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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der maritime Tod - Zur Neugestaltung des Friedhofs der Namenlosen auf Amrum

Bis weit in die Neuzeit hinein war es an der Meeresküste vielerorts eine übliche Praxis, die angeschwemmten und nicht mehr identifizierbaren Strandleichen höchst provisorisch und ohne Kennzeichnung zu vergraben.

Dies änderte sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Nun wurden offizielle Friedhöfe für Strandleichen eingerichtet, deren Bezeichnungen variierten: Friedhof der Namenlosen, Friedhof der Heimatlosen, Seefahrerfriedhof, Drinkeldoden-Karkhof.

Eingang
Eingang zum Friedhof der Namenlosen in Amrum. Foto: Fischer

Die Anlage dieser Namenlosen-Friedhöfe war Ausdruck eines gewandelten Umgangs mit den Toten an der Nordseeküste – ein Wandel, der sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts vollzog, als die zuvor mehr oder weniger eigenständigen Küsten- und Inselgesellschaften von städtisch-bürgerlichen Lebensanschauungen beeinflusst, ja überformt wurden. Das sich entfaltende Seebäderwesen machte aus einst schwer zugänglichen Inseln und Küstenstrichen neuartige Schauplätze der bürgerlichen Promenade. Unter dieser Voraussetzung schien es kaum noch schicklich, angeschwemmte Tote in den Dünen zu verscharren. Man billigte ihnen nunmehr einen öffentlichen Begräbnisplatz zu, der mit seinen individuellen, zumeist das Datum des Fundes verzeichnenden Grabkreuzen dem Leitbild bürgerlicher Sepulkralkultur des 19. Jahrhunderts entsprach.

Reihe
Neu gestaltete Grabstätten auf dem Namenlosen-Friedhof in Amrum. Foto: K. Gröwer

Zu den bekanntesten unter den bis heute erhaltenen Namenlosen-Friedhöfen zählt – neben dem Westerländer auf Sylt – jener von der nordfriesischen Insel Amrum. Er wurde südlich des Inseldorfes Nebel angelegt. Die Leichen der hier Bestatteten wurden vor allem am Amrumer Kniepsand angeschwemmt, dem westlich der Insel vorgelagerten langen Sandstrand. Der Amrumer Namenlosenfriedhof wurde vom Kapitän Carl Jessen gestiftet, die erste Bestattung fand am 23. August 1906 statt in zeitlicher Nähe zur Einrichtung des Seebades im Inseldorf Wittdün. Die schlichten Holzkreuze verzeichnen jeweils das Datum des Fundes. Die letzte Beerdigung fand 1969 statt.

Die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde St. Clemens auf Amrum hat den Friedhof auch nach Ablauf der 30jährigen Ruhefrist erhalten und gepflegt. Kürzlich ist das Areal neu gestaltet worden. Der Eingang wurde verlegt, um den Friedhof leichter zugänglich zu machen. Drei nunmehr aufgestellte Skulpturen strukturieren den sepulkralen Raum. Es handelt sich um Schiffssymboliken, die in einer Informationsbroschüre wie folgt charakterisiert werden: „Das Schiff des Lebens ist geschnitzt aus einer Eiche. … 1683 wurde sie in einem Nebeler Kapitänshaus als tragender Balken verbaut. Als in 2010 eine Renovierung anstand, wurde dieser Eichenträger entfernt und wurde nun wieder Schiff. Als Arche oder Plattbodenschiff, geschnitzt von einem Amrumer, steht sie jetzt auf einem Mast und dreht sich im Wind. Die Sonnenbarke/Todesbarke ist das Schiff, auf dem nach mythologischer Vorstellung die Sonne bei Nacht durch das Reich des Todes zum neuen Aufgang fährt. … Das sinkende Schiff soll an die Katastrophen erinnern, die sich viele Male vor Amrum und an anderer Stelle ereignet haben.”

Die erwähnte, 2011 erschienene Informationsbroschüre enthält noch weitere Informationen zum Friedhof der Namenlosen auf der Insel Amrum. Sie ist erhältlich bei der Kirchengemeinde, Kontakt unter: www.amrum-kirche.de

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Die Route der europäischen Friedhofskultur (Mai 2012).
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