzestod ist demnach die Eingangspforte für das ewige Leben. Auf dem Grab des Christian Kopmann unterstreicht der triumphierend auferstandene Christus diese Hoffnung. Auf einem Gedenkstein von 1767, das im oberen Giebelfeld ein Spiegelmonogramm P J für Peter Jarck enthält, ist diese Jenseitshoffnung, die sich auf den auferstandene Christus beruft, mit den Johannes-Worten: "Ich bin die Auferstehung und das Leben" noch einmal ausgedrückt.

Dieser Gedenkstein leitet über zu einer Gruppe von drei Grabsteinen, die von Peter Jark dem Friedhof gestiftet wurden. Sie stehen nebeneinander am Aufgang. Auf seinen eigenen Grabstein hat er den Zweck seiner Stiftung einmeißeln lassen: sie geschah demnach "Gott zu Ehren" und dem "Kirchhof zum Zirat." Dies ist ihm gelungen, denn die kleine Grabsteingruppe ist von einem besonderen, naiven Reiz. Das Bildprogramm auf diesen im Vergleich zu den älteren Grabsteinen eher kleinen Stelen – sie sind nur gut 1 m hoch und ungefähr 50 cm breit – ist ebenfalls getragen vom christlichen Auferstehungsglauben. Symbole wie Weinranken und Pinienzapfen, aber auch die beiden Delphine auf der Stele des Peter Jark sprechen dafür. Der Delphin verweist möglicherweise auf die Jonas-Geschichte, die als Vor-Bild des Todes (Jonas im Walfischbauch) und der Wiederauferstehung gedeutet wurde und im 18. Jahrhundert sehr beliebt war.

Doch schlagen diese Grabsteine auch einen anderen Ton an: Der Grabstein von Mette Elisabeth Jarken, die nach 1767 starb, und der des Stifters Peter Jark erinnern und gemahnen an die Vergänglichkeit allen menschlichen Lebens. Mette Jarkens Grabstein enthält ihre Lebensdaten und ihr Monogramm, auf der Rückseite jedoch erscheint statt des Christus eine Sanduhr unter Pinienzapfen. Das Memento Mori über das unerbittliche Verrinnen der Lebenszeit spricht den Betrachter direkt an, denn die Sanduhr wird beidseitig von den Schriftzügen: "Heute mier" und "Morgen der" gerahmt. Auch der Grabstein von Peter Jark richtet sich ausdrücklich an den Friedhofsbesucher: "Lieber Mensch ste still und tu dis lesen was du bist das bin ich gewesen." Hier erscheint das Stundenglas in der Hand eines Sensenmannes unter einem Gottvater im Wolken-Relief.

Neben diesen Grabsteinen des 18. Jahrhunderts wird der Horster Friedhof auch ganz wesentlich durch die Grabsteine des 19. Jahrhunderts geprägt. Sie folgen zum Teil ihren Vorgängern, wenn sie – wie der Grabstein des 1838 gestorbenen Peter Breuer – Personenangaben auf der Vorder- und Bibelverse auf der Rückseite tragen. Doch fehlt hier das figürliche Bildprogramm. Dafür finden sich mehrfach die typischen Symbole des 19. Jahrhunderts: Kreuz, Anker und Herz als Glaubenssymbole oder ein Händepaar. Die Inschriften sind meistens verwittert und schwer lesbar.

Weiterhin findet sich auf dem Horster Friedhof eine Gruppe von schmiedeeisernen Kreuzen, wie das für Johann Heinrich Schlichting aus Breitenwisch, der am 8. März 1863 starb. Diese Kreuze haben unterschiedlich gestaltete Kreuzenden. Einer Grabsteinmode der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts folgend haben sich auf dem Friedhof auch einige Beispiele für kleine "Grottengrabmäler" aus "rustikal" gearbeiteten Sockeln mit bossierten Oberflächen und einem darauf aufgerichteten Kreuz erhalten – das bisweilen fehlt.

Der Horster Friedhof wird heute nicht mehr belegt. 1885 wurde der neue Friedhof am Ortseingang angelegt. So ist es nicht verwunderlich, dass die jüngsten Grabsteine des Horster Friedhofs – so weit die Inschriften lesbar sind – aus den 1880er Jahren stammen. Ganz schlicht erscheint der Sockel des Grabmales für die am 30.3.1881 gestorbene Anna Schlichting aus Breitenwisch, der ihre Personendaten eingemeißelt trägt und auf dem ein einfaches Kreuz ihre Grabstelle markiert.

So ist ein Spaziergang über den Horster Friedhof für den aufmerksamen Betrachter wie ein Spiegelbild, in dem sich die im Laufe zweier Jahrhunderte gewandelten Vorstellungen von einem dem Friedhof zur "Zierde" gereichenden Grabstein erkennen lassen. Gleichzeitig zeugen die aufwendigen Grabsteine von dem bäuerlichen Wohlstand der Oste-Marschen und von den Jenseitshoffnungen ihrer Bewohner.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Umgang mit alten Friedhöfen (Mai 2015).
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